Jetzt messen Sie selbst!

Citizen-Science-Projekt der TU Berlin sucht interessierte Bürgerwissenschaftler*innen

Stickoxide (NOx) sind ein Aufregerthema – nicht erst seitdem Überschreitungen der Grenzwerte dazu herangezogen werden, um Fahrverbote in bestimmten Gegenden oder Straßen auszusprechen. Stickstoffdioxid (NO2) gilt als Gesundheitsrisiko, trägt zur Feinstaubverschmutzung bei und belastet die Umwelt, indem es zu Übersäuerung führen und Pflanzen schädigen kann. „Zwar finden europaweit regelmäßige Messungen zur Überwachung der Stickoxidbelastungen statt, aber diese Messungen sind bei weitem nicht flächendeckend“, so Prof. Dr. Andreas Held, Professor für Umweltchemie und Luftreinhaltung an der Technischen Universität Berlin (TU Berlin). Um Lücken zu schließen und verlässliche Werte über die Stickoxidbelastung in dem gesamten Stadtgebiet von Berlin zu bekommen, organisiert Andreas Held zusammen mit seiner Mitarbeiterin Annelie Höhne seit Anfang 2019 ein Citizen-Science-Projekt mit dem Titel „Jetzt messen wir“. 

Wie funktioniert die Messung?

„Die Idee ist es, möglichst viele NO2-Sammler an möglichst viele Bürger*innen aus dem gesamten Stadtgebiet von Berlin zu verteilen“, erläutert Annelie Höhne das Projekt. Ein Sammler sieht aus wie ein 500-Gramm-Joghurtbecher und enthält vier Messröhrchen: Ein Kontrollröhrchen und drei zum Messen. Die Messröhrchen werden geöffnet und für 14 Tage an einem beliebigen Ort aufgehängt, dann abgenommen, verschlossen und zurück zur TU Berlin befördert. „Wir werten anschließend mit Hilfe einer einfachen chemischen Analyse aus, wieviel Stickstoffdioxid innerhalb der 14 Tage in der Luft enthalten war“, erläutert Annelie Höhne. Diese Daten fließen zusammen mit den Standortinformationen des Sammlers in den interaktiven NO2-Atlas von Berlin ein, den jede interessierte Person online einsehen kann. 

Messergebnisse fließen in interaktiven NO2-Atlas von Berlin

„In diese Karte integrieren wir auch Messungen des Senats, mit dem wir eng zusammenarbeiten, sowie die Messungen, die wir mit unseren Studierenden durchführen. Ziel ist es, am Ende einen möglichst flächendeckenden Atlas zu erhalten. Diese Daten ermöglichen es uns, die räumliche Variabilität von NO2 und somit auch die Belastungssituation betroffener Bewohner*innen besser beurteilen zu können. Neben den bekannten Stickoxid-Quellen wie Straßenverkehr oder Heizungen erwarten wir auch neue Erkenntnisse über weitere Quellen oder Senken von Stickoxiden im Stadtgebiet. Anhand von möglichen Hotspots, an denen die Konzentration besonders hoch ist, soll die Wirkung verschiedener Einflussfaktoren auf die NO2-Konzentration wie die Wetterlage und die Bebauung betrachtet werden“, so Andreas Held.  

Über 450 Sammler haben die Wissenschaftler*innen bereits verteilt. Laufend wird der NO2-Atlas aktualisiert und die gemessenen Werte werden mit denen aus dem offiziellen Berliner Luftgütemessnetz der Senatsverwaltung verglichen. Weitere Verbesserungen sind geplant. „Momentan werden alle Messpunkte unabhängig vom Zeitpunkt der Messung abgebildet. Die Temperatur beeinflusst aber die NO2-Konzentration ganz wesentlich. Momentan gibt es noch keine Möglichkeit, Messpunkte anhand des Messzeitpunktes zu filtern. Daran arbeiten wir aber“, so Annelie Höhne.

Individuelle Auswertung für jede*n Teilnehmer*in

Um eine flächendeckende Abdeckung zu erreichen, sind die Wissenschaftler*innen aber auf weitere interessierte Bürgerwissenschaftler*innen angewiesen. „Die Resonanz der Angesprochenen ist meistens sehr gut. Viele Menschen interessieren sich für die Qualität der Atemluft, die sie umgibt – schließlich beeinflusst sie unmittelbar unser Wohlbefinden“, so Andreas Held, dem es ganz wichtig ist, dass die Beteiligung der Bürger*innen keine Einbahnstraße ist: Jede*r Teilnehmer*in bekommt eine Auswertung seines Sammlers und damit genaue Informationen über die Stickoxidbelastung in seinem Umfeld sowie die ausgewerteten Gesamtergebnisse zur Verfügung gestellt. Außerdem bietet das Fachgebiet Infoveranstaltungen und Workshops an, bei denen die Bürgerwissenschaftler*innen gemeinsam mit den verantwortlichen Forscher*innen im Labor die Messröhrchen auswerten und ganz unmittelbar erfahren können, wie Wissenschaft arbeitet. „Wir haben uns auch ganz direkt an Berliner Schulen gewendet und gemeinsame Projekte angeboten“, so Annelie Höhne.