Clara von Simson habilitierte als erste Frau im Fach Physik an der Technischen Universität Berlin

Sie war - wie man um 1900 sagte - eine Tochter aus gutem Hause. Obgleich Clara von Simson, geboren 1897 in Rom, ihre Kindheit und frühe Jugend im autoritären Kaiserreich verbrachte, gaben ihr die Eltern eine moderne, emanzipatorische Erziehung. Sie genoss als Mädchen gleiche Rechte wie ihre Brüder und durfte später frei ihren Beruf wählen. Sie entschied sich für ein Studium der Physik und Chemie und absolvierte es von 1918 bis 1923 an der Berliner Universität, der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin. Die vier Nobelpreisträger Albert Einstein, Max Planck, Max von Laue und Walter Nernst waren ihre Lehrer. Nach der Promotion schien eine glänzende wissenschaftliche Karriere vor ihr zu liegen.

Doch für Clara, Tochter aus deutsch-jüdischer Familie, änderte ein Datum alles: der 30. Januar 1933. Seit vier Generationen wurde in der Familie christlich getauft, so galt sie dem nationalsozialistischen Regime als „Mischling“, „rassisch minderwertig“ und „unwürdig“ für eine akademische Laufbahn. Ihre Familie, bestehend aus den besten Vertretern des demokratisch gesinnten Bildungsbürgertums, wurde plötzlich als Inkarnation eines „überspitzten jüdischen Intellektualismus“ betrachtet.

Eine Welt ohne Kriegsschrecken und Menschenvernichtung

Doch Clara von Simson resignierte nicht. Sie nahm ihre Kraft, Intelligenz und die Schläue der Bedrängten zusammen, um zu überleben. Und sie überlebte. Als ihr Bruder sowie Frau und Kind bei einem Bombenangriff starben, übernahm sie Verantwortung für die zwei unversehrten Kinder. Schon durch diesen Lebensmut in lebensfeindlicher Zeit hat Clara von Simson allen menschlichen Respekt verdient.

1945, nach Krieg und Zerstörung, blieb sie ihrer Stadt Berlin treu. Sie wollte hier eine andere Welt bauen, die nie wieder Kriegsschrecken und Menschenvernichtung erleben sollte. Im Herbst 1947 bekam Clara von Simson eine Stelle als Oberassistentin an der Technischen Universität Berlin im Fach Physikalische Chemie – „als Aushängeschild“, wie sie lakonisch formulierte. Ein Studienaufenthalt im „Clarendon Laboratory“ in Oxford 1949/50 half ihr, Wissensdefizite zu beheben, die infolge der Aussperrung aus dem Universitätsbetrieb in der Nazizeit entstanden waren, sowie die experimentellen Grundlagen für ihre Habilitation zu erarbeiten. 1951 habilitierte sie sich auf ihrem Fachgebiet, wurde im folgenden Jahr Privatdozentin und Vertreterin im Akademischen Senat der Technische Universität Berlin.

Die Einheit von technischem Denken und humanistischer Bildung

Wichtig war ihr, in der erneuerten Technischen Universität Berlin die Einheit von technischem Denken und humanistischer Bildung im Lehrplan zu verankern. Politisch engagierte sie sich in der FDP, vor allem für die Gleichberechtigung der Frau. So selbstbewusst sie war, so selbstkritisch war sie auch hinsichtlich ihrer akademischen Fähigkeiten. Sie stellte die höchsten Anforderungen an sich und machte sich keine Illusionen. Im August 1952 wurde ihr die Aufgabe einer Direktorin des Berliner Lette-Vereins angeboten, einer Berufsbildungseinrichtung für junge Frauen. Hier engagierte sie sich für die Modernisierung der „Lette-Schulen“, besonders für die Einführung hoch qualifizierter Lehrberufe. Als FDP-Abgeordnete im Landesparlament beteiligte sie sich intensiv an der Formulierung des Berliner Universitätsgesetzes und wurde 1966 Ehrensenatorin der Technischen Universität Berlin.

1963 trat sie ins Seniorinnenalter ein, blieb aber dennoch tätig und aktiv, so im Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung, im Frauenbund und als Berliner Stadtälteste. 1967 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Clara von Simson starb am 26. Januar 1983. Ihre letzte Ruhe fand sie im Familiengrab der Simsons auf dem Jerusalemer Friedhof am Kreuzberger Mehringdamm. Sie erhielt ein Berliner Ehrengrab in einer Familiengrabanlage: Die von Simsons hatten sich in vier Generationen um Berlin verdient gemacht.