

Möglichkeiten einer Insel:
Anders Forschen und Lehren an der TU Berlin der 1970er und 1980er Jahre
Anlässlich des 50jährigen Bestehens des Instituts für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte nimmt der Workshop die TU Berlin der 1970er und 1980er Jahre unter die Lupe. Er verfolgt insbesondere, inwiefern die Geschichte dieser Technischen Hochschule mit der Geschichte der Stadt, der Wissensproduktion im Kalten Krieg und der Geschichte sozialer Bewegungen verflochten war.
Der Workshop fragt nach den Besonderheiten und Eigenarten des Wissenschaftsbetriebs einer Technischen Hochschule in der geteilten Stadt Berlin (West) – einer Stadt, die von ihrer geopolitisch exponierten Insellage ebenso geprägt war wie von den jungen Menschen, die sie zur Hochburg alternativer Lebensentwürfe machten. Bereits die Studentenbewegung von 1968 fand in West-Berlin eines ihrer Zentren; das Westberliner Stattbuch (1977) beschrieb die Stadt später als einen „Fleckerlteppich von Initiativen und Alternativprojekten“. Dem deutschlandweit größten Alternativsektor stand dabei nicht nur die höchste Akademiker:innenarbeitslosigkeit gegenüber –– auch die Bonner Forschungspolitik entdeckte West-Berlin früh als Experimentierfeld. Beförderte die von Mauern umgrenzte Stadt so ein spezifisches Klima, das sich auch im Lehren, Forschen und Lernen an der TU Berlin niederschlug?
Der Workshop widmet sich damit zugleich einer Zeitspanne, in der sich Funktion und Selbstverständnis von Universitäten sowie die Produktion und Vermittlung von akademischem Wissen stark transformierten. Auch an der TU verhießen diese Jahre zunächst einen Aufbruch, der sich nach 1968 als kontroverse „Öffnung“ der Universität hin zur Gesellschaft niederschlug: Themen wie die „Krise der Stadt“, „Dritte Welt“, Ökologie, Energie- und Umwelttechnik und die Marginalisierung von Frauen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften gehörten, zumindest für Subpopulationen der Universität, bald zur Tagungsordnung. Mit Robert Jungk, Klaus Traube und Joseph Weizenbaum verkehrten prominente Kritiker von „Großtechnologie“ und „Industriesystem“ in der Universität. Für eine Zeitlang florierten an den Grenzen der TU entsprechende Projekte, die weit über Berlin hinaus sichtbar waren: darunter IPAT (Interdisziplinäre Projektgruppe für Angepaßte Technologie), Ingenieurkollektive wie Wuseltronick und Südwind, der Berliner Wissenschaftsladen, Zukunfts- und Projektwerkstätten, Forschungsschwerpunkte und Arbeitsgruppen –– von „Technologie und Sozialisation“ über „Energie und Architektur“ hin zur Geschichte von „Bau, Raum und Alltagskultur“. Daneben mehrten sich allerdings auch Anzeichen anderer Art, die zunehmend auf das städtische Forschungsklima einwirkten, wie Sparzwänge, konservative Gegenreformen sowie die innovationspolitische Priorisierung von „Spitzenforschung“ und „Hochtechnologien“.
Eine Auswahl exemplarischer Projekte wird im Workshop thematisiert und vorgestellt. Leitend sind folgende Fragen:
– Stadtkrise/Strukturkrise/Umweltkrise
Inwiefern beförderten (oder nicht) die Bedingungen der West-Berliner Insellage, die auch damals schon gerne als „Modellfall“ spätmoderner Krisenzustände gesehen wurde, politisierte/alternative/engagierte Wissensproduktion? Dazu zählen zum Beispiel: die Dichte an Alternativprojekten; die genannte überdurchschnittlich hohe Akademiker:innenarbeitslosigkeit; der Leerstand („280 leerstehende Tante Emma Läden“ um 1978 allein in Kreuzberg); Konzepte wie „Betroffenen-Wissenschaft“; die Handgreiflichkeit lokaler Probleme: Recycling, Energie, Stadtsanierung, Stadtökologie, usw.
– „1968“ der Ingenieur:innen?
Es gehört zu den vermutlich irreführenden Clichés der Historiographie, dass die „technische Intelligenz“ in der 1968er Bewegung zunächst kaum in Erscheinung getreten sei. Trotz der relativen hohen Prominenz von „Technologie“ im Theoriehaushalt revoltierender Student:innen scheinen sich erst mit der einsetzenden Anti-AKW-, der Umwelt- und der späteren Friedensbewegung auch Natur- und Ingenieurwissenschaftler:innen verstärkt politisiert zu haben. Inwieweit treffen diese Clichés zu? Wie beförderten – oder behinderten – die nach 1968 auf den Weg gebrachten institutionellen Reformen die Betätigungen späterer TU „Alternativler” [sic], darunter etwa die Einführung des „Projektstudiums“ und die Neustrukturierung der Fachbereiche?
– Geistes- und Sozialwissenschaften als integraler Bestandteil der TU Berlin
Mit dem Ziel, die nach 1945 in Verruf geratene technische Spezialausbildung hin zu einer „universalen“ Bildung weiterzuentwickeln, integrierte die 1946 als „Universität“ neu gegründete TU Berlin die Geisteswissenschaften fest in Lehre und Forschung –– darunter das Institut für Sprache im technischen Zeitalter, das „Elektronische Studio“, Lehrstühle für Soziologie, Philosophie, Bildungsökonomie, u.v.m.. Auch wenn das „Humanistische Studium“, das jede:r angehende Ingenieur:in zu absolvieren hatte, 1968 abgewickelt wurde, so blieben die Geistes- und Sozialwissenschaften fortan fester Teil der TU Berlin. Der Workshop thematisiert die spezifischen, transdisziplinären Synergien, die sich an der TU Berlin durch ihre starken Anteile an Geistes-, Sozial- und Planungswissenschaften in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren entwickeln konnten.
– West-Berlin im Kontext
Wie verhält es sich mit den damaligen lokalen Aktivitäten an der Basis und den neueren Großerzählungen zur Universität und zu universitärer Wissenschaft? Zu den Stichworten zählen hier: „Neoliberalisierung“, „Ökonomisierung“, „Wettbewerb“ usw. Wenn die Spezifika der „Insel“ West-Berlin den Aufstieg und die Blütephase alternativer und sozialbewegter Forschungs- und Lehrprojekte erklären helfen, wie verhält es sich mit ihrem späteren Niedergang? Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede mit Blick auf andere Universitätsstädte der BRD? Und inwieweit lassen sich im West-Berliner Fall einschlägige Konzepte der Historiographie, etwa Begriffe wie „groovy science“, „square science“ oder „Gegenwissen“, fruchtbar machen?