Am 17. Juni 1877 wurde eine Frau geboren, die als erste "Diplomingenieurin" die Technische Hochschule zu Berlin verließ. Vor mehr als 100 Jahren hatte sich Elisabeth von Knobelsdorff als Gasthörerin dort angemeldet, denn Studentin konnte sie nicht werden. Erst 1909 wurde das Studium für Frauen an der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin durch Ministererlass erlaubt.
In diesem Jahr legte sie als erste Frau das Vordiplom ab. Und als sie 1911 mit dem Prädikat „Gut“ das Studium beendet hatte, widmete die Zeitschrift „Bauwelt“ dieser Sensation eine im grammatischen Genus etwas unsicher formulierte Notiz: „… Es ist die erste Dame, die als Architekt den Grad des Diplomingenieurs erhalten hat.“
Während aber das Züricher Polytechnikum bereits 1871 Frauen zum Studium zuließ, betrug ihr Anteil an den deutschen Technischen Hochschulen 1914 erst ein bis zwei Prozent. Eine Studentin galt als „Exotin“.
Einige Männer wie der Kunstkritiker Karl Scheffler glaubten beweisen zu können, dass Frauen sich weder fürs Architektur- noch fürs Technikstudium eignen würden. Selbst der große Adolf Slaby, der ein Gedicht auf die „Frau als Ingenieur“ schrieb, meinte, sie praktiziere lieber zu Hause als an der Hochschule. Doch das war ein maskuliner Irrtum, wie Elisabeth von Knobelsdorff bewiesen hat.
In Potsdam geboren, wuchs sie als "höhere Tochter" im englischen Pensionat auf, erhielt Privatunterricht in Latein und Mathematik und wurde an einem Konservatorium ausgebildet. Im Jahre 1906 legte sie am Münchner Realgymnasium ihr Abitur ab. Ihr besonderes Interesse galt der Architektur. Seit 1908 - noch Gasthörerin an der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin - arbeitete sie mit im Charlottenburger Büro einer Freundin, der ersten deutschen Architektin Emilie Winkelmann. 1912 wurde sie im Verein der Ingenieure und Architekten das erste ordentliche weibliche Mitglied seit 1822.
Das alles blieb nicht ohne Konflikte. Aber das „Frl. Dipl.-Ing.“ setzte sich selbstbewusst durch. Vor dem Ersten Weltkrieg beteiligte sie sich an Wettbewerben und Ausstellungen, besonders solchen, die die Aktivität der Frau in der Gesellschaft propagierten. Dann kam der Weltkrieg, und die Arbeitskraft der Frauen war plötzlich gefragt. Als „Feldarchitekt im Leutnantsrang“ leitete Elisabeth den Bau von militärischer Infrastruktur in Döberitz. Dort kreierte sie unter anderem die „Knobelsdorff-Baracke“ auf dreieckigem Grundriss. Später wurde sie im besetzten Belgien für Militärbauten verpflichtet. Die Zeit zwischen 1914 und 1924 war für das zivile Bauen ungünstig. Krieg und Inflation schränkten die Architektentätigkeit ein. Dennoch wurde Elisabeth von Knobelsdorff 1921 die erste Potsdamer Regierungsbaumeisterin. Sie entwarf zu jener Zeit Ehrenmale für die Weltkriegsgefallenen. 1922 heiratete sie den Legationsrat Kurt von Tippelskirch. Das setzte ihrer Karriere im Staatsdienst 1923 ein Ende. Sie galt als „versorgte Ehefrau“ und wurde entlassen. Jetzt arbeitete sie freiberuflich.
1930 nahm sie an der Ausstellung „Die gestaltende Frau“, initiiert vom deutschen Staatsbürgerinnenverband, in Berlin teil. Sie lebte bereits mit ihrem Mann, der 1927-1938 als Konsul in Boston tätig war, in den USA. Der Diplomat Tippelskirch wurde 1938 wegen politischer Differenzen mit dem NS-Regime ins Reich zurückgerufen. Das Ehepaar zog sich auf ein schlesisches Gut zurück. Dort widerfuhr ihnen 1945 ein tragisches Schicksal. Tippelskirch wurde nach Sibirien deportiert, wo er starb. Seine Frau verlor durch Ausweisung ihr Haus. Sie verbrachte die letzten Lebensjahre in einem Damenstift in Bassum bei Bremen. Dort engagierte sie sich weiterhin kulturell. Sie starb - weitgehend vergessen - am 20. 4. 1959. Ihr Grab befand sich bis 1989 auf dem Bassumer Friedhof. Seit einigen Jahren hat allerdings die Frauenforschung ihr Leben und Werk neu entdeckt.