Sicherheit im Radverkehr

Wie durch gemeinsame Forschung mit der Stadtgesellschaft der Tritt in die Pedale für alle sicherer werden kann

Aufstehen, Frühstück und dann ab auf den Sattel. Für viele Berliner*innen gehört der morgendliche Schwung auf das Fahrrad zur festen Routine beim Start in den Tag und der Weg zur Arbeit auf zwei Rädern fährt sich fast wie automatisch. Radfahren schont Klima und Portemonnaie und ist außerdem gut für die Umwelt. Nicht nur daher versucht die Stadt Berlin den Radverkehr zu fördern und auszubauen.

Leider kommt es aber gerade auch in Berlin häufig zu gefährlichen Situationen, da sich Radfahrende die urbane Verkehrsinfrastruktur und die zum Teil engen Straßen mit Autos, Straßenbahnen und anderen Verkehrsteilnehmenden teilen müssen. Autofahrende halten nicht immer den vorgesehenen Mindestabstand zu Radfahrenden ein und erzeugen durch Unachtsamkeit und Fahrlässigkeit Risiken für die radelnde Stadtbevölkerung.

Wissenschaftliche Forschung mit Bürgernähe – Projekt von ECDF-Professor David Bermbach soll Theorie und Praxis verbinden

David Bermbach ist einer dieser rund 500.000 Berliner*innen, die täglich auf das Fahrrad steigen. Der Juniorprofessor der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) fährt bewusst mit dem Rad zu seinem Arbeitsplatz auf dem Campus Charlottenburg und weiß daher aus eigener Erfahrung um die Nöte und Probleme der Radfahrer*innen der deutschen Hauptstadt.

Selbst bei höchster Vorsicht sind Radfahrende der Gefahr ausgesetzt, von motorisierten Verkehrsteilnehmenden touchiert, bedrängt oder sogar in einen Unfall verwickelt zu werden. Umfragen zeigen, dass diese Gefahren viele Menschen davon abhalten, auf das Fahrrad als Verkehrsmittel für den Arbeitsweg oder in der Freizeit umzusteigen.

Die TU Berlin setzt hier mit einem Citizen-Science-Projekt an. Das ist eine Form der sogenannten „Offenen Wissenschaft“, bei der Projekte unter Mithilfe interessierter Laien durchgeführt werden. „SimRa“, kurz für „Sicherheit im Radverkehr“, startete im September 2018 mit einer Projektlaufzeit von drei Jahren. Über die Nutzung einer Smartphone-App werden Daten über „Beinaheunfälle“ und Fahrradrouten gesammelt. Über die Auswertung dieser Daten lassen sich dann Empfehlungen für verkehrspolitische und städtebauliche Maßnahmen entwickeln, die an Politik und Stadtverwaltung herangetragen werden.

Die beteiligten Bürger*innen erhalten die Möglichkeit zur Mitbestimmung – eine Aufklärungskampagne informiert sowohl über den Projektverlauf als auch die Ergebnisse. Das Ziel: mehr Sicherheit und eine bessere Infrastruktur für Radfahrende im Straßenverkehr.

Dem Informatiker ist wichtig, dass seine Forschungstätigkeit der Berliner Stadtgesellschaft zugutekommt

Durch die persönliche Erfahrung von David Bermbach kam die Idee für das Citizen-Science-Projekt nicht von ungefähr. Bermbach ist promovierter Informatiker und Leiter eines neuen Fachgebiets am Berliner Einstein Center Digital Future, der universitätsübergreifenden Einrichtung für die Erforschung der digitalen Transformation der Gesellschaft.

Das Team des Ende 2017 gegründeten Bereichs „Mobile Cloud Computing“, den Bermbach leitet, erforscht das software-technische Design und die experimentgetriebene Bewertung verteilter IT-Systeme im Kontext moderner Anwendungen mit einem Fokus auf Datenmanagementsysteme und Anwendungsarchitekturen. Er fragte sich, wie er seine Forschungstätigkeit mit bürgernaher Wissenschaft und einem konkreten Forschungsziel, das der Berliner Stadtgesellschaft zugutekommt, verbinden kann.

Die Idee, den Straßenverkehr durch Nutzung innovativer digitaler Technologien sicherer zu machen, übte nicht nur auf ihn einen starken Reiz aus, auch die Kolleg*innen seines Teams waren für diese anwendungsorientierte Forschung leicht zu begeistern.

