Neue Konzepte für El Gouna

Interview mit dem TU-Präsidenten Christian Thomsen über das Großprojekt in der internationalen Bildungsarbeit

Herr Thomsen, momentan ändert sich im Bildungsbereich Vieles. Dazu gehören auch die Rahmenbedingungen für den Weiterbildungsbereich allgemein und speziell für unser Engagement im ägyptischen El Gouna. Wie ist die aktuelle Situation?

Prof. Dr. Christian Thomsen: Unser Projekt TU-Campus El Gouna werden wir grundlegend ändern. Da unser langjähriger enger Partner, der TU-Alumnus Samih Sawiris, seine Vollfinanzierung Anfang 2021 eingestellt hat, können wir nun keine neuen Student*innen in die weiterbildenden Masterprogramme Energy Engineering, Water Engineering und Urban Development mehr immatrikulieren.

Was sind die Gründe dafür, dass Samih Sawiris das Großprojekt nicht mehr finanziert?

Schon vor Beginn der Pandemie waren wir mit ihm in intensiven Gesprächen über eine neue Strategie und eine Überarbeitung des Studienangebots für den TU-Campus El Gouna.

Die weiterbildenden Studiengänge konnten aus verschiedenen Gründen nicht ausreichend Student*innen gewinnen. Zwar lagen die Bewerber*innenzahlen weit über der Zahl der verfügbaren Studienplätze, doch nicht alle Bewerber*innen erfüllten die Voraussetzungen für einen Weiterbildungsstudiengang, vor allem nicht über die nötige professionelle Berufserfahrung. Weiterhin war ein Großteil der Interessent*innen auf Stipendien angewiesen, um einen weiterbildenden Master zwischen El Gouna und Berlin in Vollzeit finanzieren zu können. Zwar konnte unser Zentralinstitut über den DAAD, die Sawiris Foundation und weitere Förderer seit 2012 Stipendien in Höhe von mehr als sechs Millionen Euro einwerben und damit zahlreiche Student*innen unterstützen, letztlich aber nicht genug, um die Programme zu füllen. Neue Weiterbildungsangebote müssen sich daher stärker an der Lebens- und Berufsrealität der Zielgruppe orientieren.

Das Modell der Fehlbedarfsfinanzierung war also dauerhaft für unseren Stifter nicht tragbar, die Pandemie hat diese Situation natürlich verschärft.

Was passiert mit den verbleibenden Student*innen?

Es sind knapp 75 Student*innen. Sie erhalten bis zum Auslaufen der Studiengänge selbstverständlich die Möglichkeit, ihr Studium wie geplant abzuschließen. Vor dem Hintergrund der Pandemie und den daraus resultierenden internationalen Reisebeschränkungen mussten wir bereits im Wintersemester 2020/21 darauf verzichten, neue Student*innen in die Programme aufzunehmen. Das war eine schwere Entscheidung.

Welche Funktion hat dann das Zentralinstitut El Gouna noch?

Vorbehaltlich der Zustimmung durch das Kuratorium werden wir auch die Organisationseinheit, nämlich das Zentralinstitut, auflösen. Der Akademische Senat hat bereits zugestimmt.

Und wie soll es nun grundsätzlich weitergehen?

Wichtig ist, dass wir jetzt notwendige Änderungen vornehmen und damit eine Antwort auf die Entwicklungen im Bildungssektor, speziell dem Weiterbildungsbereich, geben. Bildungskonzepte von vor 10 bzw. 15 Jahren greifen heute nur noch bedingt. Auch die Bedürfnisse der Student*innen bzw. Bewerber*innen haben sich in dieser Zeit geändert. Hinzu kommen geplante gesetzliche Regelungen im Berliner Hochschulgesetz, die eine weitere Professionalisierung in der Verwaltung von Weiterbildungsangeboten an öffentlichen Hochschulen erforderlich machen. Darauf müssen wir jetzt mit den notwendigen Umstrukturierungen reagieren. Das heißt für uns, dass wir neue Konzepte für unser Engagement in El Gouna entwickeln werden. Transnationale Bildung und internationale Bildungskooperationen bleiben auch künftig ein wichtiger Baustein unserer internationalen Strategie. Ein neu einzurichtendes Referat in unserer Abteilung Internationales soll die Entwicklung neuer Konzepte, auch über den Kontext von El Gouna hinaus, zentral koordinieren und unterstützen.

Das heißt konkret?

Konkret heißt das, dass wir sowohl den richtigen Inhalt als auch die notwendigen Finanzen finden müssen. Wir brauchen ein tragfähiges Konzept für die Zukunft. Das ist nicht einfach. Aber wir wollen es angehen. Denn die Herausforderungen in der Region für eine nachhaltige Entwicklung sind riesig, und die TU Berlin kann und sollte hier einen Beitrag im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele leisten. Konzepte und Finanzierungsmöglichkeiten für ein weiteres Engagement in El Gouna, aber auch anderen Ländern und Regionen erarbeiten wir derzeit und prüfen sie auf Realisierbarkeit. Zentrale Aspekte werden dabei Digitalisierung, Micro-Degrees und Praxisbezug sein. Unabhängig davon, wie sich die Zusammenarbeit der TU Berlin mit dem Campus in El Gouna entwickeln wird, bleibt Ägypten ein wichtiges Partnerland für uns in der Region. Wir wollen Verantwortung im Globalen Süden übernehmen und werden daher auch künftig gezielt Forschungskooperationen, Ausbildungsangebote sowie einen Kapazitätsaus- und -aufbau an ägyptischen Hochschulen unterstützen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ja, die Kooperation zwischen unserer Abteilung Internationales und dem neugegründeten International Office der Ain Shams Universität in Kairo steht dafür. Gemeinsam überlegen wir, wie unsere ägyptische Partnerin ihre Internationalisierungsstrategie gestaltet und ausbaut.

Ihr Fazit?

Es war wichtig und wird als herausragende Leistung bleiben, dass wir uns gemeinsam mit unserem Alumnus Samih Sawiris in El Gouna sehr engagiert haben. Wir wissen aber auch, dass sich die Zeiten und damit die Bedingungen und Bedürfnisse im Bildungssektor ändern. Darauf reagieren wir jetzt. Das TU-Zentralinstitut El Gouna hat über ein Jahrzehnt eine unschätzbare Expertise in der Zusammenarbeit mit dem globalen Süden und ein umfassendes Netzwerk in der Region aufgebaut. Jetzt gilt es, die gewonnene Kompetenz in neue Kanäle zu leiten.

 

Die Fragen stellte Stefanie Terp.

Berlin, September 2021