Projektwerkstatt Second-Hand Mobilität

Simson Moped lässt sich schneller auf Elektro umbauen als sich ein Schrank aufbauen lässt

Interview mit Carlo Schmid, Mit-Organisator und Tutor der Projektwerkstatt Second-Hand Mobilität

„Second-Hand Mobilität" ist eine Projektwerkstatt der Technischen Universität Berlin. Dahinter steckt die Idee, Fahrzeuge mit veralteter Antriebstechnologie klimafreundlich umzubauen, statt zu entsorgen. Für die Umweltbilanz der Umstellung auf emissionsarme Verkehrsmittel ist der gesamte Lebenszyklus von der Produktion über die Nutzung bis zur Entsorgung der Fahrzeuge ausschlaggebend. Am Beispiel eines Simson Mopeds wird das Konzept eines serienmäßigen Umbaus gebrauchter Fahrzeuge auf alternative Antriebe untersucht. In vier Semestern soll ein Kleinkraftrad auf Elektroantrieb umgebaut werden. 15 Student*innen können je Semester bei unterschiedlichen Phasen des Umbaus mitmachen.

Was ist die „Second-Hand Mobilität“? 

Carlo Schmid: „Second-Hand Mobilität” steht für das Konzept, Altfahrzeugen ein zweites CO2-neutrales Leben einzuhauchen. In Deutschland sind derzeit knapp 50 Millionen Verbrennungsfahrzeuge auf den Straßen unterwegs. Bis 2050 soll der Straßenverkehr aber laut Regierungsplänen klimaneutral sein, die Verbrenner müssen irgendwie von den Straßen kommen. In der Regel bedeutet das, dass sie verschrottet und durch neue Elektro- und Wasserstoffneufahrzeuge ersetzt werden, deren Produktion enorme neue Emissionen generiert.  

Unsere Lösung dafür ist es, Verbrennungsfahrzeuge in großer Stückzahl zu elektrifizieren. Die Fahrzeuge haben ohne die Produktion der Karosserie, Reifen etc. einen halbierten ökologischen Fußabdruck gegenüber neuen Elektrofahrzeugen und könnten aufgrund der geringeren Kosten einer breiteren Bevölkerungsgruppe zugänglich gemacht werden.

Die Projektwerkstatt habe ich gegründet, um dafür eine Machbarkeitsstudie durchzuführen. Kleinkrafträder wie die kultische Schwalbe und andere Mopeds der Ostmarke Simson haben sich für ein Proof-of Concept perfekt angeboten: Sie sind weit verbreitet in Deutschland, vergleichsweise kostengünstig [Anmerkung der Redaktion: Gebrauchte Simson Mopeds kosten ab 1.500 Euro], technisch simpel und sehr beliebt. Wir entwickeln jetzt einen Umbausatz, der es jeder/jedem ermöglichen soll, ein Simson Moped in Minuten auf Elektro umzubauen. 

Wie sind sie darauf gekommen? 

Carlo Schmid: Ich bin schon länger ein großer Fan von Second-Hand-Kleidungsgeschäften. Für mich ist das eine Win-Win-Win-Situation: Es ist günstiger, nachhaltiger und individueller als neu produzierte Kleidung. Das Ganze wollte ich dann auf die Automobilindustrie übertragen, die deutlich höhere Emissionen zu verantworten hat. Als ich über das Format der Projektwerkstätten gelesen habe, wusste ich sofort, was zu tun war. Eine Woche später war die Bewerbung eingereicht.

Wie organisieren Sie die Projektwerkstatt?  

Carlo Schmid: Wir sind zwei Tutoren und je Semester 15 Teilnehmer*innen. Die Teilnehmer*innen arbeiten in Teams von bis zu drei Student*innen an der technischen Umsetzung des Projekts. Die Arbeit ist dabei üblichen Lehrformaten sehr fern. Anstatt dass die Gruppen nur intern kommunizieren, gibt es einen kontinuierlichen Austausch zwischen allen 15 Student*innen. Außerdem existiert es, abgesehen von der Prüfungssituation, kein steiles Machtgefälle. Jede und jeder hat Einfluss auf die Aufgabenstellung, die er oder sie durchführt. Ähnlich wie ein Startup-Unternehmen funktionieren würde. Die Teams gleichen den Entwicklungsabteilungen. Zur Prototypenerstellung benutzen wir 3D-Drucker, CNC-Fräsen und Laserschneidmaschinen und arbeiten uns so Stück für Stück näher an das Ziel eines fahrenden Prototyps.

