Hinschauen und mitmachen: Schaut, wie sicher ich mich auf öffentlichen Straßen fühle

Das Gefühl von Sicherheit im öffentlichen Raum ist ein wesentliches Element von Lebensqualität. Wie sicher Bürger*innen sich auf der Straße fühlen, zeigt die App Sensafety. Jede*r Interessierte kann in der kostenlosen App, die sich intuitiv bedienen lässt, angeben, ob man sich dort, wo man sich gerade befindet, geschützt oder bedroht fühlt. Der Standort wird über das Smartphone automatisch im Hintergrund bestimmt. Die Angaben werden umgehend auf einer interaktiven Landkarte sichtbar gemacht: Wo und wann fühlen sich die meisten Teilnehmer*innen sicher? Welchen Einfluss haben Jahres- und Tageszeit? Dr. Sandro Rodriguez Garzon von den T-Labs und der TU Berlin berichtet, wie die App während eines Studienprojekts als kleines Projekt begann und sich zu dem umfangreichen Forschungsprojekt „Citizen Science Initiative Sensafety“ mit vielen Facetten und Interessengruppen entwickelte.

Herr Rodriguez Garzon, wie kamen Sie auf Sensafety?

Die Idee entstand eigentlich auf meinen Reisen durch Kolumbien, Mexiko und Südafrika. Ob ich dort sicher reisen konnte, hang oft davon ab, welche Region, welchen Ort, welchen Bezirk, Stadtteil oder sogar welchen Straßenabschnitt ich besuchte. Daneben spielte auch die Tageszeit, also Tageslicht oder Dunkelheit in der Nacht, eine maßgebliche Rolle. Es ging nicht nur darum, möglicherweise Opfer einer Straftat zu werden, sondern auch in einen Verkehrsunfall involviert zu sein oder einen Unfall auf einem unbefestigten Wanderweg selbst zu verschulden.

Kriminalitäts- und Unfallstatistiken helfen zwar bei der Risikoabschätzung, aber sie sagen wenig darüber aus, ob sich das Reisen vor Ort auch sicher anfühlt. Mir halfen eigene Erfahrung und vor allem der Austausch mit Einheimischen oder anderen Reisenden. So entstand die Idee, das Sicherheitsgefühl durch eine App von jedem vor Ort erfassen zu lassen und die aggregierten ort- und zeitabhängigen Ergebnisse transparent jedem zugänglich zu machen.

Was soll die App erreichen?

Für die Mehrheit der Benutzer*innen ist es in erster Linie interessant zu sehen, wo und wann sich Menschen im öffentlichen Raum geborgen oder gefährdet fühlen. Wir wollen das Sicherheitsempfinden aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Aus Sicht lokaler Behörden und Quartiersmanagern*innen soll das Projekt in erster Linie mögliche urbane Angsträume identifizieren. Für Stadtplaner*innen, Verkehrsplaner*innen und Stadtsoziologen*innen ist interessant, wie Angsträume städtebaulich oder mit sicherheitspolitischen Maßnahmen verhindert werden können.

Unser Fachgebiet untersucht, wie mobile Partizipationssysteme technisch so umgesetzt werden, dass Bewohner*innen, Besucher*innen, Tourist*innen, Gewerbetreibende, kurz: jede*r, die*der sich im öffentlichen Raum aufhält, sie auch benutzen. Außerdem prüfen wir, wie die Daten technisch ausgewertet werden können.

Wen möchten Sie erreichen und wer nimmt tatsächlich teil?

Erreichen möchten wir natürlich am liebsten jeden. Die Benutzung der App erfolgt anonym und ohne die Erhebung von demographischen Daten. Frühere Projekte mit ähnlicher Ausführung und Zielsetzung sind erfahrungsgemäß daran gescheitert, dass zu wenig Benutzer*innen aktiv am Datensammeln teilnahmen. Die Gründe waren oftmals die komplizierte und aufwendige Bedienung einer App und/oder die notwendige Preisgabe persönlicher Daten während eines Registrierungsprozesses. Mit Sensafety versuchen wir einen anderen Weg einzuschlagen und „erkaufen“ uns – durch den bewussten Verzicht auf eine Teilnehmerregistrierung und durch eine Schwerpunktsetzung auf die einfache und intuitive Bedienbarkeit der App – eine rege Teilnahme zum Preis einer geringeren Aussagekraft der Daten.  

Wir haben bislang auch keine gesonderte Erhebung zur Zusammensetzung der Benutzer*innen durchgeführt. Wir wissen also letztendlich nicht, welche Benutzer*in sich hinter einer Bewertung verbirgt. Ob wir altersübergreifend erfassen, können wir aus den Daten also schlussendlich nicht ermitteln. Wir sprechen jedoch auf Stadtteilfesten oder anderen lokalen Veranstaltungen Menschen direkt an, um unterschiedliche Teilnehmer*innen einzubeziehen. Wir können auch keine flächendeckende Beteiligung garantieren, da jede*r Benutzer*in für sich entscheidet, wann und wo bewertet wird. Freiwilliges Feedback der Benutzer*innen weist bisher darauf hin, dass sich insbesondere Frauen angesprochen fühlen.

Wie integrieren Sie Bürger*innenwissen in Sensafety?

Jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich an jedem öffentlichen Ort und zu jeder Zeit mit einer persönlichen Bewertung an dem großen „Experiment“ Sensafety beteiligen. Die Statistiken lassen sich nahezu in Echtzeit eigenständig erkunden. Wir planen eine Forschungskooperation mit einer deutschen Großstadt, bei der Bürger*innen dazu motiviert werden sollen, mit Hilfe von Sensafety das subjektive Sicherheitsgefühl vor und nach städtebaulichen Maßnahmen selbst zu erfassen. Dabei können die Bürger*innen auch einen oder mehrere Einflussfaktoren aus einer ortspezifischen Liste möglicher Gründe für ihre Empfindung auswählen. Auf einem Stadtteilfest wurden dazu Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters befragt, was das Sicherheitsempfinden in ihrem Stadtteil eigentlich beeinflusst. Die Ergebnisse dieser Befragung flossen dann in eine Liste der Einflussfaktoren ein, die Benutzer*in in der App sehen können.

 

Was erfahren Sie aus den Sensafety-Daten zum Sicherheitsgefühl?

Wir haben die Daten noch nicht systematisch ausgewertet. Ein erster Blick auf die Daten lässt uns vermuten, dass es meist etwas mit der Angst zu tun hat, Opfer einer Straftat zu werden, wenn sich Benutzer*innen auf einer größeren Fläche unsicher fühlen. Fühlen sich Benutzer*innen hingegen an einer bestimmten Stelle an einer Kreuzung unsicher, hat dies wahrscheinlich etwas mit der Angst zu tun, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden. Das sind allerdings nur Hypothesen, die durch Datenanalysen und repräsentative Umfragen erst bestätigt werden müssen Wir haben für diese ersten Erkenntnisse noch keine stichhaltigen Belege.

 

Das Gespräch führte Christina Camier.

 

Weiterführende Informationen sowie die Möglichkeit zum Download der App finden Sie auf der Website der Citizen Science Initiative Sensafety:

https://www.sensafety.org/de/index.html

Kontakt

Dr.

Sandro Rodriguez Garzon

sandro.rodriguezgarzon@tu-berlin.de

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