Medieninformation | 31. Januar 2022 | sn

Gemeinsame Medieninformation von TU Berlin, Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und Kompetenzzentrum für Deradikalisierung des Bayerischen Landeskriminalamts

Wege aus dem salafistischen Extremismus

Studie unterstreicht die Relevanz von Beratungsarbeit

Was bringt Menschen dazu, sich aus einer salafistischen Ideologie zu lösen? Wo und wie kann Beratung besser ansetzen, um Betroffene auf dem Weg ihrer Loslösung vom Salafismus zu unterstützen? Drei Jahre lang haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit diesem Thema beschäftigt. Die nun veröffentlichte Verbundstudie „Praxisorientierte Analyse von Deradikalisierungsverläufen“ („PrA-Dera“) zeigt die Vielfalt der Wege in und aus dem salafistischen Extremismus.

Besonders für junge Menschen in schwierigen Lebenslagen ist der Salafismus attraktiv, weil er eine scheinbar klare Orientierung anbietet. Die erstmals mit Betroffenen geführten Interviews ergaben in der wissenschaftlichen Analyse, dass professionelle Unterstützung durch ein Beratungsangebot eine wichtige und notwendige Hilfe gerade für jene Personen darstellt, die nicht in der Lage sind, sich selbstständig von der Ideologie und der „Szene“ zu distanzieren. Über die Frage, wie sich die verschiedenen Wege der Distanzierung unterscheiden und welche Faktoren wirksam werden, konnte eine Typologie erstellt werden.

„Menschen wenden sich aus unterschiedlichen Gründen zum Salafismus hin, ein typisches Profil gibt es nicht. Im Verlauf der Deradikalisierung ist Unterstützung durch Familie, Partnerin oder Partner eine wichtige Stütze. Auch Beratungsangebote haben durchweg positive Effekte und sind in einigen Fällen für eine Distanzierung unbedingt notwendig“, sagt Corinna Emser, Studien-Mitautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Für das durchgeführte Verbundforschungsprojekt „PrA-Dera“ arbeitete das BAMF-Forschungszentrum mit dem Kompetenzzentrum für Deradikalisierung des Bayerischen Landeskriminalamts und dem Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin zusammen. „Das Projekt ist ein sehr gutes Beispiel für die gelingende Zusammenarbeit von universitärer Forschung und Forschungseinrichtungen in Behörden, die gemeinsam nach höchsten wissenschaftlichen und ethischen Standards zusammengearbeitet haben“, so das Resümee von Dr. Robert Pelzer, Projektleiter am Zentrum Technik und Gesellschaft.

Deradikalisierung in und nach der Haft

Besonderen Bedingungen unterliegen Menschen, die straffällig und inhaftiert wurden, wie die Analyse der Deradikalisierungsverläufe weiter ergab. Für diese Interviewten war die Haft ein einschneidender Moment in ihrer Biografie: Denn in der Haft besteht einerseits die Chance, sich von Ideologie und salafistischer Praxis zu lösen, da das entsprechende salafistische Um-feld fehlt. Andererseits gibt es auch ein gewisses Risiko, dass sie ihre Überzeugungen und salafistische Praxis an die neuen Gegebenheiten anpassen und gegebenenfalls intensivieren. Daher sollte die Inhaftierung nach Möglichkeit stets mit einem Beratungsangebot einhergehen, empfehlen die Studienautorinnen und -autoren. Insbesondere nach der Haftentlassung ist eine fortlaufende Unterstützung durch Beratungsarbeit sehr wichtig. Dazu zählen in erster Linie lebenspraktische Maßnahmen, um den Distanzierungsprozess von der Szene weiter zu unterstützen.

Beratung und Unterstützung in der Deradikalisierungsarbeit erfordern mitunter einen langen Atem, lautet eine der Erkenntnisse des Projekts. Die Interviewten berichteten, dass sie Themen der Ideologie meist erst nach einem längeren Prozess des Vertrauensaufbaus mit den Beratenden besprochen hätten. Daher ist es besonders wichtig, die Unterstützungsangebote stets individuell und an den Grad der Ideologisierung der betroffenen Person anzupassen, so der Rat der Forschenden im Hinblick auf Ausbau und Weiterentwicklung vorhandener Beratungsarbeit.

Um die ausschlaggebenden Gründe für eine Loslösung vom Salafismus zu ermitteln, hatten die Forschenden Kontakt mit Szenemitgliedern aufgenommen. Daraus entstanden 16 narrative Interviews mit sechs Frauen und zehn Männern, die sich von salafistischen Bewegungen abwenden oder schon abgewandt hatten; sieben Personen davon waren zum Zeitpunkt der Hinwendung zum Salafismus noch minderjährig.

Gefragt wurde nach positiven und negativen Erfahrungen in Bezug auf eventuell erlebte behördliche Maßnahmen oder im gesellschaftlichen Umgang und wie sich dadurch persönliche Ziele und Vorstellungen verändert haben.

Das Projekt „PrADera“ wurde aus den Mitteln des Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus (NPP) vom Bundesministerium des Innern und für Heimat gefördert.

Die vollständige Studie finden Sie hier.

Kontakt

Dr.

Robert Pelzer

pelzer@ztg.tu-berlin.de

Einrichtung Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin