Verkehr, Wärme, Bauen: Klimaschutz muss in Berlin Priorität haben

Ein Kommentar: TU-Wissenschaftler Prof. Dr. Felix Creutzig anlässlich des Volksentscheids „Berlin 2030 Klimaneutral“ über Klimaschutz und eine notwendige Verwaltungsreform

Stimmberechtigte Personen können am 26. März 2023 in der Hauptstadt über einen Gesetzentwurf zur Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes entscheiden. Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat den im Volksbegehren vorgelegten Gesetzentwurf nicht angenommen. Daher wurde laut Artikel 62 Absatz 4 der Berliner Verfassung ein Volksentscheid herbeigeführt.

Prof. Dr. Felix Creutzig, wissenschaftlicher Koordinator des Climate Change Center Berlin Brandenburg, ist Professor für nachhaltige Stadtökonomie an der Technischen Universität Berlin, Gruppenleiter am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin und Mitglied des Berliner Klimarats. Unter anderem war er auch als koordinierender Leitautor des Weltklimarats aktiv.  

In einem Kommentar äußert er sich zu Faktoren, die Berlin beim Thema Klimaschutz nach vorne bringen können, fordert eine schnelle Verwaltungsreform und schätzt ein, wie realistisch die im Volksbegehren gesetzten Ziele sind.

Ein Kommentar von Prof. Dr. Felix Creutzig

Klimaschutz muss für die nächste Berliner Regierung Priorität haben – unabhängig vom Ausgang des Volksentscheids „Berlin 2030 klimaneutral“. Schon das bisherige Ziel, 70 Prozent Reduktion gegenüber 1990 droht außer Reichweite zu gelangen, wenn nicht alle Akteur*innen in den kommenden Jahren beim Klimaschutz zusammenkommen. Zentral, um die bestehenden Ziele für 2030 zu erreichen, sind drei Maßnahmenbereiche:

  1. Verkehr
  2. Wärme
  3. Bauen.

Eine Verwaltungsreform ist zusätzlich notwendig, um das bisherige Schneckentempo in einen Sprint umzuwandeln.

Der Verkehrsbereich ist das Sorgenkind des Klimaschutzes. Während die Energieversorgung und der Gebäudesektor in den vergangenen Jahrzehnten ihre Ziele erfüllten, sind die CO2-Emissionen des Berliner Autoverkehrs sogar gestiegen. Positive Effekte effizienterer Motoren wurden durch die größeren und schwereren Autos und eine größere Anzahl von Fahrzeugen negiert. Während ein Teil der Stadtgesellschaft an einer Verkehrswende von unten bastelt – wozu das Mobilitätsgesetz, getragen vom Volksentscheid, Fahrrad und zusätzlich jetzt die Kiezblockbewegung mit autofreien Wohnquartieren gehören – sind mögliche Änderungen zu langsam und zu wenig, um die bestehenden Ziele für 2030 zu erreichen. Auch eine größere Anzahl an Elektroautos wird nicht ausreichen. Eine einschneidende Maßnahme ist notwendig. Eine der besten Möglichkeiten ist die emissionsfreie Innenstadt 2030: ein Ausschluss von Benzinern und Diesel aus dem S-Bahn-Ring. Mit einer Ankündigung in diesem Jahr könnten sich Berliner und Brandenburger Autofahrer*innen auf die Einführung 2030 vorbereiten. Eine Innenstadtmaut ermöglicht die räumliche ausdifferenzierte Bepreisung und damit auch Vorteile für den fließenden Verkehr: weniger Stau. Begleitende Maßnahmen sind notwendig, wie beispielsweise eine dichte und zuverlässige Anbindung der Außengebiete und Vororte durch Sammeltaxis und schnelle Busverbindungen.

Der Wärmebereich ist komplex und gleichzeitig als Infrastruktur weniger sichtbar. Die hohen Gaspreise beschleunigen allerdings den Wechsel zu Wärmepumpen. Diese sind viermal so energieeffizient wie Gasheizungen und können auch bei tiefen Temperaturen liefern. Die Ein- und Zweifamilienhäuser Berlins können bis 2030 auf Wärmepumpen umstellen und Haushalte können dabei von der Investitionsbank Berlin unterstützt werden. Das Fernwärmenetz muss beschleunigt auf Großwärmepumpen umgestellt werden – eine große planerische und logistische Kraftanstrengung, die eine gute Koordination von Industrie und Verwaltung voraussetzt.

Bauen ist ein unterschätzter Bereich des Klimaschutzes, aber gleich aus zweierlei Hinsicht wichtig. Die geplanten 200.000 neuen Wohnungen bis 2030 würden bei derzeitiger Bauweise ca. 7 bis 12 Millionen Tonnen CO2 allein im Bau hervorrufen. Genauso wichtig: Der neue Gebäudebestand wird für neuen Verkehr sorgen und wertvolle Freifläche versiegeln. Gleichzeitig ist die Berliner Wohnmarktlage neben dem Klimaschutz das entscheidende Problem für einen Großteil der Berliner*innen und ganz auf Neubau zu verzichten, ist schwierig. Trotzdem ist zu überprüfen, ob nicht auch 120.000 Wohnungen oder weniger ausreichen, wie andere Berechnungen zeigen. Eine Aufstockung der Gebäude im Innenstadtbereich kann Wohnraum ohne zusätzlichen Verkehr und Versiegelung bereitstellen. Hier können auch die Kreuzberger Grünen mehr beitragen. Supermarktparkplätze bieten viele Möglichkeiten der Verdichtung, ohne dass zusätzliche Fläche versiegelt wird. Mehr Liquidität im Mietmarkt, modulare Wohnkonzepte und eine gerechtere Verteilung von Wohnraum können auch dazu beitragen, die sozialen Ungerechtigkeiten im Wohnungsmarkt aufzufangen, ohne durch zusätzliche Bauten zur globalen Erhitzung beizutragen.

Eine Verwaltungsreform ist auf dem Zettel aller Parteien. Tatsächlich ist die Verwaltungsreform auch Voraussetzung, um Klimaschutz umzusetzen. Es vergehen Jahre, bevor ein Quadratmeter Straße umgewidmet werden darf, und baurechtlich stehen auch aufgeschlossene Architekt*innen vor immensen Hürden, um nachhaltige Aufstockung im inneren Stadtbereich genehmigt zu bekommen. Das Land Berlin kann hier durch einheitliche Digitalisierung der Verwaltungsprozesse sowie klare Verantwortlichkeiten der Behörden viel erreichen. Die digitale Verwaltung Estlands kann hier als Vorbild dienen. Gleichzeitig muss sich das Land Berlin weiterhin im Bundesrat einsetzen, die Straßenverkehrsordnung zu reformieren und Holzbauweise als Standard zuzulassen.

Diese und weitere Maßnahmen, etwa bei der Gebäudesanierung, sind notwendig, um das bestehende Klimaschutzziel Berlins für 2030 zu erreichen. Schon diese Maßnahmen sind äußerst ambitioniert und erfordern viel Bereitschaft der Bürger*innen mitzugehen und mitzuziehen. Aber damit käme das bestehende Ziel in Reichweite. Das vom Volksbegehren geforderte Ziel der Klimaneutralität 2030 - und die anvisierte 70 Prozent Reduktion in 2025 – erscheinen dagegen kaum erreichbar. Ein paar Jahre mehr werden auch bei den besten Anstrengungen gebraucht werden. Jetzt tatsächliche Klimaschutzmaßnahmen einzusetzen, ist also wichtiger als die Klimaziele noch schärfer anzuziehen.