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Von der ganzen Welt fürs Klima lernen

Zwei Humboldt-Stipendiaten suchen in Europa Antworten für ihre Länder und vernetzen sich in Berlin und Brandenburg mit den Expertinnen und Experten des Climate Change Center

Dass die Klimakrise die gesamte Weltbevölkerung betrifft, haben wir mittlerweile verstanden. Schön wäre es, wenn dann auch bei ihrer Bekämpfung alle zusammenhalten würden. Einen Schritt dahin – zumindest auf der Ebene der Wissenschaft – macht die Alexander von Humboldt-Stiftung. Sie lädt jedes Jahr 20 junge, ausländische Forschende mit Berufserfahrung ein, in Deutschland ein bis zwei Jahre zu klimarelevanten Fragen zu forschen. Im Mittelpunkt steht dabei, wie sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Herkunftsland anwenden lassen. Wir stellen zwei Stipendiat:innen vor, die Gast an Berliner Universitäten sind.

„Radfahren in Berlin?“ Fernando de Sant’Ana Fontes lacht. „Ich weiß, viele hier beklagen sich, aber für mich ist es eigentlich ein Paradies.“ Von der Feindschaft zwischen Fußgänger*innen und Radfahrer*innen in Berlin habe er allerdings auch schon gehört. Das Fahrrad ist ja auch sein Forschungsgebiet, genauer die Frage, wie man das Radfahren in seiner Heimat Brasilien unterstützen könnte. Denn als ab- gasfreie Alternative zu Auto, Motorrad oder Motorroller würde es nicht nur das Klima schonen, sondern auch die Luft in den Städten verbessern. Und da leben immerhin 87 Prozent der Brasilianer:innen. Besonders schwierig sei es mit dem Radfahren in Brasilia, der Hauptstadt, in der Fernando Fontes die letzten vier Jahre gelebt hat. „Die Stadt ist ja vor 60 Jahren vom Reißbrett aus dem Boden gestampft worden“, erzählt er. „Damals wurde alles auf den Autoverkehr ausgerichtet.“ Kreuzungen mitten in der Stadt mit acht oder gar 16 Spuren über und unter der Erde seien keine Seltenheit. Fahrradwege gibt es inzwischen, aber sie müssen im Zickzack um die Straßen herumgeführt werden und sind deshalb unnötig lang. Auch in seiner Heimatstadt Salvador im Nordosten von Brasilien, wo Fontes sein Diplom in Elektrotechnik gemacht hat, sei der Verkehr mörderisch: „Meiner Mutter habe ich oft gar nicht gesagt, dass ich wieder mit dem Fahrrad unterwegs war.“

Fernando Fontes untersucht, wie das Fahrradfahren in Europa gefördert wird

Richtig begeistert für das Fahrradfahren hat Fernando Fontes erst sein ehemaliger Chef bei der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). „Er war auch ein Fahrradenthusiast und hat mich darin bestärkt“, sagt Fontes. Was er in Deutschland nun herausfinden will: Welche Geschäftsmodelle gibt es hier und in Europa für das Fahrrad? Wie funktionieren Fahrradkuriere und Lastenrad-Firmen? Wie wird das Radfahren gefördert und wie ist die Fahrradlobby aufgestellt? Zur Seite steht ihm dabei Professor Hans-Liudger Dienel vom Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Er ist auch Akademischer Direktor des Studiengangs „Sustainable Mobility Management“, den Fernando Fontes noch zusätzlich zu seiner Forschung absolviert.

