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Langsamer Bahnausbau, langsames Internet

Pao-Yu Oei plädiert für mehr Tempo beim Strukturwandel in der Lausitzer Kohleregion

Alle reden vom Kohleausstieg 2038. Prof. Dr. Pao-Yu Oei operiert mit einer anderen Jahreszahl. „In der Lausitz wird der Kohleausstieg bis 2030/2032 vollzogen sein. Das liegt neben der klimapolitischen Notwendigkeit insbesondere auch an der fehlenden Wirtschaftlichkeit der Kohlekraftwerke, und das muss den Menschen dort auch gesagt werden.“ Doch die Regierenden sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen verweigerten sich dieser Diskussion, konstatiert Pao-Yu Oei.

Pao-Yu Oei leitet die Forschungsgruppe „CoalExit“, die an der TU Berlin und der Europa-Universität Flensburg angesiedelt ist. Das 20-köpfige Team erforscht, wie der Kohleausstieg in den drei deutschen Braunkohlerevieren – und dazu zählt die Lausitz – sozialverträglich gestaltet werden kann. Ehrlichkeit seitens der Politik ist für das Team um Pao-Yu Oei für einen sozialverträglichen Ausstieg eine wesentliche Komponente. Ehrlichkeit aber nicht als Selbstzweck, sondern um die richtigen Schlussfolgerungen für politisches Handeln zuziehen. „Würde die Politik das Ausstiegsjahr 2030 zur Kenntnis nehmen, käme sie zur Erkenntnis: Der Strukturwandel in der Lausitz muss immens beschleunigt werden, wenn die Regionen danach nicht ohne Zukunft dastehen soll“, so Pao-Yu Oei.

Jene Landkreise und Kommunen, so der Wissenschaftler, werden im Vorteil sein, die als Pioniere vorangehen und unverzüglich damit beginnen, wirklich neue Ideen für die Zeit nach der Kohle zu erarbeiten. „Die Bundesregierung stellt viel Geld bereit, was für so einen Wandel genutzt werden sollte“, so Pao-Yu Oei. „Die Einstellung auf den Wandel ist alternativlos.“ Wer erst in zehn Jahren damit starte, den finalen Kohleausstieg zu managen, werde neben allen Fördertöpfen auch die Chance auf eine bessere Zukunft verpasst haben.

Befragt man ihn jedoch, wie es um das Tempo bestellt ist, fällt ein Wort am häufigsten: langsam. Der Wissenschaftler illustriert die Langsamkeit an der geplanten Bahnlinie Berlin-Görlitz. 2038 soll sie fertig sein. „Da diese Verkehrsinfrastrukturmaßnahme das Ziel hat, den Strukturwandel in der Lausitz zu befördern, ist eine Inbetriebnahme erst in 17 Jahren zu spät.“ Ein weiteres Hindernis in dieser ländlichen Region ist die langsame digitale Infrastruktur. „Langsames Internet und schlechte Verkehrsanbindung – welches Unternehmen, welches Start-up, welche gut ausgebildete Fachkraft samt Familie sähe in einem solchen Status-quo einen Anreiz, sich hier niederzulassen oder zu wohnen?“, so die rhetorische Frage von Pao-Yu Oei. Dabei könnten ländliche Regionen wie die Lausitz im Zuge von Corona, Homeoffice und der damit prognostizierten Stadtflucht besonders für junge Familien attraktiv werden, weil sie der teuren Mieten in Städten wie Berlin, Dresden oder Leipzig leid sind. Aber ohne eine zeitgemäße digitale Infrastruktur ist auch die Bereitstellung von medizinischer Versorgung, schulischer Ausbildung, Kultur, Sport nur sehr schwer möglich. Allein mit anspruchsvollen, gut bezahlten Jobs zu werben, sei längst nicht mehr ausreichend. Eine funktionierende Infrastruktur sei der Wettbewerbsfaktor.

Autorin: Sybille Nitsche

Originalpublikation

Der Text ist am 31. Juli 2021 in der Sonderbeilage des Climate Change Centers in Der Tagesspiegel erschienen.