Pressemitteilung | 16. Februar 2023 | sn

Zuwanderung 2015/2016 dämpfte den Fachkräftemangel in brandenburgischen Kommunen kaum

Studie zur Rolle von Bürgermeistern im Land Brandenburg zur Bewältigung der Fluchtbewegung 2015/2016 und Interview mit Migrationsforscherin Felicitas Hillmann zur Einwanderung in Folge des Ukraine-Krieges

„Mit den Geflüchteten 2015/2016 verband sich bei einigen Bürgermeistern brandenburgischer Städte die Hoffnung, dass sie die demografische Schrumpfung ihrer Kommunen ausgleichen könnten. Diese Hoffnung hat sich in der Regel ebenso wenig erfüllt wie die Hoffnung, durch die Zuwanderung die fehlenden Fachkräfte zu ersetzen“, sagt Prof. Dr. Felicitas Hillmann, Migrationsforscherin an der TU Berlin. Viele der besser Qualifizierten unter den Geflüchteten seien schnell nach Berlin oder in andere Großstädte in Westdeutschland weitergezogen und „dieses Weiterziehen wurde vor allem von jenen Einheimischen als demotivierend empfunden, die sich in der akuten Notsituation engagiert hatten“, so Hillmann weiter. Dass die jeweiligen Kommunen für die Geflüchteten nur Zwischenstationen waren, bestätigte wiederum das Gefühl bei einigen helfenden Einheimischen, peripher und abgehängt zu sein.

Das sind einige der wichtigsten Befunde einer Befragung, die Prof. Dr. Felicitas Hillmann 2019 unter einer brandenburgischen Bürgermeisterin und sieben brandenburgischen Bürgermeistern durchgeführt hatte zu der Frage, wie die Zuwanderung 2015/2016 von den Städten, denen die Bürgermeisterin und die Bürgermeister vorstanden, bewältigt worden sei. Für die Studie wurden Kommunen mit einer Bevölkerung zwischen 12.000 und 57.000 Einwohnern ausgewählt. Der Anteil der Bevölkerung ohne deutschen Pass lag bei diesen acht Kommunen 1991 zwischen 0,2 und 1,2 Prozent; 2019 zwischen 3,9 und 11,8 Prozent. Bis auf eine Stadt im Speckgürtel hatten sieben Städte seit der Wiedervereinigung einen Bevölkerungsrückgang zwischen 18 und 44 Prozent erlebt.

Als Gründe für die gescheiterte Arbeitsmarktintegration nannten die Bürgermeister mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende Anerkennung der beruflichen Qualifikation sowie Arbeitgeber, die wegen bürokratischer Hürden, fehlender Motivation der Geflüchteten und Diskriminierung der Schutzsuchenden durch andere Mitarbeiter frustriert waren. „Doch gab es auch in der Gruppe der zugewanderten Frauen, die im Pflegesektor tätig wurden, positive Einschätzungen hinsichtlich der Integration in den Arbeitsmarkt“, so Prof. Dr. Felicitas Hillmann. Dieses Ergebnis lege nahe, dass die Behebung des Fachkräftemangels durch Migration nicht einer einfachen Logik folge, sondern sehr komplex sei und langfristig gedacht werden müsse.

Die interviewten Bürgermeister berichteten zudem unisono, dass sie 2015/2016 auf keine funktionierende Infrastruktur zurückgreifen konnten: Ausländerbehörden in Brandenburg zum Beispiel hatten über Jahre kaum zu tun und waren deshalb nicht in der Lage, so schnell wie nötig zu reagieren. „Jobcenter, Ausländerbehörden, Meldebehörden sowie Sozialressorts und soziale Träger mussten einzeln kontaktiert werden. Eine zentrale Instanz, die das Wissen und die Aktivitäten gebündelt hätte, existierte nicht“, so Prof. Dr. Felicitas Hillmann. Die Bürgermeister standen vor der Situation, die Schutzsuchenden von einem Tag auf den anderen unterbringen zu müssen und einer Polarisierung der Bevölkerung entgegenzuwirken. Hillmann: „Die Bürgermeister mussten dazu beitragen, globale Dynamiken lokal zu bewältigen.“

In vier der acht Städte wurden überhaupt erstmals Geflüchtete aufgenommen. Besonders in den hinsichtlich der Bevölkerung homogen strukturierten Städten kam es zu Protesten. Die Befragung ergab, dass so gut wie alle Bürgermeister das Ziel verfolgten, die Geflüchteten dezentral unterzubringen und nicht in Sammelunterkünften wie Flüchtlingsheimen. So sollte eine räumliche Segregation zwischen einheimischer Bevölkerung und den Flüchtlingen vermieden werden.

Gegen die in den sozialen Medien wie Facebook, Twitter und weiteren Messenger-Diensten geschürten Unsicherheiten bezüglich dem emotional aufgeladenen Thema Migration fühlten sich die Bürgermeister jedoch hilflos. „Der damals neue Gebrauch der sozialen Medien trug wesentlich dazu bei, dass gewaltsame Angriffe auf die Flüchtlinge zunahmen“, sagt Hillmann.

„Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Fluchtbewegung 2015/2016 das ländlich strukturierte Brandenburg im Hinblick auf Migrationsfragen aus dem Dornröschenschlaf riss. Das zeigt sich an einem deutlichen Zuwachs von Menschen ohne deutschen Pass. Allein dieser Fakt setzte ein Nachdenken über die Herausforderungen einer Migrationsgesellschaft in Brandenburg in Gang. Die damals gemachten Erfahrungen könnten den Grundstein für eine langfristige Transformation Brandenburgs hin zu einer Einwanderungsregion bilden“, resümiert Prof. Dr. Felicitas Hillmann.

Die Studie ist Teil des Projektes „Cities Need What They Can’t Plan Fully: Migration, Diasporas and Planning for Cosmopolitan Urbanity in Smaller Municipalities in the UK and Germany“ und wurde von Prof. Dr. Felicitas Hillmann zusammen mit der University of Oxford durchgeführt. Sie entstand im Rahmen einer Förderung durch die Berlin University Alliance.

Kontakt

Prof. Dr.

Felicitas Hillmann

Vernetzungsprojekt „Paradigmenwechsel“ am Institut für Stadt- und Regionalplanung

hillmann@tu-berlin.de