Natürlich hat Corona auch ihn behindert, zum Beispiel wird er wesentlich weniger teilnehmende Beobachtungen bei Fahrradunternehmen durchführen können als erhofft. Trotzdem ist Fontes sicher, dass er Ergebnisse erhält, die sich dann für Brasilien adaptieren lassen. Auch dort gibt es nämlich eine Graswurzelbewegung fürs Fahrrad, die sich neben der eher halbherzigen Förderung durch die Regierung etabliert hat. Der Verein Bike Anjo, Portugiesisch für Fahrrad-Engel, zum Beispiel ist in größeren Städten vertreten und gibt Tipps für die besten Routen und auch Kurse zur Fahrradtechnik. Die Organisation „Aromeiazero“ propagiert das Fahrradfahren ganzheitlicher: Als Grundlage für neue Geschäftsmodelle, als Sportgerät, sogar als neue Möglichkeit, sich künstlerisch auszudrücken. Und natürlich als Fortbewegungsmittel, das den individuellen Aktionsradius und damit die Möglichkeit für soziale Kontakte vergrößert. Hier in Berlin vernetzt sich Fernando Fontes unter anderem über das „Climate Change Center Berlin Brandenburg“. Dieses Zentrum für Klimaforschung und Wissenstransfer wird getragen von TU Berlin, FU Berlin, Charité und Universität der Künste sowie von der Universität Potsdam und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Fontes’ Kurzpräsentation auf dessen Online-Veranstaltung CLIMATE:Lab hat ihm bereits mehrere Kontakte eingebracht.

Heute rosten Schiffswracks in der Wüste, wo früher das größte Binnengewässer der Welt war

Wie Fernando Fontes ist Gulzhan Yermekova noch in der Anfangsphase ihres Forschungsprojekts und beim Vernetzen aktiv. Die junge Sozialwissenschaftlerin aus Kasachstan ist Leiterin des Büros für Nachhaltige Entwicklung der Nazarbayev University in der Hauptstadt Nur-Sultan. Ihr Forschungsprojekt scheint auf den ersten Blick eine Nummer zu groß für eine Person: Sie will nicht weniger als die europäische Klimapolitik und deren Akteure untersuchen und daraus Lehren für das kasachische Umweltprogramm ziehen.

„Mir geht es aber vor allem darum, wie die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen zu Erfolgen in der Klimaschutzpolitik beigetragen haben“, sagt Yermekova, „außerdem möchte ich mehr über die Umweltbildung in Europa erfahren.“ Ihr Interesse am Umweltschutz beruhe zu einem großen Teil auch auf ihrer Familiengeschichte, erzählt sie. „Meine beiden Großeltern und viele Generationen vor ihnen haben am Aralsee vom Fischfang gelebt. Das war damals eine sehr schöne Gegend.“ Die zwei größten Flüsse Mittelasiens, der Amudarya und der Syrdarya, münden in diesen Steppensee, der bis in die 1960er Jahre das größte Binnengewässer der Welt war. Heute rosten dort Schiffwracks in der Wüste vor sich hin, weil schon in der Sowjetzeit begonnen wurde, das meiste Wasser für die Bewässerung von Baumwollfeldern abzuzweigen. „Meine Eltern mussten diese Gegend dann verlassen, weil es keine Arbeit mehr gab.“

Gulzhan Yermekova ist sich bewusst, dass auch die unterschiedlichen politischen Verhältnisse in Europa und Kasachstan eine direkte Übertragung ihrer Forschungsergebnisse schwieriger machen werden.

Ihre Universität ist nach dem ehemaligen Staatspräsidenten Nasarbajew benannt, der das Land fast 30 Jahre lang regierte, die Hauptstadt nach seinem Vornamen. In der Verfassung verankert ist zudem seine Rolle als „Führer der Nation“ auf Lebenszeit. Offen nach außen ist das Land aber. „Meine Universität ist eine der internationalen Universitäten des Landes, die Unterrichtssprache ist Englisch“, erzählt sie. Ihre Hochschule sei ein Thinktank, der auch in Regierungskreisen Gehör finde.

Besonders treibt Yermekova die Finanzierung der 130 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) um, die in Kasachstan tätig sind. Viele davon würden von Firmen oder vom Staat finanziert und könnten deshalb nicht unabhängig arbeiten. Zusammen mit ihren betreuenden Privatdozenten Achim Brunnengräber und Lutz Mez am Forschungszentrum für Umweltpolitik der FU Berlin möchte sie hier beispielgebende Unterstützungsmodelle von NGOs aus Europa finden.

 

Autor: Wolfgang Richter        

Originalpublikation

Der Text ist am 31. Juli 2021 in der Sonderbeilage des Climate Change Centers in Der Tagesspiegel erschienen.