Medieninformation | 31. März 2021 | pp

Medizinische Versorgung sinnvoll planen

Im Projekt „PopGroup“ soll ein System entwickelt werden, das erstmalig einen Überblick über den Versorgungsbedarf der Bevölkerung in Deutschland gibt

Die Gesellschaft altert, chronische Krankheiten nehmen zu, und gleichzeitig treten Probleme von medizinischer Unter-, Über- und Fehlversorgung der Bevölkerung immer stärker zutage. Das deutsche Gesundheitswesen steht vor enormen Herausforderungen. Fehlende Instrumente zur Ermittlung des regionalen Bedarfs an Krankenhäusern und an ambulanter Behandlung erschweren es, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung bedarfsgerecht zu planen und effizient zu verbessern. Um diese Lücke zu schließen, haben Wissenschaftler*innen der TU Berlin, gemeinsam mit dem BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) und weiteren Partnern nun das Projekt „PopGroup“ aus der Taufe gehoben. 

Ziel ist es, ein System zur Klassifikation von Patientengruppen zu entwickeln, das es ermöglicht, die individuelle medizinische Versorgung der Bevölkerung sektorenübergreifend zu planen. Das Projekt wird über drei Jahre mit rund 1,8 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert. Sprecher des Konsortiums ist Prof. Dr. med. Reinhard Busse, der das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin leitet. Das Projekt startet zum 1. April 2021.

„Um den medizinischen Versorgungsbedarf regional differenziert erheben zu können, Versorgungsstrukturen zu planen sowie ungünstige Muster der Inanspruchnahme von Leistungen zu korrigieren, werden bevölkerungsbezogene Klassifikationssysteme benötigt“, erklärt Professor Reinhard Busse, und PD Dr. Wilm Quentin, leitender Wissenschaftler im Projekt „PopGroup“, ergänzt: „Weltweit werden bereits verschiedene Methoden eingesetzt. In Deutschland ist ein vergleichbares System längst überfällig.“

Klassifikationssystem für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung der Bevölkerung

Bereits 2018 gab der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ein entsprechendes Gutachten heraus. Darin empfahl er die Planung einer sektorenübergreifenden Versorgungsstruktur, um den Bedarf in den Sektoren „ambulante ärztliche Behandlung“ und „Krankenhausbehandlung“ beurteilen zu können. Auch der Faktor Morbidität müsse klar daraus hervorgehen, also die Art der Krankheiten und die Anzahl der hiervon betroffenen Personen in einer Region.

Mit dem Projekt „PopGroup“ wollen die Wissenschaftler*innen nun auf Grundlage empirischer Daten ein solches bevölkerungsbezogenes Klassifikationssystem entwickeln, das eine sektorenübergreifende und morbiditätsorientierte Planung des Bedarfs an gesundheitlicher Versorgung ermöglicht. Der Innovationsfonds, aus dem das Projekt gefördert wird, fokussiert darauf, die Versorgung der Bevölkerung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen zu verbessern. Die benötigten Daten werden daher auf Basis von Routinedaten der Krankenkassen erhoben, also Daten über ambulante, stationäre und weitere Behandlungen.   

Alle relevanten Diagnosen und Daten im Überblick

„Ziel unseres Projekts ist es, aus diesen umfassenden Leistungs-, Abrechnungs- und Versichertendaten, die alle relevanten Diagnosen eines Versicherten enthalten, einen ‚PopGrouper‘ zu entwickeln. Gemeint ist damit ein Gruppierungsansatz, um Versicherte mit ähnlichem Versorgungsbedarf zu sogenannten ‚PopGroups‘ zusammenzufassen“, erklärt Wilm Quentin. Mit der Bezeichnung „PopGroup“ orientieren sich die Forscher*innen am internationalen Sprachgebrauch. Bevölkerungsbezogene Klassifikationssysteme würden, so Quentin, international häufig „Grouper“ genannt, weil sich jede einzelne Person der Gesamtbevölkerung, der Population, einer klinisch sinnvollen Gruppe zuordnen lasse. Diese Gruppen können dann als Basis dienen, um über eine medizinisch sinnvolle und effiziente Versorgung nachzudenken. Untersucht wird auch die Frage, ob die Methodik erlaubt, Versicherte zu identifizieren, die von einem individuellen Fall-Management profitieren würden.  

„Unser Klassifikationssystem soll breit gefächerte Anwendungsmöglichkeiten im Gesundheitssystem finden“, erläutert Wilm Quentin. So solle der „PopGrouper“ auch dazu dienen, sowohl neue Krankenhäuser und deren Ausstattung als auch den Bedarf an ambulanter Versorgung besser zu planen sowie die Zusammenarbeit aller Akteure zu verbessern. Zusätzlich sollen regionale Vergleiche von Qualität und Effizienz der Versorgung ermöglicht werden. „Das wird auch einen Blick auf die Auswirkungen von Gesundheitsreformen und neuen Behandlungsmethoden erlauben, die so effizienter gemessen und beurteilt werden können“, erklärt Quentin. Der entwickelte Algorithmus wird am Ende des Projekts allen Akteuren des Gesundheitswesens zugänglich gemacht (open source).  

Das Konsortium des Projekts

Im dem neuen Projekt „PopGroup“ arbeitet das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen (MiG) der TU Berlin zusammen mit dem BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg), dem aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen sowie dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Deutsches Krankenhaus Institut (DKI). Konsortialführer ist Prof. Dr. Reinhard Busse, Leiter des TU-Fachgebiets MiG, an dem sowohl eines der vier deutschen gesundheitsökonomischen Zentren des BMBF angesiedelt ist, als auch eines der drei Forschungszentren des European Observatory on Health Systems and Policies der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Beide Zentren sind eng in die Politikberatung eingebunden.

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