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Internationale Drehscheibe der Museumsforschung

Museen sollen Räume für Diskussionen und soziale Teilhabe werden – in einem Großprojekt entstehen neue Konzepte

114 Millionen Menschen besuchen jährlich eines der rund 6700 Museen allein in Deutschland. Sie sind Orte in den Herzen der Städte, bieten Raum für soziale Begegnungen, ihr Besuch gleicht einem Volkssport. „Museen als Räume der sozialen Kohäsion“ ist der Titel eines soeben bewilligten Projekts, in das der Exzellenzverbund „Berlin University Alliance“ (BUA) 1,2 Millionen Euro investiert. So soll Spitzenforschung in diesem Feld langfristig etabliert werden.

Die soziale Kohäsion, der gesellschaftliche Zusammenhalt, gehört zu den „Grand Challenges“, den übergreifenden Initiativen, mit denen Berlin in der Exzellenzstrategie erfolgreich war. Beteiligt an dem interdisziplinären Projekt sind TU Berlin und HU Berlin sowie das Museum für Naturkunde und das Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin. Nicht nur die Museumsforschung innerhalb Berlins soll damit enger verzahnt werden, auch internationale Partner*innen spielen eine Rolle.

Museen als Archive des Menschheitserbes sollen sich für alle öffnen - Inklusion, Exklusion und Partizipation sind wichtige Themen

Die TU Berlin verbindet zum Beispiel eine enge Kooperation mit der Oxford Universität, mit deren Pitt Rivers Museum kürzlich ein weiteres transnationales Projekt gestartet wurde, das sich mit der Herkunft der, vor allem in der Kolonialzeit, in Afrika vielfach „erbeuteten“ Kunstschätze in europäischen Sammlungen beschäftigt, und das mit 700.000 Euro zu gleichen Teilen von England und Deutschland finanziert wird. In dem letzteren Projekt werden unter anderem Methoden entwickelt wie zwischen legalem Erwerb und Raub oder Enteignungen unterschieden werden kann. „Museen als Archive des Menschheitserbes sind damit auch Orte für Debatten um die kulturelle Deutungshoheit dieses Erbes, um Inklusion, Exklusion, Partizipation und digitale Entgrenzung. Diese Debatten des gesellschaftlichen Zusammenhalts wollen wir in dem BUA-Projekt nun erstmalig institutionsübergreifend für Museen erforschen“, erklärt Bénédicte Savoy vom TU-Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne, die das Großprojekt mitleitet. Damit entstehe in Berlin eine internationale Drehscheibe sowohl für die Forschung zu Museen und Gesellschaft, als auch für die Lehre in diesem Feld.

Schon fast zwangsläufig ergibt sich daraus, was die Partner*innen in ihrem Antrag klar formuliert haben: Mit der Forschung in diesem Verbund wollen sie auch ganz gezielt Grundlagen für ein Einstein-Zentrum zu Museen und Gesellschaft in Berlin legen. „Eine Stadt wie Berlin – mit ihren drei exzellenten Universitäten und einer der ältesten, größten und traumatisiertesten Museumslandschaften weltweit – braucht ein Forschungszentrum für Museen und soziale Kohäsion“, sagt Bénédicte Savoy. Kriege und Teilung, die unterschiedlichen politischen Systeme, unter denen die Museen der Stadt in den vergangenen 150 Jahren existierten, haben die Museumslandschaft zu dem gemacht, was sie heute ist. Hierdurch wird erkennbar, dass Museen nicht nur Orte des Staunens und der ästhetischen Erfahrung sind, sondern Institutionen im Zentrum virulenter gesellschaftlicher Debatten. Dort, an gleichzeitig geschützten Orten, könne regelrecht geübt werden, die Gesellschaft mit all ihren Spannungen und Widersprüchen zu verstehen und auszuhalten, so die Forscher*innen.

Studierende und ein Bürger*innen-Rat werden eingebunden

Um neue Formate der Wissensvermittlung zu finden, binden die Forscher*innen nicht nur einen Bürger*innen-Rat ein, sondern vor allem auch Studierende. „Unser Konzept der forschenden Lehre an der TU Berlin beinhaltet, dass wir mit unseren Studierenden in Projektseminaren an Publikationen, öffentlichen Workshops, Science Slams, Blogs oder Ausstellungen arbeiten“, erklärt Dr. Andrea Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet. Schon vor einigen Jahren wurde im Masterstudiengang Kunstwissenschaft der praxisnahe Schwerpunkt „Museum“ eingerichtet, in dem Studierende eng mit Kurator*innen, Konservator*innen oder Vermittlungs-, Bildungs- und Besucherdiensten der Staatlichen Museen zu Berlin zusammenarbeiten. „Das BUA-Projekt bietet uns nun die Chance, an diese reichen Erfahrungen anzuknüpfen und Forschung, Praxis und Lehre rundum Berlins Museen noch enger zu verknüpfen und öffentlich sichtbarer zu machen.“ Außer neuen Ausstellungskonzepten sollen Podcasts, ein interaktives Online-Portal und frei zugängliche Forschungsdaten für die nachhaltige Wissensvermittlung sorgen.

Besteht nicht auch die Gefahr, dass die Menschen sich eher vom Volkssport „Museumsbesuch“ abwenden, wenn sich ihnen ein so breites Spektrum an unterschiedlichen Hintergrundgeschichten rund um die vielfältigen Ausstellungsstücke bietet? Diese Befürchtung hat Museumsexpertin Bénédicte Savoy nicht: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass Menschen, die Museen lieben, sie, wenn sie ihnen diese weiteren Möglichkeiten des Wissenserwerbs bieten, hinterher noch liebenswerter finden.“

Originalpublikation

Der Text ist am 29. November 2020 in der Sonderbeilage der TU Berlin im Der Tagesspiegel erschienen.

Autorin: Patricia Pätzold