Medieninformation | 24. November 2022 | sn

„Bodies of Water“ – Berlins Grundwasserleiter als gläserne Skulpturen

Das Projekt „Flow of Berlin“ brachte Wissenschaft und Kunst zusammen mit dem Ziel, die Wissenskommunikation zwischen beiden Bereichen zu fördern und ein Objekt zum Thema Wasser in der Hauptstadtregion zu designen

Wie wird Unsichtbares wie der Grundwasserleiter von Berlin sichtbar? Indem Wissenschaftlerinnen Daten und Grafiken Designerinnen zur Verfügung stellen und sie diese Daten in ein Designobjekt verwandeln. So geschehen in dem Projekt „Flow of Berlin“. Drei Monate vermittelte Prof. Dr. Irina Engelhardt, Leiterin des Fachgebiets Hydrogeologie der TU Berlin, der Desgnerinnengruppe Studio Lapatsch|Unger und Studio Johanna Schmeer ihr Wissen über Grundwasser im Allgemeinen und über die hydrogeologischen Gegebenheiten des Untergrundes in Berlin-Brandenburg im Besonderen. Aus diesem Wissen formten die Designerinnen Anja Lapatsch, Annika Unger und Johanna Schmeer Glasobjekte, die sie „Bodies of Water“ nennen und die ein Abbild des unsichtbaren Berliner Grundwasserleiters sind.

Zu sehen sind die „Bodies of Water“ (Gewässer) derzeit in der Ausstellung „:RETOOL“.

Zeit: bis 18. Dezember 2022
Ort: ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Lorenzstraße 19, 76135 Karlsruhe

„:RETOOL“ ist Teil der S+T+ARTS-Ausstellungsreihe „Repairing the Present :REWORLD :REWILD and :RETOOL“.

Inspiriert wurden Anja Lapatsch, Annika Unger und Johanna Schmeer von der grafischen Darstellung von circa 50 geologischen Schnitten, die sowohl in Nord-Süd-Richtung als auch in Ost-West-Richtung durch Berlin verlaufen. Diese Schnitte zeigen den geologischen Untergrund von Berlin, die teilweise aus grundwasserführenden Schichten bestehen und aus denen die Berlinerinnen ihr Trinkwasser beziehen. „Aus den zweidimensionalen Daten des Berliner Grundwasserleiters haben wir mit Hilfe eines Computerprogramms ein dreidimensionales Modell erzeugt. So erhielten wir die untere und obere Abgrenzung des Grundwasserleiters, die wir in Holz frästen. Es entstanden zwei Holzstempel. Im tschechischen Nový Bor, das für seine Glasbläsereiproduktion weltberühmt ist, wurde in einer Glasbläserei der flüssigen Glasmasse dann die untere und obere Topografie des Berliner Grundwasserspiegels sozusagen aufgedrückt und die Glasbläser bliesen daraus mehrere verschiedene Glasgefäße“, erläutert Anja Lapatsch den Produktionsprozess der „Bodies of Water“. Mit diesen Wasserkörpern holten die drei Designerinnen buchstäblich den Berliner Grundwasserleiter aus der Tiefe der Erde ans Licht, machten ihn sichtbar, anfassbar und damit fühlbar.

„Das Überraschende für mich an dieser Zusammenarbeit mit den Designerinnen war, wie sie aus abstrakten geologischen Daten etwas sinnlich Erlebbares kreierten und sich unter ihrem künstlerischen Blick, ihrer Fantasie diese Daten in faszinierende Glasobjekte verwandelten. Als Hydrogeologin und Ingenieurin wäre ich nicht im Traum daraufgekommen, dass man mit diesen Daten, mit denen ich tagtäglich zu tun habe, so ästhetische Gegenstände erzeugen kann. Wo ich als Ingenieurin nur Daten sehe, entdeckten sie Schönheit, zerbrechliche Schönheit“, erzählt Prof. Dr. Irina Engelhardt. Denn in der Tat, der Grundwasserspiegel in Berlin und Brandenburg sinkt besorgniserregend durch die seit mehreren Jahren in Folge ausbleibenden Sommerniederschläge und zunehmende Grundwasserförderung.

„Flow of Berlin“ fand im Rahmen des europäischen Horizon22-Programms statt. Die Ausschreibung hatte zum Inhalt, Wissenschaft und Kunst in einem konkreten Projekt unter anderem zum Thema Wasser zusammenzuführen. „Zwölf Berliner Expertinnen und Experten, die sich mit Wasser beschäftigen, darunter ich als Hydrogeologin an der TU Berlin, formulierten schließlich einen internationalen Call, sich mit dem Wasser in der Berlin-brandenburgischen Region unter dem Aspekt des Klimawandels zu beschäftigen. Den Zuschlag erhielten das Studio Lapatsch|Unger und Studio Johanna Schmeer. „Wir bewarben uns für dieses Programm, weil uns einerseits bewusst war, wie essenziell Wasser für unser Leben ist. Wir andererseits beim eigenen Befragen, was wir eigentlich über Wasser wissen, feststellen mussten, wie wenig es ist. Auch inspirierte uns, dass etwas so Lebensnotwendiges wie der Grundwasserleiter, über den wir unser Trinkwasser beziehen, so verborgen ist“, erzählt Anja Lapatsch. „Deshalb war ein wichtiges Motiv für uns als Designerinnen, den lebenspendenden, aber unsichtbaren Grundwasserleiter zu visualisieren und in eine haptische Form zu übertragen, um ihn mehr ins Bewusstsein seiner Nutzerinnen zu rücken und somit eine höhere Aufmerksamkeit auf die Thematik zu lenken.“

Das Wissen, das Prof. Dr. Irina Engelhardt vermittelte, führte die Designerinnen schließlich zu dem zweiten Teil des Projektes. „Jedes Wasser hat einen bestimmten Geschmack. Der wird von den Gesteinen geprägt, durch die das Grundwasser seinen Pfad im Untergrund genommen hat. Denn bei diesem Prozess löst das Wasser Minerale aus dem Gestein. Ich spreche da auch gern von der Identität des Wassers. Durch Wasseranalysen kann sofort bestimmt werden, aus welchen Gesteinsschichten der Grundwasserleiter besteht“, sagt Irina Engelhardt. Aus den drei wasserführenden Gesteinsschichten des Berliner Grundwasserleiters Sandstein, Travertin und Muschelkalk ließen sie 17 Zentimeter lange Stäbe fräsen, die in Glasbehälter mit Trinkwasser aus anderen Orten getaucht werden. „Auch diesen unsichtbaren und vielleicht für die meisten kaum bekannten Vorgang wollten wir symbolisch sicht- und erfahrbar machen“, sagt Anja Lapatsch. „In der Natur vollzieht sich dieser Vorgang über viele Jahre, bevor eine Veränderung der mineralischen Zusammensetzung des Wassers festzustellen ist“, ergänzt Prof. Dr. Irina Engelhardt.

Die „Bodies of Water“ waren bereits in Rom im MAXXI – Museo nazionale delle arti del XXI secolo („Nationales Museum der Künste des XXI. Jahrhunderts“) und in Mailand im MEET | Digital Culture Centren zu sehen. Nun erstmalig in Deutschland.

Kontakt

Prof. Dr.

Irina Engelhardt

irina.engelhardt@tu-berlin.de

Einrichtung Hydrogeologie