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„Wir haben keinen Puffer“

TU Berlin und Charité erforschen Auswirkungen von Hitze auf den Menschen und suchen Lösungen für das Stadtklima

Wenn Prof. Dr. Hanns-Christian Gunga zusammenfasst, wie sich der Klimawandel auf die menschliche Gesundheit auswirkt, wird er direkt: „Wir haben keinen Puffer.“ Der Leiter des Zentrums für Weltraummedizin und Extreme Umwelten und stellvertretende Direktor des Instituts für Physiologie der Charité erforscht, wie weit sich die Menschen an die Erderhitzung anpassen können. Sein Fazit: Der Körper des Menschen stößt bereits jetzt an seine Grenzen.

Er erklärt die physiologischen Fakten: Der Mensch funktioniert nur, wenn es im Körperkern zwischen 36 und 37,5 Grad Celsius warm ist. Schon bei einem halben Grad mehr arbeitet das Gehirn nicht mehr voll und das Herz-Kreislauf-System schaltet hoch, um die Hitze auszugleichen.

Vor allem Ältere, Kleinkinder und Menschen mit Vorerkrankungen sind gefährdet, ebenso Straßen- oder Landarbeiter. Im Rekordsommer 2018 starben 20200 Rentnerinnen und Rentner in Deutschland an Hitzestress; insgesamt 13 Millionen litten unter hitzebedingten Krankheiten. Dies berechnete das medizinische Fachjournal „The Lancet“, das die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels regelmäßig untersucht.

Hitzestress macht aber nicht nur den einzelnen Menschen krank, sagt Gunga. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Verbundprojekt, an dem auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit einer Arbeitsgruppe beteiligt ist, erforscht er soziale und wirtschaftliche Folgen des Klimawandels am Beispiel der Subsahara. Die Datenbeobachtung in Burkina Faso und Kenia, wo 280 Millionen Menschen sich durch Landwirtschaft selbst versorgen, zeigt die Domino-Effekte: Hitze- stress macht Menschen weniger arbeitsfähig. Weniger Arbeit bedeutet wiederum mehr Armut, wirtschaftliche Unsicherheit und soziale Not für eine Gesellschaft als Ganzes, so Gunga.

Was können Städte tun, um den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken?

Was in der Subsahara beobachtet wird, droht auch Europa, wenn die Erderhitzung nicht eingedämmt wird, erklärt der Experte für extreme Umwelten. Die Messungen des Deutschen Wetterdienstes zeigen, dass es in Deutschland seit 2011 durchschnittlich bereits um zwei Grad wärmer ist als vor 100 Jahren. „Die Wüste bewegt sich auf uns zu,“ so Gunga. „Die Erderwärmung ist kein politisch getriebenes Thema, sondern eine Gefahr, der wir ins Auge sehen müssen,“ sagt der Experte. „Mit unserer Forschung wollen wir den politisch Handelnden auch Daten in die Hand geben, damit sie eine Grundlage für ihre Entscheidungen haben.“

Was können Städte tun, um den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken? Hierzu forscht Prof. Dr. Dieter Scherer von der Technischen Universität Berlin. Der Leiter der Klimatologie am Institut für Ökologie koordiniert das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Großprojekt „Stadtklima im Wandel“, das seit 2016 das Stadtklimamodell „PALM4U“ entwickelt hat. Gestützt auf detaillierte Messungen, kann mit „PALM4U“ bis hin zu einzelnen Straßen und Gebäuden berechnet werden, wie sich die Temperatur, Sonnenstrahlung, Wind und Verwirbelungen, Schadstoffe in der Luft oder die Klimawirkung von Bäumen, Parks und Gärten verändern.

Stadtklimamodell „PALM4U“

Bei welcher Wetterlage ist das Stadtklima wo am gesündesten? Wie sollte ein Altersheim standortgenau umgerüstet werden? Wie würde sich wo eine Dachbegrünung auswirken, und wie beeinflusst die Gesamtheit der Gärten das Stadtklima? All dies sind Fragen, die mit „PALM4U“ beantwortet werden können, so Scherer. „In Zukunft wird sicherlich kein Hochhaus mehr gebaut werden, ohne zu prüfen, wie sich die Turbulenzen bodennah in der Straße daneben auswirken.“

Bereits jetzt ist das Klimamodell in einigen Städten im Einsatz. Derzeit arbeiten die Forscherinnen und Forscher daran, wie es für die Stadt- und Architekturplanung optimiert werden kann. Auch für Bürgerinnen und Bürger ist die Plattform im Internet zugänglich. Geplant sei, die in Berlin durch verschiedene Organisationen geleisteten Messungen in einem Datenportal zusammenzuführen.

„PALM4U“ ermögliche es, präzise auf die Klimaentwicklung in der Stadt zu reagieren und so die Gesundheit der Menschen besser zu schützen. „Wir können damit unsere Umwelt zu unserem Vorteil verändern,“ sagt Scherer. Voraussetzung dafür sei die klare Datenbasis, die das Modell schaffe: „Wir versuchen damit auch, die ideologisch geprägte Klimadebatte zu versachlichen.“

 

Autorin: Eva-Maria McCormack

Originalpublikation

Der Text ist am 31. Juli 2021 in der Sonderbeilage des Climate Change Centers in Der Tagesspiegel erschienen.

Weiterführende Informationen

Zur Website „PALM4U“