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Eine Mission, bei der wir nicht versagen dürfen

Interview mit Dr. Emily Shuckburgh, University of Cambridge, über die Bewältigung von Klimawandel und Pandemie

Dr. Shuckburgh, gern hätten wir Sie in Berlin persönlich begrüßt. Das verhindert leider die derzeitige Pandemie-Situation. Doch wir werden Sie zumindest digital erleben und freuen uns auf eine unterhaltsame und lehrreiche Queen‘s Lecture. Ihre thematische Bandbreite als Forscherin ist sehr groß: Mathematik, Informatik, Meteorologie. Woran arbeiten Sie derzeit?

Meine aktuelle Forschung geht der Frage nach, wie wir die verschiedenen Prozesse des Klimawandels besser verstehen und quantifizieren können. Das umfasst biologische, aber auch soziale und ökonomische Prozesse. Wir vermessen lokale Wetter- und Klimaereignisse wie Hochwasser oder andere Extremwetter und entwickeln daraus computerbasierte skalierte Modelle. Diese kombinieren wir dann mit weiteren Beobachtungsdaten und gewinnen daraus Erkenntnisse über Auswirkungen einzelner Einflussparameter auf die zukünftigen klimatischen Entwicklungen beziehungsweise auf das gesamte Klimasystem. Maschinelles Lernen und die Anwendung künstlicher Intelligenz erlauben uns dabei eine schnelle und hochqualifizierte Datenauswertung.  

Was sind die Hauptziele Ihrer Initiative „Cambridge Zero“, deren Direktorin Sie sind?

In diesem Zentrum, das an der University of Cambridge angesiedelt ist, verbinden wir Wissenschaftler*innen verschiedenster Fachrichtungen aus aller Welt. Wir beschäftigen uns mit den globalen Herausforderungen, vor denen die Menschheit heute steht. Dazu gehört die soziale Ungleichheit der Menschen, das massive Artensterben und vor allem natürlich die Erderwärmung, der Klimawandel. Der CO2-Ausstoß unserer Industrien ist eine der größten Bedrohungen für unsere Zukunft und in seiner Größenordnung beispiellos in der Menschheitsgeschichte. Er geht immer sichtbarer mit Extremwetterereignissen weltweit einher.

Sie haben auf mehreren Forschungsreisen in die Arktis und die Antarktis Daten über die abschmelzenden Gletscher sowie den Anstieg des Meeresspiegels gesammelt. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

Es ist ein unglaublich großer Unterschied, ob man den Missbrauch der Natur theoretisch erfährt oder ob man die Auswirkungen mit eigenen Augen sieht. Riesige Eisberge sind zum Greifen nah – ein besonderes Naturerlebnis. Schockierend ist dann aber der Blick auf die Karten, Bilder und die vor Ort gesammelten Daten, die den Verlust dieser gigantischen Eismassen und damit die Auswirkungen unseres globalen Handelns auf diese Region dokumentieren. Und Gespräche mit den dort lebenden Menschen bezeugen hautnah, welchen Veränderungen das Leben in der Region bereits unterliegt.  

Die Ereignisse im Südpolarmeer haben auch Auswirkungen auf das Klima in der nördlichen Hemisphäre. Was ist in den vergangenen wenigen Jahren passiert?

Die südliche Polarregion erscheint uns sehr fern. Aber Veränderungen in dieser Region haben großen Einfluss auch auf Nord-Europa. Die Meeresströmungen verteilen das Schmelzwasser des Eises eben auch dorthin. In den vergangenen zweieinhalbtausend Jahren variierte der Meeresspiegel um etwa 25 Zentimeter. Allein in den letzten 100 Jahren ist er aber um mehr als 20 Zentimeter angestiegen. Auch in der Arktis, in Grönland, gibt es einen dramatischen Rückgang des Eisschildes, einem bislang konstanten Süßwasservorrat. Inzwischen fehlt dort eine Eisfläche, die so groß ist wie Großbritannien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Polen und Norditalien zusammen. Wir gehen davon aus, dass das großen Einfluss auf die Wetterbedingungen in Nordeuropa hat, ebenso wir die Übersäuerung der Meere. Die Ozeane dienen von jeher als CO2-Senke, das heißt sie nehmen CO2 aus der Luft auf, das von Pflanzen, Bäumen und Menschen ausgestoßen wird. Doch der massenweise Verbrauch fossiler Brennstoffe mit dem folgenden CO2-Ausstoß überfordert mittlerweile die Weltmeere. Sie versauern und können ihrer natürlichen Aufgabe im Klimageschehen nicht mehr nachkommen.

Welche neuen, sauberen Technologien sehen Sie und empfehlen Sie, um die Erwärmung des Planeten, das Abschmelzen der Gletscher aufzuhalten?

