Medieninformation | 3. November 2020 | sn

Plattformökonomie – Wilder Westen oder Recht und Ordnung?

Eine vergleichende Analyse in 28 EU-Ländern will herausfinden, ob sich Gigwork-Unternehmen in das Gefüge nationaler politischer und wirtschaftlicher Regeln einordnen oder diese unterlaufen

Für die einen sind sie der Aufbruch in eine neue innovative Form der Arbeit. Für die anderen zerrütten sie die gesetzlichen Errungenschaften in der Arbeitswelt, den Wohnungsmarkt oder gleich die ganze Wirtschaft. Die Rede ist von sogenannten Gigwork-Plattformunternehmen wie Uber, Deliveroo und Airbnb. „Aber es gibt weder für eine rosarote Zukunft noch für das Heraufbeschwören des Endes unserer Wirtschaft empirische Belege“, sagt Prof. Dr. Stefan Kirchner, Leiter des TU-Fachgebietes Digitalisierung der Arbeitswelt und Wissenschaftler am Einstein Center Digital Future der Einstein-Stiftung Berlin. Diese Lücke soll nun mit dem Forschungsprojekt „Spielt die Makro-Ebene eine Rolle? Eine vergleichende Analyse von Institutionengefügen und Gigwork-Plattformen in den Ländern der EU-28“ geschlossen werden. Stefan Kirchner leitet das Vorhaben zusammen mit Prof. Dr. Jürgen Beyer von der Universität Hamburg.

Kaum Wissen vorhanden

Gigwork-Unternehmen sind Unternehmen, die über Plattformen, also digital, Dienstleistungen anbieten, die aber ortsgebunden ausgeführt werden wie beispielsweise die Auslieferung von Essen, das Mieten von Ferienunterkünften oder der Personentransport von A nach B. „Während einige Untersuchungen annehmen, das Gigwork-Unternehmen einer gesetzlichen Regulierung einfach ausweichen, nehmen andere etablierte Ansätze an, dass nationale Gesetze und Regeln wirtschaftliche Aktivitäten prägen und so auch für Gigwork gelten. Derzeit wissen wir jedoch vergleichsweise wenig darüber, ob und wie das nationale Gefüge aus Gesetzen und Regeln relevant ist für die bezahlte Arbeit auf Gigwork-Plattformen in vielen europäischen Ländern“, erläutert Stefan Kirchner. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden deshalb die systematische Verknüpfung von Gesetzen und Regeln und Gigwork-Plattformen in den 28 EU-Ländern vergleichend analysieren und versuchen zu beschreiben, worin die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen bestehen, die digitalisierte Arbeitswelt mit Gesetzen und Regeln einzufangen. Das Land Berlin ging beispielsweise mit dem Zweckentfremdungsgesetz gegen zunehmend gewerbsmäßige Angebote auf Airbnb vor, während beispielsweise Gewerkschaften immer wieder auf die problematischen Arbeitsbedingungen bei Deliveroo hingewiesen haben und versuchten, dagegen rechtlich vorzugehen.

Neue digitale Methode für Ländervergleiche

Um eine vergleichende Analyse zwischen den 28 EU-Ländern zu ermöglichen, entwickelt das Projekt eine neue digitale Methode für Ländervergleiche. Diese Methode wird Crowdsourcing-Plattformen nutzen, um die Datensammlung als bezahlte Aufträge an Personen in den jeweils zu untersuchenden Ländern zu vergeben. Die so gesammelten Daten werden in einen Länderdatensatz eingespeist und mit quantitativen Methoden ausgewertet. „Die qualitativen und quantitativen Ergebnisse sollen dann die Verknüpfungen von Gesetzen und Regeln mit Gigwork-Plattformen abbilden und festhalten, welche Muster und Mechanismen diese Verknüpfungen prägen“, sagt Prof. Dr. Stefan Kirchner. Crowdsourcing-Plattformen sind im Gegensatz zu Gigwork-Plattformen, Plattformen, auf denen die Arbeit ausschließlich digital geleistet wird.

Das Projekt ist Teil des Schwerpunktprogrammes „Digitalisierung der Arbeitswelten. Zur Erfassung und Erfassbarkeit einer systematischen Transformation“ (SPP 2267) der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ziel des Schwerpunktprogrammes ist es, die derzeit stark fragmentierte Forschung zum Thema Digitalisierung der Arbeitswelten zusammenzuführen, um die Prozesse und Mechanismen, die dieser Transformation zugrunde liegen, zu verstehen. Das Vorhaben von Prof. Dr. Stefan Kirchner wird über drei Jahre mit insgesamt circa 575.000 Euro gefördert.

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