Medieninformation | 9. September 2021 | pp

Freund oder Werkzeug? Die Gestaltung von Robotern

Eine Studie aus der Ingenieurpsychologie zeigt, dass menschenähnliche Merkmale bei Robotern nicht überall in der Mensch-Roboter-Interaktion positiv wirken

Warum hat ein Roboter zwei Augen, Mund und Nase? Ist es hilfreich, wenn er spricht und sich bewegt wie ein Mensch? Im sozialen Bereich, zum Beispiel in der Pflege, kann das positive Effekte haben. Doch ein menschenähnlich gestalteter Roboter kann im industriellen Bereich unwirksam sein oder sogar negativ wirken. Wissenschaftler*innen von Technischer Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin haben untersucht, inwiefern die Verwendung menschähnlicher Merkmale eine effektive Mensch-Roboter Interaktion unterstützt. Die Ergebnisse dieser Meta-Analyse sind in der September-Ausgabe der Fachzeitschrift „Science Robotics“ erschienen. Sie ergeben ein differenziertes Bild, unter welchen Umständen die gestalterische Vermenschlichung von Robotern förderlich ist.

„Die Meinung, dass ein gewisser Grad an Menschähnlichkeit die Wahrnehmung von Robotern und die Interaktion zwischen Robotern und Menschen positiv beeinflusst, ist weit verbreitet. Doch es gibt Erkenntnisse, die vermuten lassen, dass sich diese Effekte nicht generalisieren lassen“, so Eileen Roesler, M. Sc. Psychologie – Human Performance in Socio-Technical Systems, und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Arbeits-, Ingenieur- und Organisationspsychologie der TU Berlin. Sie ist Erstautorin des Artikels A meta-analysis on the effectiveness of anthropomorphism in human-robot Interaction“, den sie zusammen mit Prof. Dr. Dietrich Manzey, dem Leiter des TU- Fachgebiets, sowie mit Prof. Dr. Linda Onnasch vom Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin geschrieben hat.

Effekte menschenähnlicher Gestaltung nicht generalisierbar – Unterschiede zwischen Sozialbereich, Service und Industrie

Implementiert werden können diese sogenannten anthropomorphen Gestaltungsmerkmale über das Aussehen, die Kommunikation, die Bewegung und Beschreibung des Roboters. Bisherige Befunde, die nahelegen, dass diese Anthropomorphisierung positive Effekte zeigt, stammen überwiegend aus dem Bereich der sozialen Robotik, das heißt aus einem Bereich, in dem Roboter als soziale Interaktionspartner für Menschen eingesetzt werden, etwa in der Pflege oder in der Bildung.

Eigene Studien ließen aber vermuten, dass sich diese Effekte nicht unbedingt generalisieren lassen und nicht alle Bereiche der Mensch-Roboter-Interaktion gleichermaßen beträfen, so die Wissenschaftler*innen. Besonders in Bezug auf das Aussehen und die Beschreibung von Robotern haben Untersuchungen der Autor*innen zum Beispiel gezeigt, dass eine Ausstattung von Robotern mit menschenähnlichen Merkmalen in aufgabenbezogenen und industriellen Bereichen auch negative Konsequenzen haben kann. „Dort kann Anthropomorphismus zum Beispiel den Werkzeugcharakter von Robotern verschleiern und damit zu einem geringeren Vertrauen führen“, so Eileen Roesler. „Ausgehend von diesen eigenen Experimenten, die teilweise im starken Kontrast zum aktuellen Forschungsstand der sozialen Robotik stehen, entwickelten wir die Idee und die konkreten Fragestellungen der jetzt publizierten Meta-Analyse.“

Studien mit rund 6000 Versuchspersonen ausgewertet – wann ist die anthropomorphe Gestaltung sinnvoll?

Über 4800 wissenschaftliche Artikel werteten die Forscher*innen für ihre Untersuchung aus und konnten so 78 Studien mit insgesamt rund 6000 Versuchspersonen nutzen, um zu erforschen, unter welchen Umständen Anthropomorphismus effektiv, unwirksam oder sogar kontraproduktiv sein kann.

