Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Literatur und Wissenschaft
© Literarisches Colloquium Berlin
Fachgebiet Literaturwissenschaft

Literaturwissenschaft an der TU Berlin

(mit dem Schwerpunkt Literatur und Wissenschaft)

Mit seinem Schwerpunkt „Literatur und Wissenschaft“ ermöglicht das Fachgebiet Literaturwissenschaft an der TU Berlin die gezielte Weiterentwicklung literatur- und sprachwissenschaftlicher Interessen und zugleich einen besonderen Zugang zum interdisziplinären Forschungsfeld der geisteswissenschaftlichen Wissenschafts- und Technikforschung. Im Masterstudiengang Theorie und Geschichte der Wissenschaft und Technik bilden die Lehrveranstaltungen der Literaturwissenschaft eine von drei Studienrichtungen. Sie widmen sich dem Wandel von Sprache und Literatur im 'technischen Zeitalter', und das heißt im Licht von Technoscience und Maschinenintelligenz. Im Bachelorstudiengang Kultur und Technik ist die Literaturwissenschaft für das interdisziplinäre Modul „Text und Wissen“ verantwortlich. 

Zur Geschichte der Literaturwissenschaft an der TU Berlin

Seit 1895 wurden an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin regelmäßig literaturgeschichtliche Vorlesungen gehalten, und zwar im Rahmen der Abteilung für Allgemeine Wissenschaften, die das Fachstudium der Architektur, des Bauingenieurwesens, des Maschineningenieurwesens, des Schiff- und Schiffsmaschinenbaus sowie der Chemie und Hüttenkunde mit ihrem Lehrangebot ergänzte. Es reichte von der Mathematik und der Physik über die Nationalökonomie und die Rechtswissenschaft bis zur gewerblichen Gesundheitslehre und dem Fremdsprachenunterricht. Nach der 1946 erfolgten Neugründung als Technische Universität Berlin ging aus der Abteilung für Allgemeine Wissenschaften die Humanistische Fakultät hervor. Gemeinsam mit der Philosophie sowie der Kunst- und Musikgeschichte trug das Fach Deutsche Literatur nun zu einem für die Studenten aller Fakultäten verbindlichen, allgemeinbildenden Lehrprogramm bei.

Der Literaturwissenschaftler Paul Altenberg, unter dessen Leitung 1954 auch die Berliner Urania in den Räumen der TU Berlin wiedereröffnet wurde, war einer der prägenden Hochschullehrer dieses humanistischen Studiums in den fünfziger Jahren. Als sein Nachfolger wurde 1959 der Germanist, Lyriker und Literaturkritiker Walter Höllerer berufen. Er trat nachdrücklich für einen Ausbau der Humanistischen Fakultät in Richtung eines breiten geisteswissenschaftlichen Fächerspektrums ein und machte die Literaturwissenschaft mit der Gründung eines Instituts und einer Zeitschrift für "Sprache im technischen Zeitalter" zugleich zum Ort eines ganz neuen interdisziplinären Forschungsinteresses. Die Zeitschrift, deren erste Ausgabe im Herbst 1961 erschien, betrachtete es als ihre Aufgabe, sich der Frage nach der Technik auf dem Weg einer Analyse des gesamten Feldes gegenwärtiger Sprachpraxis zuzuwenden einschließlich der Sprache der Massenmedien und der formalen Computersprachen.

