„Das Wissenschaftssystem muss sich ändern!“

Gabriele Wendorf über die Notwendigkeit transdisziplinären Forschens

Frau Dr. Wendorf, in einem unlängst veröffentlichten Paper in dem „Nature“-Tochter-Journal „Nature Sustainability“ haben Sie zusammen mit internationalen Kolleg*innen dargelegt, dass es weltweit noch an einem Umfeld mangelt, in dem sich transdisziplinäre Wissenschaft entwickeln kann. Warum dieser Weckruf?
Transdisziplinäres Arbeiten ist notwendig, nicht nur um das Thema Nachhaltigkeit in allen wissenschaftlichen Bereichen zu etablieren. Ohne Nachhaltigkeit, also ohne die Sicherung unserer Lebensgrundlagen, setzen wir das Leben künftiger Generationen aufs Spiel. Das komplexe Thema Nachhaltigkeit ist aber in der Wissenschaft nicht zu verankern ohne eine transdisziplinäre Herangehensweise an Herausforderungen wie den Kohleausstieg. Das Bewusstsein dafür muss geschärft werden.

Vielleicht erklären Sie noch einmal, was das Wesen transdisziplinärer Forschung ist.
Transdisziplinäres Forschen beinhaltet, dass bei der Formulierung der wissenschaftlichen Fragen von Beginn an außerwissenschaftliche Akteure beteiligt sind, das heißt, deren Fragen in die Forschungsagenda aufgenommen werden und deren Expertise während des Projektes einbezogen wird.

Citizen-Science-Projekte, die sich an der TU Berlin zunehmend finden, sind also eine Form transdisziplinären Forschens?
Ja. Die TU Berlin ist übrigens eine Vorreiterin auf dem Gebiet des transdisziplinären Forschens: Mit der Gründung des Zentrums Technik und Gesellschaft vor mehr als 20 Jahren erkannte sie früh die Zeichen der Zeit. Nahezu alle Vorhaben des Zentrums sind transdisziplinär. Und durch die TU-Vizepräsidentin für Forschung, Berufungsstrategie und Transfer Christine Ahrend sind in den vergangenen Jahren viele richtungsweisende Entscheidungen getroffen worden.

In dem Paper machen die Autor*innen sehr deutlich, dass es für das transdisziplinäre Forschen eine neue Generation von Forschenden braucht. Warum?
Transdisziplinäres Forschen ist hochkomplex, und dafür braucht es komplex ausgebildete Wissenschaftler*innen. Die aber „liefert“ das Universitätssystem bislang nicht. Es gibt dafür keine systematische Ausbildung. Das ist ein weltweites Problem. Alle führenden Institutionen, die Nachhaltigkeitsforschung betreiben, wissen um diese Leerstelle. Fazit ist, dass sich das Wissenschaftssystem weltweit ändern muss, sonst bekommen wir die Zukunftsprobleme nicht mit der notwendigen Schnelligkeit gelöst.

Das Interview führte Sybille Nitsche