In ihrem neuesten Comic, Im Spiegelsaal, erschienen im Avant-Verlag, beschäftigt sie sich nun in fünf Essays mit Schönheit. Ausgangspunkt ist die These, dass Schönheit durch unseren Gebrauch sozialer Medien und die Flut von Bildern, die uns alltäglich erreichen, heute wichtiger denn je geworden ist. Anschauungsmaterial dafür sind die Lebenswege von Frauen der Popkultur, historische Personen, Märchenfiguren oder auch Gleichnisse aus der Bibel. Liv Strömquist reist durch die Kulturgeschichte, wirft dabei immer wieder neue Fragen zum Thema Schönheit auf und zitiert Philosoph*innen, Historiker*innen oder Soziolog*innen, die ihre Thesen untermauern.
Es beginnt damit, dass wir gemeinsam mit der Autorin durch das Instagram-Profil von Kylie Jenner scrollen und uns dabei fragen, warum wir ihre Schönheit nicht einfach genießen können wie die Schönheit eines farbenfrohen Sonnenuntergangs, sondern sich Minderwertigkeitskomplexe und Neid in uns breit machen. Schönheit anderer Menschen kreiert nicht nur Bewunderung, sondern auch Konkurrenz, da Schönheit auch immer an das Versprechen von Liebe und Erfolg geknüpft ist. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Jakob aus dem ersten Buch Mose. Er arbeitet sieben Jahre für den Vater der schönen Rahel, um sie heiraten zu dürfen. Der Tradition folgend, dass erst die ältere Tochter verheiratet werden muss, erhält er aber zunächst die hässliche Schwester Lea zur Frau. Mit dieser Lösung unzufrieden, schuftet er noch einmal sieben Jahre, um auch die Schöne heiraten zu dürfen.
Früher wurden Ehen geschlossen, um politische Allianzen zu schließen oder Grundbesitz zu vereinen, in der heutigen Konsumgesellschaft sind politische Beweggründe bei der Wahl von Partner*innen eher selten, dafür machen Schönheit und Anziehung einen wichtigen Entscheidungsfaktor aus. Die Strukturen unserer spätkapitalistischen Gesellschaft, in der Selbstoptimierungsmechanismen den Ton angeben, befördern diese Entwicklung, laut Strömquist. Anstatt mit dem eigenen Aussehen glücklich zu sein, konsumieren wir, um unser Erscheinungsbild zu verbessern, sodass wir geliebt werden können oder den Traumjob bekommen. Darunter leiden sowohl Frauen als auch Männer. Allerdings ist Schönheit sehr stark mit dem sozialen Konstrukt von Weiblichkeit verbunden, weshalb Frauen unter größerem Druck stehen, ständig schön zu sein. Da hat man direkt Mitleid mit Schneewittchens (Stief)Mutter – denn in einer Welt, in der das größte Kapital die eigene Schönheit ist, wer wäre da nicht stinkesauer, wenn auf einmal jemand anderes die Schönste im ganzen Land ist und man selbst ganz ohne Liebe und Bewunderung dasteht?
Der Comic beschäftigt sich auch mit der Machtverschiebung zugunsten von Frauen im Schönheitsdiskurs, die durch soziale Medien entstand. Während Marilyn Monroe drei Tage lang mehr oder weniger durchgehend von einem Fotografen abgelichtet wird, der nach ihrem Tod alle Fotos veröffentlicht (auch die, die Monroe durchgestrichen hatte) und in einem Interview erzählt, dass er „mit ihr rummachen“ wollte, macht Kim Kardashian heute Millionenprofite mit einem Buch voller Selfies. Sie braucht keinen Mann mehr, der sie für schön erklärt. Genauso können auch wir alle uns für schön erklären und auf sozialen Medien ein Bild unserer Person zeichnen, wie wir uns sehen oder wie wir gerne sein würden. Schönheit ist also ein zweischneidiges Schwert – sie kann Macht verleihen, aber auch Druck ausüben.
Das letzte Kapitel ist eine Zusammenstellung von fünf Interviews mit Frauen zwischen 50 und 75, die von ihrem eigenen Umgang mit Schönheit erzählen und dabei auch über die Vergänglichkeit von Schönheit philosophieren. Es sind sehr persönliche Geschichten, die im Gegensatz zum Rest des Comics leiser daherkommen, aber dadurch nicht weniger zum Nachdenken anregen.
Ich musste den Comic Im Spiegelsaal zwischendurch immer wieder weglegen und über das Gelesene nachdenken. Das lag zum einen daran, dass manche Erzählstränge etwas sprunghaft waren, zum anderen aber auch an der Komplexität des Konstruktes Schönheit. Es lohnt sich auf jeden Fall, den Comic auch ein zweites Mal zu lesen.
Die Sicht auf Schönheit wird in diesem Comic sehr binär gezeichnet – was mir hier ein wenig fehlte war die Perspektive nicht-binärer und trans Personen. Gerade in trans Communities wird das Aussehen viel diskutiert und ist von großer Wichtigkeit dafür, ob man in der Mainstream-Kultur als Frau, bzw. als Mann, durchgeht und als solche*r akzeptiert wird.
Auch ist der Comic weniger laut als man es von vorangegangenen Liv Strömquist-Comics kennt. Gerade beim Lesen des Comics Ich fühl’s nicht musste ich oft laut lachen – auch Im Spiegelsaal wird der Inhalt unterhaltsam aufbereitet, aber allgemein erscheinen mir die Thesen und Erzählungen nachdenklicher.
Dennoch hat mir der Comic sehr gut gefallen und mich dazu gebracht, mein eigenes Verhältnis zu Schönheit und Bildern zu reflektieren. Ich empfehle Im Spiegelsaal auf jeden Fall allen, die sich mit dem Thema beschäftigen möchten und lege Liv Strömquist-Einsteiger*innen auch die anderen Comics wärmsten ans Herz.
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