In den ersten Jahren war es vor allem der Linguist Klaus Baumgärtner, der als Höllerers Assistent mit der Entwicklung eines kybernetischen Sprachmodells den Auftrag des Institutsnamens einlöste. Im Wintersemester 1961/62 fand in der Berliner Kongresshalle (dem heutigen Haus der Kulturen der Welt) eine von Höllerer organisierte internationale Lesereihe statt, an der Schriftsteller wie Ingeborg Bachmann, Friedrich Dürrenmatt, Henry Miller, Natalie Sarraute und Eugène Ionesco teilnahmen und die vom Sender Freies Berlin aufgezeichnet wurde. Weitere Fernsehsendungen Höllerers (im Rahmen der Reihe "Berlin stellt vor") präsentierten Persönlichkeiten aus der Berliner Wissenschafts- und Kunstszene im Gespräch. Mit dem Literarischen Colloquium Berlin (LCB) begründete Höllerer 1963 zudem ein bis heute bestehendes Haus zur Förderung der Gegenwartsliteratur. Der von Höllerer als Dekan betriebene Ausbau der Humanistischen Fakultät betraf insbesondere auch die literaturwissenschaftlichen Fächer. So wurde die Germanistik bald um eine ältere Abteilung erweitert und konnte sich damit nach und nach als eigenständiges Fachinstitut etablieren. Norbert Miller und Friedrich Knilli begannen hier als Assistenten ihre akademische Laufbahn. In den siebziger Jahren setzte Miller dann als Lehrstuhlinhaber Akzente in Richtung einer auch Kunst und Musik einbeziehenden Vergleichenden Literaturwissenschaft, während Knilli mit der Entwicklung eines medienwissenschaftlichen Lehrangebots Schritte zu einer institutionellen Ausdifferenzierung unternahm, die dann 1982 zur Etablierung eines eigenen Studiengangs führte.

Mit Thomas Cramer, Peter Wapnewski, Conrad Wiedemann, Hans Dieter Zimmermann, Reinhard Baumgart und Harald Hartung war an der TU Berlin bis in die späten neunziger Jahre die deutsche Literaturgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart vertreten. Ein besonderes Interesse galt dabei, auch in Zusammenarbeit mit der 1992 gegründeten Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), der Berliner Klassik und Romantik. Zum Wintersemester 1999/2000 übernahm Sigrid Weigel zugleich mit ihrem Ruf an die TU Berlin die Direktion des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung (ZfL). Ihr Vorschlag, die geisteswissenschaftlichen Fächer thematisch und methodisch auf die technik- und naturwissenschaftlichen Disziplinen auszurichten, fiel in eine Zeit einschneidender Kürzungen. Mit der 2009 erfolgten Eröffnung der Studiengänge „Kultur und Technik“ (B.A.) und „Geschichte und Kultur der Wissenschaft und Technik“ (M.A.) (mittlerweile erweitert und neu benannt als „Theorie und Geschichte der Wissenschaft und Technik") konnte die Reform aber in vieler Hinsicht umgesetzt werden. Das verbliebene Fachgebiet Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Literatur und Wissenschaft ist heute Teil des Instituts für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte.

Walter-Höllerer-Vorlesung

Einmal im Jahr findet, jeweils zum Ende des Sommersemesters, die Walter-Höllerer-Vorlesung statt, die sich an eine breite, akademisch interessierte Öffentlichkeit richtet. Mit ihr erinnert die Gesellschaft von Freunden der TU Berlin an den Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Walter Höllerer (1922-2003) und seinem Einsatz für die Universität als Ort der Geistesgegenwart im „technischen Zeitalter“. Bei der Programmgestaltung wird die Gesellschaft von Freunden der TU Berlin von einem Beirat unterstützt. Ihm gehören an: Ulrike Draesner, Axel Gelfert, Eva Geulen, Florian Höllerer, Sebastian Möller sowie Hans-Christian von Herrmann (für den Vorstand). 

Vor 12 Jahren war der Schweizer Germanist und Schriftsteller Peter von Matt der erste Redner in dieser Reihe, in der seitdem Männer und Frauen ganz unterschiedlicher Profession für ihre Arbeiten auf dem Feld von Wissenschaft, Kunst und Kultur durch eine Einladung geehrt wurden. Dabei waren neben den verschiedenen historischen Geisteswissenschaften auch die Hirnforschung und die Primatenforschung vertreten. Die Vorlesung im Jahr 2010 war dem ehemaligen Studenten der TH Berlin und Erfinder der ersten programmgesteuerten Rechenmaschine, Konrad Zuse, gewidmet. Sie wurde gemeinsam bestritten vom Schriftsteller F.C. Delius und dem Informatiker Bernd Mahr, dem 2015 verstorbenen langjährigen Mitglied der Freundesgesellschaft. 