„Die Ergebnisse der Meta-Analyse zeigen dabei über alle Einzelstudien hinweg durchaus einen positiven Effekt von Anthropomorphismus auf die Wahrnehmung, die Einstellungen, und die affektiven und verhaltensbezogenen Reaktionen von Menschen in ihrer Interaktion mit Robotern“, erläutert Professor Dietrich Manzey, TU-Fachgebietsleiter und Ko-Autor der Studie. „Spezifischere Teilanalysen des Datensatzes, zeigen aber auch, dass Anthropomorphismus bei Robotern keineswegs ein Universalmittel zur Förderung der Mensch-Roboter-Interaktion darstellt.“ So konnten zum Beispiel keine Belege für positive Effekte von Anthropomorphismus auf die wahrgenommene Sicherheit von Robotern und die Aufgabenleistung bei gemeinsamen Aufgaben gefunden werden, die gerade in Bereichen, in denen Roboter als Werkzeuge benutzt werden, bedeutsam sind, zum Beispiel in Service oder Industrie.

Neben einem durchweg positiven Befund aus dem Bereich der sozialen Robotik konnten die Wissenschaftler*innen zeigen, dass insbesondere in Bereichen, in denen Roboter für die Erledigung kollektiver Aufgaben benutzt werden, ein differenzierteres Bild vorherrscht. Eine verbesserte Wahrnehmung von anthropomorphen Robotern, zum Beispiel als „intelligent“ oder „sympathisch“ müsse nicht Hand in Hand gehen mit einer tatsächlich besseren Leistung in der Zusammenarbeit mit Robotern.

Ansätze für weitere Forschung und für Praktiker*innen zur menschzentrierten Gestaltung von Robotern

Eine bedeutende Rolle, so zeigt die Studie, spielt auch die Art der Implementierung anthropomorpher Elemente. Diese Merkmale zeigen vor allem dann positive Effekte, wenn sie möglichst sinnhaft auf die Aufgabe bezogen gestaltet werden, beispielsweise eine Augenbewegung, die signalisiert, was der Roboter gerade verarbeitet. „Das ist besonders für die Gestaltung von Robotern für industrielle Anwendungen und den Servicebereich interessant“, erklärt Eileen Roesler. „Dort wird die Bedeutung von oberflächlicher Anthropomorphisierung aktuell scheinbar noch überschätzt.“

Hier zeigen sich, so die Autor*innen der Studie, noch deutliche Forschungslücken. So werde Anthropomorphismus von Robotern oft als ein wesentliches Mittel zur Steigerung von Vertrauen und Akzeptanz technischer Systeme angesehen. Die Analyse zeige aber eine mangelnde empirische Evidenz für diese Annahme. „Für Wissenschaftler*innen zeigen unsere Ergebnisse viele Ansatzpunkte für die weitere Forschung zu Mensch-Roboter-Interaktion gerade aus psychologischer Perspektive“ so Eileen Roesler. „Für Praktiker*innen und Entwickler*innen robotischer Systeme lassen sich aber bereits Erkenntnisse für die möglichst menschzentrierte Gestaltung von Robotern ableiten, die auch helfen, eine Anthropomorphisierung der robotischen Systeme gezielter und effektiver einzusetzen als bisher.“

Das Fachgebiet Arbeits-, Ingenieur- und Organisationspsychologie an der TU Berlin

Das Fachgebiet Arbeits-, Ingenieur- und Organisationspsychologie beschäftigt sich mit Aspekten rund um die Frage, wie die Arbeit von Menschen in komplexen technischen Systemen effizienter, sicherer und menschengerechter gestaltet werden kann. Dazu gehören die Bereiche Multitasking, Luft- und Raumfahrtpsychologie, Automationspsychologie und Mensch-Roboter-Interaktion. 

Der Science-Artikel zur Studie

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