Medieninformation | 4. August 2020 | kj

Coronavirus: Gibt es Kreuzimmunität in der Bevölkerung?

Gemeinsame Studie der Charité und der TU Berlin sucht Berlin/Brandenburger Proband*innen

Die Corona-Hotspots, die immer mal wieder in Deutschland entstehen, verdeutlichen die paradoxe Situation: Einige Menschen erkranken sehr schwer an Corona. Andere haben lediglich leichte oder gar keine Symptome – und das obwohl sie eventuell dem gleichen Ansteckungsherd ausgesetzt waren. Mit den möglichen Gründen dafür beschäftigen sich aktuell viele Wissenschaftler*innen, darunter auch Prof. Dr. Andreas Thiel von der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Prof. Dr. Roland Lauster, Leiter des Fachgebiets Medizinische Biotechnologie an der TU Berlin. In einer großen vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geförderten Proband*innen-Studie untersuchen beide Teams mit dem Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik (MPIMG) und dem Robert Koch-Institut (RKI) jetzt, wie der Immunstatus der Bevölkerung gegenüber der Corona-Virenfamilie ist. Dafür werden aktuell Proband*innen aus dem Berliner und Brandenburger Raum gesucht.

Die Corona-Virusfamilie ist dem Immunsystem lange bekannt

Eine Hypothese der Wissenschaftler*innen: Coronaviren begleiten die Menschheit seit vielen Jahren. Die Virusfamilie ist verantwortlich für einen Teil der üblichen Winter-Erkältungen mit meistens milden Verläufen. Das Immunsystem von vielen Menschen ist daher bereits mit dieser Virusfamilie vertraut.

Das SARS-CoV-2-Virus ist eine unrühmliche Ausnahme innerhalb dieser Virusfamilie: Es war dem menschlichen Immunsystem bisher unbekannt, ist darüber hinaus hochinfektiös und kann potenziell schwere Krankheitsverläufe auslösen.

Möglicherweise gibt es jedoch durch die enge Verwandtschaft der Viren eine Art Teil-Immunität. Ob diese Teil-Immunität nun verantwortlich sein kann für mildere Verläufe einer SARS-CoV-2-Infektion, ist allerdings bisher nicht bewiesen.

Kreuzreaktivität verantwortlich für Teilimmunität?

Bei einer Virusinfektion mit einem Erreger reagiert das Immunsystem auf bestimmte Proteine oder Strukturen dieses Erregers und es wird eine Kaskade von Reaktionen ausgelöst. Handelt es sich um einen unbekannten Erreger, ist die Reaktion langsam. Es wird aber im Allgemeinen ein sogenanntes immunologisches Gedächtnis generiert, so dass der Erreger bei einem erneuten Kontakt viel schneller und effizienter bekämpft werden kann. Bei eng verwandten Krankheitserregern – zum Beispiel Viren aus einer Familie – kann es vorkommen, dass das Immunsystem auch auf Strukturen eines eigentlich unbekannten Erregers schnell und effizient reagiert, weil die Strukturen dieser Viren sich nur geringfügig unterscheiden. Man spricht auch von einer sogenannten Kreuzreaktivität.

Studie gibt Hinweise auf Kreuzimmunität

„Kann die unterschiedliche Reaktion auf das neue Coronavirus vielleicht damit zusammenhängen, dass das Immunsystem der Menschen, die schon öfter Kontakt zu den harmlosen Familienmitgliedern der Coronaviren hatten, alarmiert ist? Also bereits über Immunzellen verfügt, die dann eine schnelle Reaktion gegen das neue Virus einleiten? Das wäre zumindest eine Möglichkeit, die unterschiedlichen Verläufe zu erklären“, so Roland Lauster.

In einer ersten Studie konnten Forscher*innen nachweisen, dass sich in dem Blut von Menschen, die nachweislich kein COVID-19 hatten, Zellen finden, die spezifisch mit Proteinen des SARS-CoV-2-Virus kreuzreagieren. „Diese Hinweise sind zwar noch kein Beweis für unsere Hypothese. Aber sie verpflichten uns geradezu, jetzt große Studien zu starten“, so Andreas Thiel.

Bisher ist nicht klar, ob eine mögliche erworbene Teil-Immunität den Verlauf der Infektion mildert oder ob das alarmierte Immunsystem die Reaktion verschärft und es zu vergleichsweise schweren Verläufen kommt. Durch die Erhebung genügend großer Datensätze soll nun die wissenschaftliche Grundlage für Aussagen zu solchen Fragestellungen geschaffen werden.

Proband*innen gesucht

Dafür suchen die Wissenschaftler*innen aktuell COVID-19-Genesene aus dem Raum Berlin/Brandenburg, die bereit sind, eine Blutprobe abzugeben.

Patient*innen, die nachweislich zu den COVID-19-Genesenen gehören und Interesse haben, bei der Studie mitzuwirken, werden gebeten, die Forscher*innen per E-Mail oder telefonisch zu kontaktieren. Auch Patient*innen, die in den letzten Jahren nachweislich von Infektionen mit Erkältungs-Coronaviren (zum Beispiel: 229E, OC43, NL63 oder HKU1) betroffen waren, können sich melden. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass die Proband*innen über ein schriftliches Ergebnis des positiven Corona-Abstrichs oder aber des positiven Antikörper-Tests verfügen oder dieses nachreichen können.

Die Studienärztin ist telefonisch montags bis freitags zwischen 10 und 17 Uhr unter der Tel: 030 314 279 12 oder per E-Mail (studie(at)si-m.org) zu erreichen.

Mehr Informationen

Braun, J., Loyal, L., Frentsch, M. et al. SARS-CoV-2-reactive T cells in healthy donors and patients with COVID-19. Nature (2020)
https://doi.org/10.1038/s41586-020-2598-9

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