Treibt Sie das Thema an oder interessiert Sie vor allem das Werkstatt-Format? 

Carlo Schmid: Sowohl als auch. Ich denke, dass die beste Lehre themengetrieben ist. Das heißt, jede/r Student*in sollte das Gefühl haben, an etwas Sinnhaftem zu arbeiten. Wenn man ihnen dann noch genügend Handlungsspielraum gibt, statt sie bei jeder Kleinigkeit zu kontrollieren und zu benoten, arbeiten sie nach unserer Erfahrung hochmotiviert und freiwillig gern. Wir treffen uns jede Woche einmal zu einer Videokonferenz. Obwohl es weder Anwesenheitspflicht noch Punkte für die Mitarbeit gibt, werden wir immer wieder vom Einsatz der Student*innen vom Hocker gehauen.

Was sind die großen Herausforderungen – was geht (noch) nicht gut? 

Carlo Schmid: Anfangs war die Finanzierung eine nahezu unüberwindbare Hürde. Ohne die Unterstützung des Fachgebiets Konstruktion und Produktzuverlässigkeit und Professor Robert Liebichs Vertrauen wäre die Projektwerkstatt nie zustande gekommen. Mit der regulären Sachmittelunterstützung von Projektwerkstätten ist es kaum möglich, Projekte wie unseres, die viel Hardware benötigen, zu realisieren.  

Außerdem ist es schwierig, eine sinnvolle Prüfungsform für eine Projektwerkstatt wie unsere zu entwickeln. Gerade habe ich die Vorteile genannt, die Mitarbeit nicht zu bewerten. Es bleiben dann jedoch nur Prüfungsformen wie Präsentationen und schriftliche Berichte. Über eine Klausur denke ich gar nicht erst nach. Damit ist es zwar gut möglich, die Qualität der Ergebnisse zu bewerten, weniger jedoch, wie die Student*innen zu diesen gelangt sind. Ich denke trotzdem, dass es in unserem Fall die beste Lösung ist. 

Was nehmen Sie für Ihre persönliche Entwicklung mit?  

Carlo Schmid: Ich lerne mehr denn je durch die Leitung der Projektwerkstatt. Klischeehaft könnte ich jetzt sagen, es gibt täglich neue Herausforderungen. Aber da ist tatsächlich schon etwas dran. Als ich die Projektwerkstatt gegründet habe, dachte ich, ich werde vor allem etwas über die Elektrifizierung von Fahrzeugen lernen. Jetzt verbringe ich jedoch einen Großteil meiner Zeit mit der Koordination der Student*innen, externen Kooperationen zum Beispiel mit dem Universitätsverbund Foresight Festival, Automobil Marketplace Drivery und Wettbewerben. Dazu gehören der Green Buddy Award und CESEAR Best Idea 2021. Trotzdem liegt für mich nach wie vor der Fokus auf der Entwicklung des Umbausatzes. 

Der Umbausatz klingt nach einem interessanten Produkt. Könnten Sie sich vorstellen, die Einbaumodule im großen Stil zu verkaufen? 

Carlo Schmid: Eigentlich ja. Ich kann mir eine Ausgründung vorstellen. Mit den Umbausätzen könnte ich ein Startup gründen. Ich kann mir vorstellen, dass die Nachfrage durchaus vorhanden ist. Auf unserer Website gibt es ein Video – es dauert nur eine Minute! –, in dem wir das Antriebsmodul gefilmt haben und die Idee der Wiederbenutzung von Verbrennungswerkzeugen erläutern. 

 

Das Gespräch führte Christina Camier.