Die Herausforderung ist, die Emission der Treibhausgase möglichst auf Null zurückzufahren. Damit sind Veränderungen in fast allen Bereichen unsers Lebens verbunden: Verkehr und individuelle Mobilität, Reisen, Landwirtschaft, Müllproduktion- und -entsorgung. Wir benötigen effizientere und weniger energieintensive Baumaterialien und müssen mehr natürliche Materialien wie Holz verwenden. Aber auch ganz persönliche Veränderungen spielen in der Masse eine große Rolle, zum Beispiel in der Ernährung. Die Nahrungsmittelproduktion, insbesondere die intensive Fleischindustrie, sind wichtige Faktoren der CO2-Emission. Wir haben bereits viele Technologien, zum Beispiel zur ressourcenschonenden Gewinnung erneuerbarer Energien. Was wir brauchen, ist ein Zusammenspiel von Wissenschaft, die Zusammenhänge klärt und moderne Technologien entwickelt, von Politik, die Anpassungen in Ökonomie und Industrie bewirkt und von der Bereitschaft der Menschen, ihre individuellen Verhaltens- und Konsumgewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen – für eine nachhaltige, bessere Zukunft. Ich bin überzeugt, dass Ungleichheit bekämpft werden kann, um eine faire und gerechte Welt zu schaffen, dass die Natur wertgeschätzt und unterstützt werden kann, um sie zukünftigen Generationen besser und widerstandsfähiger zu übergeben, und dass die Bedrohung durch den Klimawandel begrenzt werden kann durch die schnelle Reduktion von Treibhausgas und das Bekenntnis zu politischer und industrieller Anpassung.   

Nun trat allerdings zu der ohnehin schon alarmierenden Situation Ende 2019 noch eine weitere Bedrohung der Menschheit hinzu: COVID-19. Wirft uns das zurück? Wie können wir dem begegnen?

Es macht offensichtlich, dass wir an einem Scheideweg stehen. Die Pandemie führt uns genau zu der Frage, die auch der Klimawandel an uns stellt: Wie können wir unsere Widerstandsfähigkeit gegen solche Bedrohungen steigern? Die Antwort ist: Wir müssen – und zwar global – neue Verhaltensweisen erlernen, mit denen wir unsere Umwelt und unsere Gesellschaften unterstützen und nicht schädigen. Wir befinden uns in einer Übergangsphase zwischen der Industriellen Revolution und einer neuen Zeit, die sich durch saubere Industrie und eine gerecht organisierte Gesellschaft auszeichnet. Dieses Ziel erfordert die Einsicht, dass wir in eine bessere Zukunft investieren müssen und nicht in die Vergangenheit. 

Sind Ihre eigenen Kinder auch eine Triebfeder für Ihre Forschung?

Natürlich möchte ich, dass meine beiden Mädchen, fünf und sieben Jahre alt, in einer lebenswerten Welt aufwachsen und leben können. Und mir ist klar, dass die Entscheidungen, die wir alle in den nächsten wenigen Jahren treffen, ihre Zukunft und auch die der darauffolgenden Generationen entscheidend beeinflussen werden.

Die Bewältigung des Klimawandel-Problems erfordert internationale Zusammenarbeit und, wie Sie sagen, politische Unterstützung. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als europäische Wissenschaftlerin nun durch den Brexit?

Wissenschaft ist eine globale Leistung, eine globale Anstrengung. Die Zeit drängt und es ist offensichtlich, dass wir nur gemeinsam erfolgreich sein können. Wir müssen Erkenntnisse und Innovationen teilen und mit Kolleg*innen weltweit zusammenarbeiten. Natürlich hoffe ich, dass das künftig sichergestellt werden kann.

Sie haben zusammen mit HRH The Prince of Wales, mit Prinz Charles, ein Buch in der “Ladybird Expert Book”-Reihe über den Klimawandel geschrieben. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?

Oh, es war eine sehr inspirierende Zusammenarbeit, obwohl es aus Zeitgründen tatsächlich nicht einfach war, sie zu organisieren. Ich habe ihn als äußerst engagierten Menschen kennengelernt. Das Thema Umwelt verfolgt er schon seit Jahrzehnten mit einer unglaublichen Leidenschaft. Das Buch entstand bereits 2016, und es war ihm damals extrem wichtig, die breite Öffentlichkeit auf das Klimaproblem und die Bedrohung unserer Lebenswelt aufmerksam zu machen. Er wollte den Menschen zeigen, wie nah sie an jedem von uns dran ist. Das Cover zeigt zum Beispiel ein Hochwasser-Ereignis im Vereinigten Königreich. Charles hat persönlich mehrere solcher betroffenen Regionen besucht und wollte deshalb gerade dieses Bild für den Buchumschlag verwenden. Er wollte zeigen, wie sehr der Klimawandel auch unser Land betrifft.

Prinz Charles sagt in diesem Buch: „Wir haben unseren Planeten misshandelt und seine natürlichen Systeme missbraucht. Wenn der Planet ein Patient wäre, hätten wir uns schon vor langer Zeit um ihn gekümmert." Welche Botschaft haben Sie für das Publikum?

Die Bewältigung des Klimawandels ist eine Mission, bei der wir nicht versagen dürfen. Wir müssen unbedingt erfolgreich sein. Wir müssen es für unsere Kinder tun. Versagen dürfen wir auch nicht bei der zusätzlichen, neuen Herausforderung, der Bekämpfung der Pandemie. Die Lösung dieses Problems dürfen wir nicht Einzelnen überlassen. Wir müssen die globale Kreativität mobilisieren, die Innovationskraft aller Universitäten und aller Forschenden weltweit nutzen, um für unsere Kinder eine bessere Welt zu schaffen und für uns alle eine Atmosphäre von Aufbruch und Hoffnung.

 

Vielen Dank!

Das Gespräch führte Patricia Pätzold