Sina Franke hat in ihrer Masterarbeit in Stadtökologie untersucht, ob Miniwälder die grüne Infrastruktur in Berlin ergänzen können. Ein Interview über kühlendes Mikroklima, Naturerfahrungsräume und degradierte Stadtböden
Wir stehen hier in der Neuköllner Donaustraße vor einem kleinen abgezäunten Stück Grün, auf dem viele kleine Pflanzen wachsen, eingerahmt von Pflastersteinen. Ich erkenne einige kleine Eichenbäumchen, die der Berliner Verein TinyForestBerlin hier angepflanzt hat. Was kennzeichnet einen sogenannten Tiny Forest denn aus?
Das Wiederaufforstungskonzept stammt ursprünglich von dem japanischen Pflanzenbiologen Akira Miyawaki. Auf kleiner Fläche ab 100 qm werden sogenannte Miniwälder dicht mit standortgerechten Baum- und Straucharten bepflanzt. Auf einen Quadratmeter kommen drei Pflanzen, im Forstbereich ist es normalerweise nur eine. Durch die hohe Pflanzdichte treten die Pflanzen in Konkurrenz und wachsen sehr schnell in die Höhe, sodass in sehr kurzer Zeit ein kleines Ökosystem entsteht.
Was sind die Vorteile von so einem Tiny Forest in Zeiten des Klimawandels?
Die Vielfalt der Pflanzen trägt zur Biodiversität bei, pro Tiny Forest sind es ca. 20-25 Baum- und Straucharten. Tiny Forests verbessern das Mikroklima, da sie einen kühlenden Effekt auf ihre Umgebung haben. Die Bäume filtern nicht nur Schadstoffe aus der Luft, sondern speichern durch ihr schnelles Wachstum auch in kürzester Zeit CO2. Der durch die Wurzeln gelockerte Boden nimmt gut Regenwasser auf, speichert es. Die durch die Pflanzen aufgelockerte Erde kann aber auch bei Starkregen viel Wasser aufnehmen. Zudem benötigen sie weniger Platz, sind kostengünstiger und brauchen weniger Pflege als andere grüne Infrastrukturen.
Klingt perfekt für urbane Räume mit wenig Grün. In Ihrer Arbeit haben Sie Sich damit beschäftigt, ob das Konzept für eine Stadt wie Berlin Sinn macht. Wie sind Sie vorgegangen?
Ich wollte schauen, ob Tiny Forests die bereits bestehende grüne Infrastruktur in Berlin sinnvoll ergänzen können. Dabei habe ich mir Brachflächen ohne Vegetation angeschaut, weil solche mit Vegetation aus naturschutzfachlicher Sicht wertvoll sind, und Flächen mit Entsiegelungspotenzial. Außerdem habe ich mich auf die Gebiete beschränkt, wo aktuell eine schlechte Grünversorgung besteht, wo es also nicht nur ökologisch am meisten Sinn machen würde einen Tiny Forest zu pflanzen, sondern auch in Bezug auf die Mehrfachbelastungen, denen häufig sozial schwache Menschen ausgesetzt sind.
Was für Belastungen sind das?
Für eine Stadt wie Berlin schlage ich vor, dass wir, im Gegensatz zur ursprünglichen Miyawaki-Methode, nicht nur auf einheimische Baumarten wie den Feld-Ahorn, die Stieleiche oder die Berg-Ulme setzen sollten. Gerade in Zeiten des Klimawandels sollten wir auch klimaangepasste Arten wie den Ginkobaum und die Baum-Hasel aufgrund ihrer Hitze- und Trockenresistenz in Betracht ziehen. Es gibt aber auch einheimische Baumarten wie die Traubeneiche und den Spitzahorn, die gleichzeitig als Klimabäume fungieren können. Zusätzlich eignen sich Straucharten wie die Kornelkirsche, die Himbeere und die Haselnuss sehr gut für Tiny Forests in Berlin.
In der Stadt ist Platz hart umkämpft. Auf welchen Flächen wäre eine Pflanzung gut machbar?
Tiny Forests können für Städte wie in Berlin eine gute Ergänzung zur schon bestehenden grünen Infrastruktur insbesondere dort sein, wo andere Konzepte nicht greifen. Weil Tiny Forests kostengünstiger sind, weniger Fläche und auch weniger Pflege brauchen. Das Konzept eignet sich insbesondere für degradierte Stadtböden, weil der Boden vor der Pflanzung gut durchmischt und bearbeitet wird, er muss also nicht gut sein. Mit meinen Kriterien kamen am Ende nur wenige Flächen in Betracht, weil meine Kriterien sehr eng auf das Zentrum von Berlin beschränkt waren. Die Nutzung könnte aber noch auf weitere Flächentypen ausgeweitet werden und ich sehe auch ein großes Potential für Schulen.