Forschende machen sich die standardmäßig eingebauten Sensoren zunutze, um Routen und gefährliche Situationen der Radfahrenden zu erkennen

Ziel ist es, durch die Sammlung von Daten einen Überblick über Gefahrenpunkte in der Stadt und die Häufung gefährlicher Situationen zu erhalten. Die Stadt Berlin verfügt bereits über Daten zu Unfällen, in die Fahrradfahrende verwickelt sind. Unfallstatistiken erfassen jedoch keine „Beinaheunfälle“ und Fahrräder verfügen nicht über Sensoren, diese Vorfälle zu erfassen.

Oft handelt es sich dabei um plötzlich abbiegende oder überholende Pkw und Lkw, die Vollbremsungen oder Ausweichmanöver notwendig machen. Das Team um David Bermbach hat sich für die Erfassung dieser Situationen eine eigene Lösung einfallen lassen.

Konkret werden für das SimRa-Projekt Teilnehmende gesucht, die eine App auf ihrem Smartphone installieren und den Forschenden Daten über ihre Fahrten auf dem Zweirad zukommen lassen.

Anfangs war das nur in Berlin möglich, mittlerweile aber können auch Interessierte in Augsburg, Bern, Bochum, Stuttgart oder Pforzheim ihren Beitrag leisten.

In jedem handelsüblichen modernen Smartphone ist die Möglichkeit der GPS-Lokalisierung sowie standardmäßig ein Beschleunigungssensor eingebaut. Durch letzteren erkennt das Smartphone etwa, wenn ein Handy auf die Seite gedreht wird und stellt das Display von Hoch- zu Querformat um.

Die Forschenden machen sich diesen Sensor zunutze und werten über diese beiden Module sowohl die Fahrtroute als auch Gefahrensituationen, etwa plötzliches Bremsen, Ausweichen oder einen Sturz aus. Nach Fahrtende werden die Radfahrenden über die App gebeten, unkompliziert die festgestellten Gefahrensituationen zu kategorisieren und eventuell noch weitere Hinweise zu ergänzen.

Das Projekt SimRa schafft auf datenschutzkonforme Art und Weise Erkenntnisse zur Verbesserung des städtischen Radverkehrs

Teilnehmen ist für interessierte Bürger*innen sehr einfach. Die App lässt sich in den gängigen App Stores herunterladen, nach kurzer Lektüre der Anleitung kann es losgehen. Sie bietet neben dem guten Gefühl etwas für den Fortschritt der Wissenschaft getan zu haben, auch ganz praktische Funktionen. So zeigt die App nützliche Informationen wie gefahrene Distanz, Durchschnittsgeschwindigkeit oder ähnliches an. Im durchdachten Konzept kommen auch sogenannte „Gamification“-Elemente zum Einsatz und spornen zum Sammeln neuer Routen an.

Dabei legt das Team äußerst hohen Wert auf Datenschutz und Transparenz über die Verwendung der erhobenen Daten. So werden die Daten zunächst nur lokal auf dem Smartphone erfasst. Erst nach der Fahrt können Nutzer*innen entscheiden, ob die Informationen an den deutschen Server des Projektteams übermittelt werden. Dabei wird jede Fahrt einzeln pseudonymisiert, sodass keine Bewegungsprofile erstellt werden können. Anders als der Großteil privater Anbieter von Smartphone-Apps verfolgt das Team als Teil einer öffentlich-rechtlichen Hochschule zudem keine wirtschaftlichen und profitorientierten Absichten.

Einbindung der Zivilgesellschaft ist ein wichtiges Anliegen der TU Berlin

Gemeinsam mit entsprechenden Fachgebieten der Universität, etwa im Bereich der Stadtplanung und unter Einbezug interessierter Bürger*innen werden die Informationen ausgewertet und die Ergebnisse beispielweise der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zur Verfügung gestellt. Im nächsten Schritt kann die Politik Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs einleiten.

Die TU Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, Forschung und Lehre zum Nutzen der Gesellschaft voranzutreiben. Der Ansatz, Bürger*innen über Citizen-Science-Projekte direkt in die Forschung einzubeziehen, bietet der Hochschule die ideale Möglichkeit die Bedarfe der Zivilgesellschaft über den direkten Austausch zu identifizieren sowie kontinuierliches Feedback der Stadtgesellschaft einzuholen. Diesen eingeschlagenen Weg wird die Universität in Zukunft weiter ausbauen.