Das theoretische Grundgerüst der Thermodynamik steht seit dem Ende des 19. Jahrhunderts fest und manifestiert sich besonders prominent in ihren Hauptsätzen. Abgesehen von nachrangigeren konzeptionellen Erweiterungen, wie z.B. dem Exergiebegriff, fokussiert sich die Forschung in der Thermodynamik seither stark auf die Stoffeigenschaften, wie z.B. Phasengleichgewichte oder kalorische Größen. Deren Kenntnis ist für die Anwendung thermodynamischer Konzepte auf konkrete Problemstellungen unumgänglich. Für Außenstehende ist es oft überraschend, wie lückenhaft die Stoffdatenlage heute, trotz erheblicher Anstrengungen der wissenschaftlichen Community über weit mehr als ein Jahrhundert, nach wie vor ist.
Im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten des Fachgebiets stehen thermodynamische Stoffdaten von Flüssigkeiten und Gasen. Deren Kenntnis ist generell eine Grundvoraussetzung für die Quantifizierung technischer und natürlicher Prozesse, wie z.B. Destillation, Absorption oder Verdunstung. Das Spektrum der dabei relevanten Größen ist breit, was sich z.B. in der Vielfalt eingesetzter Labormessverfahren widerspiegelt, und kann in (zeitunabhängige) Gleichgewichtseigenschaften und Transporteigenschaften gegliedert werden. Für Anwendungen in der Energietechnik sind zum Teil auch Eigenschaften von reinen Fluiden von Interesse, wogegen für die Verfahrenstechnik vor allem Eigenschaften von Mischungen wichtig sind. So ist z.B. die Auslegung von Destillationskolonnen ohne die Kenntnis des Dampf-Flüssigkeits-Gleichgewichts der aufzutrennenden Mischung nicht möglich. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in technischen Destillationsprozessen Mischungen aufzutrennen sind, die oft aus zahlreichen Komponenten zusammengesetzt sind und für die generell kaum Daten in der Literatur zur Verfügung stehen.
Gegenüber der traditionellen Vorgehensweise zur Beschaffung von Stoffdaten durch Experimente oder klassische phänomenologische Vorhersagemethoden sollen am Fachgebiet molekulare Simulationsmethoden forciert werden. Hierbei liegt der Fokus zunächst auf der Ebene der molekularen Wechselwirkungen, die das thermodynamische Stoffverhalten makroskopischer Phasen und deren Gleichgewichte determinieren. Auch Transportgrößen, wie die verschiedenen Diffusionskoeffizienten oder die Scherviskosität, sind eine Folge dieser Wechselwirkungen. Ausgehend von quantenchemischen ab initio Rechnungen für Einzelmoleküle, die Aussagen über deren Geometrie und Elektrostatik machen, können molekulare Kraftfelder aufgestellt werden, die eine ausgezeichnete Vorhersagekraft in Bezug auf verschiedenste thermodynamische Zustandsgrößen haben. Mittels Molekulardynamik bzw. Monte Carlo Simulation werden Molekülensembles ausgewertet und liefern thermodynamische Zustandsgrößen.
Die Forschung am Fachgebiet „Thermodynamik“ der TU Berlin arbeitet primär mit molekularen Simulationsmethoden, jedoch kommen als auch experimentelle Vorgehensweisen zum Einsatz. Ziel ist es ein möglichst abgestimmtes Vorgehen zu erreichen, von dem beide Arbeitsrichtungen profitieren. Darüber hinaus soll auch das Conductor-like Screening Model (COSMO) in der Form der Open Source Implementation COSMO-SAC vorangetrieben werden, womit Vorhersagen des Phasenverhaltens allein auf der Basis quantenchemischer Daten möglich sind.