Dort könnten die Schüler*innen dann gleich mitpflanzen?
Genau. Viele Schulen haben oft noch Platz, der wenig genutzt wird, oder versiegelte Flächen. Und falls kein Platz auf dem Schulgelände war, habe ich bei meiner Suche darauf geachtet, dass der potentielle Platz nicht weiter als 500 Meter von einer Schule entfernt ist. Denn hier kommt auch der soziale Aspekt mit rein. Tiny Forests können dann wirklich Naturerfahrungs- und Lehrräume für die Kinder sein, wenn sie von Anfang an bei den Pflanzungen dabei sind und sehen, wie der Wald wächst. Die bisherigen Berliner Tiny Forests des Vereins MIYA stehen z.B. aktuell alle auf Schulgeländen. Wenn es dann bald im öffentlichen Raum Tiny Forests gibt, ist das super, weil das dann Orte sind, wo sich Bürger*innen mit der Natur verbinden können, indem sie den Tiny Forest mitpflanzen, ihm beim Wachsen zuschauen und ihn die ersten zwei, drei Jahre mit pflegen können.
Danach braucht der Tiny Forest keine Pflege mehr?
Nein. Er muss nur in den ersten Jahren von Beikräutern befreit werden, der Boden sollte ab und zu gemulcht und mit Wasser versorgt werden. Danach ist das Ökosystem durch das starke Konkurrenzverhalten der Pflanzen stabil genug.
Was für Bäume und Sträucher sollten denn in so einem Berliner Tiny Forest gepflanzt werden?
Für eine Stadt wie Berlin empfehle ich, anders als bei der ursprünglichen Miyawaki Methode, dass nicht nur einheimische Arten wie z.B. für Berlin der Feld-Ahorn, die Stieleiche oder die Berg-Ulme verwendet werden. Sondern in Zeiten des Klimawandels sind auch klimaangepasste Arten wie für Berlin die Robinie, der Amber- oder der Ginkobaum sinnvoll, weil sie hitze- und trockenresilienter sind.
Was empfehlen Sie noch für eine Pflanzung in Berlin?
Ursprünglich sollen Tiny Forests nicht begangen, sondern sich selbst überlassen werden. Das ist im Zentrum von Berlin aber super schwierig und deswegen müsste er bestenfalls auch ein bisschen begehbar gemacht werden, vielleicht kann man einen Weg durchführen lassen. Da gibt es auch schon intelligente Designs für den urbanen Raum.
Thema Mikroklima: Welche Auswirkungen hat so ein Miniwäldchen in einer zugebauten Straßenlandschaft mitten in Neukölln, ohne sonstiges Grün?
Ich habe keine Daten, das war nicht Teil meiner Forschung. In Zukunft müsste wohl ein einheitliches Monitoring-System für Tiny Forests in deutschen Städten entwickelt werden. Aber man kennt es ja: Wenn man im Sommer aus einem Berliner Park wieder auf die Straße kommt, ist es gleich viel wärmer. Eine gewisse Kühlung bringt so ein Tiny Forest durchaus. Wieviel, das muss noch erforscht werden. Aus psychologischer Sicht würde es aber auch schon sehr viel bringen.
Welchen Rat haben Sie für die Stadt Berlin?
Das man sich vor dem Konzept nicht scheuen sollte, nur weil es neu ist. Gerade da, wo andere Konzepte nicht greifen, kann man die Pflanzung eines Tiny Forest wirklich mal ausprobieren. Ich stecke hier zwar nicht in der Politik und der Bürokratie drin, aber in unserer heutigen Zeit, in der wir vermehrt mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen haben, sollte man nicht zu sehr verkopfen und auch einfach mal machen. Der Verein MIYA geht da z.B. schon mit gutem Beispiel voran. Auch der Verein TinyForestBerlin hat mittlerweile einen Button auf seiner Webseite, wo Bürger*innen Flächen melden können, die sich für einen Miniwald eignen würden. Für Berlin ist das wirklich ein Konzept, was die bestehende grüne Infrastruktur ergänzen kann. Für Flächen, die man gut entsiegeln kann und die einen schlechten Boden haben, ist das Konzept perfekt und hat ein riesen Potential. Das ist super wichtig in Zeiten des Klimawandels und kommt auch dem Vorhaben, Berlin in eine Schwammstadt zu verwandeln, in der Regenwasser gut gespeichert werden kann, genau entgegen.
Das Interview führt Barbara Halstenberg.