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„Wir brauchen die geballte Kraft der Wissenschaft“

Kein Standort in Deutschland verfügt über eine so breite Expertise in der Klimaforschung wie unsere Metropolregion. Michael Müller und Christian Thomsen wollen diese Kompetenz klug bündeln

Herr Müller, Herr Thomsen, seit mehr als einem Jahr existiert das Netzwerk Climate Change Center (CCC) Berlin Brandenburg. Warum ist es notwendig?

MICHAEL MÜLLER: Wir befinden uns in einer Klimanotlage, und sie ist nicht irgendwo, sondern direkt vor unserer Haustür. Die schrecklichen Flutereignisse der letzten Wochen zeigen das unmissverständlich. Die Klimaveränderungen, ihre Folgen und der notwendige gesellschaftliche Wandel bleiben dauerhaft die größte Herausforderung. Dafür brauchen wir auch die geballte Kraft der Wissenschaft. Kein anderer Standort in Deutschland verfügt über eine so breite Expertise auf diesem Feld, wie unsere Metropolregion. Diese Kompetenz klug zu bündeln und zu nutzen, ist geradezu unsere gemeinsame Pflicht.

CHRISTIAN THOMSEN: Seit Jahrzehnten werden die Gefahren des Überschreitens planetarer Grenzen wissenschaftlich untersucht. Was jedoch fehlt, sind fundierte Antworten für die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen. Die Forschungslandschaft in Berlin und Brandenburg ist bestens für so eine umfassende Analyse des Klimawandels aufgestellt. Wir müssen die umfangreiche Expertise und die vielfältigen Lösungskompetenzen zusammenbringen. Und an diesem Punkt setzen wir mit unserem Climate Change Center an. Es soll dabei eine Schlüsselrolle einnehmen, indem aus der Vernetzung heraus neue Projekte und Verbünde initiiert werden und der Transfer in die und aus der Gesellschaft von Anfang an mitgedacht wird.

Berlin will bis 2050 klimaneutral werden – wie kann die Wissenschaft die Politik dabei unterstützen?

THOMSEN: Indem wir unsere Forschungsexpertise weiterentwickeln, kluge Menschen nach Berlin holen und unsere Studierenden gut bilden, damit sie dann in ihrer Arbeitswelt klimabewusst handeln. Wir benötigen außerdem innovative Netzwerke, um Kompetenzen quasi zu verstricken.

MÜLLER: Dafür haben wir in Berlin die richtigen Voraussetzungen und eine ausgeprägte Kooperationskultur, die wir seit langem aktiv fördern. Wir brauchen eine starke, vernetzt arbeitende Wissenschaft als Partnerin, sowohl auf unserem Weg zur Erreichung der Klimaneutralität, als auch im Umgang mit dem Klimawandel. Dabei geht es um ganz konkrete Bedarfe, die die Arbeitsbereiche aller Senatsressorts betreffen, ob Verkehr, Stadtentwicklung und Bauen, Wirtschaft, Bildung oder Gesundheit. Deshalb fördern wir die Aufbauphase des Climate Change Center mit zusätzlichen Mitteln und haben auch im nächsten Doppelhaushalt weitere zwei Millionen Euro dafür vorgesehen. Damit verbunden ist der Anspruch, dass das Center die Forschungsaktivitäten in der Region Schritt für Schritt vernetzt, neue Impulse setzt und sich dabei aktiv in den Dialog mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einbringt. Wir können viel erreichen, wenn wir diesen Weg gemeinsam gehen.

Wissenschaft und Politik haben in der jüngsten Zeit gelernt, miteinander zu reden. Auch ihre Rollen wurden geschärft. Und doch haben wir noch Entwicklungspotenzial. Worin liegt das?

MÜLLER: Die Einbeziehung der Wissenschaft in die politische Entscheidungsfindung ist zwar nicht neu, aber sie hat in den vergangenen Monaten zugenommen und wird auch in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen. Ich glaube, beide Seiten, Politik und Wissenschaft, haben gelernt, dass Wissenstransfer gut organisiert werden muss und insgesamt ein besseres Verständnis für die Arbeitsweise der jeweils anderen Seite wichtig ist.

THOMSEN: Forscher*innen sollten den Berufsalltag von Politikern unterschiedlicherer Ebenen vor Ort kennenlernen. Und Politiker*innen sollten mindestens einmal im Labor, in einer Forschungsgruppe arbeiten, um den Kosmos Wissenschaft von innen heraus zu verstehen.

MÜLLER: (lacht) … ich komme gerne zu Ihren Astrophysikern! Im Ernst, letztlich geht es doch darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, um sehr konkrete Bedarfe gemeinsam anzugehen. Als Politiker muss ich dabei eine Reihe von Aspekten berücksichtigen, das heißt auch verschiedene Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Wissenschaft in meiner Entscheidungsfindung abwägen.