Mit dieser thematisch breiten, fächerübergreifenden Ausrichtung will die Walter-Höllerer-Vorlesung an die Aktivitäten ihres Namensgebers erinnern, der von 1959 bis 1988 Literaturwissenschaft an der TU Berlin lehrte und daneben auch als Lyriker, Literaturkritiker und Literaturvermittler hervortrat. Höllerer hat dem Kulturleben seiner Stadt Impulse gegeben, die bis heute spürbar sind. So hat man ihn in neueren Würdigungen den „Erfinder des Literaturbetriebs“ genannt, nicht zuletzt im Blick auf seine Gründung des Literarischen Colloquiums (LCB), des in der Vielzahl und Qualität seiner Veranstaltungen weiterhin einzigartigen Literaturhauses am Wannsee. Auf jeden Fall war Walter Höllerer auf maßgebliche Weise daran beteiligt, daß die Stimme der deutschsprachigen und internationalen Literatur im Nachkriegsberlin wie im Nachkriegsdeutschland wieder ein konstitutiver Bestandteil der Öffentlichkeit werden konnte. Die von ihm zu Beginn der sechziger Jahre organisierte Lesereihe Literatur im technischen Zeitalter wurde nicht nur ein großer Publikumserfolg, sondern zugleich auch ein bundesweites Fernsehereignis. 

Die Gesellschaft von Freunden der TU Berlin erinnert mit dieser Vorlesung aber auch an eine wichtige Seite des Hochschullehrers und öffentlichen Intellektuellen Walter Höllerer. So rief er 1961 eine Zeitschrift ins Leben, deren heute sprichwörtlich gewordener Titel kurze Zeit später auch bei der Benennung des neugegründeten literaturwissenschaftlichen Instituts Verwendung fand: "Sprache im technischen Zeitalter". Vor dem Hintergrund einer immer weiter voranschreitenden Ausdifferenzierung der universitären Wissenschaft in einander oft sprach- und verständnislos gegenüberstehende Teilgebiete, war damit ein gemeinsamer zeitdiagnostischer Bezugspunkt markiert: der tiefgreifende Wandel der Lebenswelt im Zeichen neuer intelligenter Technologien. Der Philosoph Gotthard Günther, der in seinen Schriften schon früh auf diese Entwicklungen antwortete, sprach damals von trans-klassischen Maschinen, insofern sie sich nicht mehr an der Mechanik und Energetik der menschlichen Arbeit, sondern an den neurophysiologischen Prozessen des Gehirns orientierten. Das Schlagwort, unter dem diese veränderte Lage in den fünfziger und sechziger Jahren verhandelt wurde, lautete: Kybernetik. Der Philosoph Arnold Gehlen, auf dessen vielgelesenen Essay "Die Seele im technischen Zeitalter" von 1957 Walter Höllerer bewußt anspielte, stellte gegenüber der Kybernetik als Theorie der Regelungstechnik fest, die technischen Wissenschaften hätten sich hier zu  einem Erkenntnisinstrument in Bezug auf das menschliche Denken und Verhalten gewandelt und damit genau das Gebiet betreten, auf das bis dahin allein die Geisteswissenschaften Anspruch erhoben. Die Technik sei heute, wie Gehlen schrieb, „in den Mittelpunkt der menschlichen Weltauslegung und damit auch seiner Selbstauffassung“  vorgerückt. 

Die Walter-Höllerer-Vorlesung 2019 wurde von Petra Gehring (TU Darmstadt) zum Thema "Ethik als Technik" gehalten. Sie fand am 11. Juli um 18 Uhr c.t. in Hörsaal H 104 statt (zum Audiomitschnitt).

Nachdem die Walter-Höllerer-Vorlesung 2020 pandemiebedingt ausfallen mußte, sprach am 8. Juli 2021 Hans Uszkoreit (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) zum Thema "Menschliche Sprache und Künstliche Intelligenz" (zum Videomitschnitt).

Die Walter-Höllerer-Vorlesung 2022 fällt ins Jahr des 100. Geburtstages ihres Namensgebers. Am 8. Dezember 2022 wird Hannes Bajohr (Universität Basel) zum Thema "Digitale Literatur" sprechen. 

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