Auf die Persönlichkeit kommt es an

Geraldine Rauch ist zupackend, unkonventionell und zielstrebig. Als erste Frau führt sie nun die TU Berlin

Entspannung findet sie bei ihrem Mann und ihrem sechsjährigen Sohn zuhause in Berlin-Mitte oder bei ihren beiden Ponys Lotte und Benni in der Natur in Berlin-Blankenfelde, beim Keyboardspielen oder beim Malen. Doch diese Momente sind bei Geraldine Rauch derzeit rar. Schon Wochen vor ihrem Amtsantritt als TU-Präsidentin eilte sie zwischen ihrem Institut für Biometrie und Klinische Epidemiologie an der Charité und der TU Berlin hin und her, von Termin zu Termin, zu Gesprächen mit den künftigen Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen und Studierenden, zu Besichtigungen, zu Presseinterviews. Eine Web-Konferenz jagt seitdem die andere. Doch die fröhliche Art, das lebendige Lachen lassen eine unbändige Kraft, Willensstärke und Zuversicht der 39-Jährigen erahnen – übrigens die jüngste unter den Präsident*innen aller staatlichen deutschen Hochschulen.

Diversität muss zur Normalität werden

Was motiviert eine junge Mathematikerin, die sich mit medizinischer Statistik beschäftigt, ihre Forschung hintanzustellen, um einen Riesentanker wie die TU Berlin zu navigieren? Für fast 34.000 Studierende, 8000 Beschäftigte, 335 Professor*innen und ein Jahresbudget von rund 500 Millionen Euro trägt sie nun die Verantwortung. „Ich möchte gern etwas in der Gesellschaft gestalten. Das Hochschulmanagement war dabei schon lange mein Ziel“, erklärt die frischgebackene Präsidentin, die an der Charité bereits Prodekanin für Studium und Lehre war.

Nur rund 25 Prozent der deutschen Hochschulen werden von Frauen geleitet. So ist Geraldine Rauch auch Rollenvorbild. „Darüber freue ich mich natürlich, Gleichstellung ist mir äußerst wichtig. Aber das war nicht mein Antrieb für die Bewerbung“, sagt sie. Frauen führten zwar anders als Männer, doch vor allem komme es auf Persönlichkeit an. Ob weiblich oder männlich sollte keine Rolle spielen. „Diversität muss Normalität werden. Sie funktioniert aber, gerade für Frauen in der Wissenschaft, nur mit entsprechenden Ausgleichsmodellen und gendergerechten Leistungskriterien.“

Inhalte sind es, die ihr wichtig sind. An der TU Berlin reizt sie die Fächervielfalt. „Wir brauchen für viele gesellschaftliche Herausforderungen technologische Lösungen: Klimawandel, Energiewende, nachhaltige Ressourcennutzung, Mobilität, Metropolenentwicklung …, um nur einige zu nennen. Da sehe ich die TU Berlin mit ihren starken Ingenieurwissenschaften im Verbund mit Geistes- und Planungswissenschaften sowie Lehrerbildung prädestiniert, zusammen mit ihren starken universitären und außeruniversitären Partnern den Technologietransfer in die Gesellschaft voranzutreiben.“

Ihrer Arbeit stellt Geraldine Rauch das gemeinsame Handeln voran. Dafür möchte sie möglichst schnell die internen Prozesse verbessern, die interne Kommunikation durch ein Intranet und eine Kommunikations-AG stärken. Um ein „offenes Präsidium“ zu schaffen, hat sie bereits niedrigschwellige Gesprächs- und Kontaktangebote eingerichtet: eine „digital hour“, eine „campus hour“ und eine „office hour“, die auch an ungewöhnlichen Orten wie studentischen Cafés stattfinden. Sogar mehrtägige Zusammenkünfte außerhalb der Uni, die allen offenstehen, sollen das Ganze flankieren. So steht es auch in ihrem 100-Tage-Programm, das sie gleich zum Amtsantritt am 1. April veröffentlichte. Auch die Lage der Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen empfindet sie in vielen Fällen als dramatisch. Das sei zu lange ignoriert worden. „Als Institutsleiterin habe ich selbst nicht nur die Perspektive der Mitarbeitenden, sondern auch die eigene Machtlosigkeit erfahren, wenn sich ein Kettenvertrag an den anderen reiht, oft kurzfristig, ohne Planungssicherheit.“ Das Ziel von mehr Dauerstellen müsse aber gemeinsam mit den Fachbereichen und den fachspezifischen Rahmenbedingungen angegangen werden. „Das Berliner Hochschulgesetz war hier an vielen Stellen noch ungenau und hat zu Verunsicherung und damit eher zu einer Blockadehaltung geführt. Daher wird aktuell eine Reparatur diskutiert.“

Die großen Baustellen: Hochschulgesetz, marode Gebäude und IT-Struktur

Das Stichwort „Reparaturen“ führt sie schnell zu der maroden Bausubstanz, unter der nicht nur die TU Berlin, sondern auch die anderen Unis leiden. „Hier muss die Politik schnellstens investieren. Dies können die Universitäten allein nicht leisten. Ganze Fächer können nicht mehr richtig untergebracht werden – und das, wo wir den Exzellenzstatus im Berliner Verbund erhalten sollen. Schnell handeln müssen wir auch beim Ausbau der IT-Strukturen, um reibungslosen Datenaustausch in Forschung und Verwaltung sowie eine digital unterstützte Präsenzlehre zu ermöglichen.“ Das hätten Hackerangriff und Pandemie gezeigt.

 „Doch nun müssen wir nach zwei Jahren Homeoffice für Studierende wie Beschäftigte auch dringend den lebendigen Austausch wieder hinbekommen, als Gemeinschaft vor Ort. Dafür hat die TU Berlin auch bereits Konzepte, dank meines Vorgängers Christian Thomsen, den ich sehr schätze, und seines Teams.“ Zum November dieses Jahres übernimmt die neue TU-Präsidentin dann auch die Sprecherschaft der Berlin University Alliance (BUA). „Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen müssen wir gemeinsam und im Verbund der Hochschulen lösen.“

„Ein riesiger Rückschlag für die Menschheit und auch für die Wissenschaft ist allerdings der Krieg in der Ukraine“, stellt sie bitter fest. „Hier müssen wir sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt leben und denen Hilfe anbieten, die sie brauchen.“ Und zupackend wie Geraldine Rauch ist, wurde sie sofort persönlich aktiv: „Ich konnte eine Wohnung anbieten, in der jetzt eine junge Ukrainerin mit ihrem dreijährigen Sohn wohnt.“

Der kurze Weg zur Präsidentin: www.tu.berlin/go3878/

Autorin: Patricia Pätzold