THOMSEN: Richtig! Es reicht nicht, dass aus der Forschung neue Ansätze in der Batterieentwicklung kommen oder für klimafreundliche Baustoffe. Mit spezialisierten oder singulären Lösungen kann die Politik nur teilweise etwas anfangen. Das CCC hat den Anspruch, in einem Modell zu denken. Was wäre, wenn wir die Verkehrsachsen für Autos konsolidieren, Fahrradschnellwege bauen und die Öffentlichen stärken? Was bedeutet das für die Mobilität des Einzelnen, für die Stadtgestaltung, das Klima, den Bebauungsplan im Bezirk? Der Fokus kann dabei immer nur lokal gelegt werden. Wir würden das Wissen in unserem Modell zusammenführen, verständlich aufbereiten und Alternativen aufzeigen. Dies macht nur Sinn, wenn wir die Experten aus der Gesellschaft von Anfang an mit in die Diskussion holen. Das dürfte für die Politik gut handhabbar und nützlich sein.

MÜLLER: A propos lokal: Man sollte beim Stichwort Politik nicht nur an Landes- oder Bundesministerien denken, auf kommunaler Ebene ergeben sich ebenfalls wichtige Anknüpfungspunkte. Gerade in Berlin, wo jeder Bezirk für sich eine Großstadt ist. Ich vermute, nur wenige Wissenschaftler*innen waren schon einmal in einer Bezirksverordnetenversammlung oder in einem der Rathäuser zu Gast. Auch diese Vernetzung brauchen wir.

Kann das CCC all diese Wünsche erfüllen?

THOMSEN: Ja, und wir werden unterschiedliche Formate wie Public-Policy-Dialoge mit Politik und Verwaltung, Ko-Kreations-Prozesse mit Vertretern aus der Industrie und Citizen Science-Formate mit Bürgern organisieren. Auch hier ist unser Ziel, die einschlägige Expertise zusammenzubringen.

 

Wo ist die Forschung der Region international spitze?

THOMSEN: Im CCC-Netzwerk sind viele renommierte Einrichtungen der Klimaforschung vertreten. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat durch seine Mitwirkung im Weltklimarat und die Beratung der Bundesregierung einen hohen Bekanntheitsgrad und international einen anerkannten Stellenwert. Die strategische Allianz mit einschlägigen Fachgebieten wie Wasserstofftechnologie, Mobilitätsforschung oder Agrarwissenschaften wird – davon sind wir überzeugt – einen entscheidenden Unterschied in der Bewältigung der Klimakrise machen. Die CCC-Partner*innen sind zugleich schlagkräftig auf globaler und nationaler Ebene und verbinden dies mit anwendungsbezogener Forschung in Berlin-Brandenburg. Am Standort verfügen wir über eine auch international herausgehobene Kompetenz in den Digitalisierungswissenschaften, dem maschinellen Lernen und der Künstlichen Intelligenz. Die Zusammenarbeit mit starken Verbünden aus Berlin wie dem Einstein Center Digital Future, dem Weizenbaum Institut für die vernetzte Gesellschaft und dem Berlin Institute for Foundations of Learning and Data hat auch für die Lösungen von Klimaproblemen großes Potenzial.

MÜLLER: Das Gute an einem Netzwerk wie dem CCC ist, dass es an vielen Knotenpunkten wachsen und sich nach Bedarf und Thema ausdehnen kann. Denn zu den aktuellen Fragen kommen weitere, die wir vielleicht heute noch nicht identifizieren können. Und es gibt in Berlin über die jetzigen Partnereinrichtungen hinaus noch weitere Expertise, die die Agenda des CCC sinnvoll ergänzen kann.

Was sind die nächsten Schritte und wie sehen die Pläne für das CCC aus?

THOMSEN: Unser Netzwerk lebt vom aktiven Engagement der Mitglieder. Im letzten Jahr haben sich Wissenschaftler*innen der TU Berlin, der Universität der Künste Berlin, der Charité – Universitätsmedizin Berlin in Kooperation mit der Universität Potsdam und dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung auf den Weg gemacht, ein Forschungszentrum zum Klimawandel bei der Einstein Stiftung Berlin zu beantragen. Das CCC ist die Triebfeder dafür. Als Präsident der Sprecheruniversität würde mich eine positive Bewilligung natürlich sehr freuen, da es auch eine Weiterentwicklung des CCC darstellt. Als nächstes steht die Gründung eines Beirats aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft aus Berlin und Brandenburg an. Auch Studierende und Mitglieder der Fridays for Future-Bewegung wollen wir in diesen Beirat einladen. Außerdem konnten wir schon viele internationale Partner*innen ins Boot holen. Dazu gehören Cambridge, Princeton, Jerusalem und das MIT. Also: wir haben merklich Fahrt aufgenommen.

MÜLLER: …und wir werden weiter gemeinsam Tempo machen. Das CCC hat großes Potenzial und es passt zur Strategie von Berlin und Brandenburg, unsere Zusammenarbeit auszubauen.

 

Die Fragen stellte Stefanie Terp.

Originalpublikation

Der Text ist am 31. Juli 2021 in der Sonderbeilage des Climate Change Centers in Der Tagesspiegel
erschienen.