Die Maschine als Übersetzerin

Was kann Künstliche Intelligenz in der Literatur?

Stammt die Übersetzung des Romans, den man gerade liest, aus einem menschlichen Hirn ? Oder aus den neuronalen Netzen der Künstlichen Intelligenz ? „KI-Systeme wie Deep Learning liefern heute Übersetzungen auch komplexer Texte, bei denen man das nicht mehr auf Anhieb sagen kann“, sagt Dr. Olaf Kühl, vielfach ausgezeichneter Übersetzer und Autor, der sich in diesem Wintersemester als Gastdozent mit „KI und literarischer Übersetzung“ befasst. „Die interdisziplinäre Suche nach dem Subjekt der Übersetzung und den uneinnehmbaren Festungen menschlicher Kreativität“ ist der Untertitel des von ihm angebotenen freien Wahlmoduls am Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte der Fakultät I Geistes- und Bildungswissenschaften.

„Dass eine KI-generierte literarische Übersetzung mitunter nicht sofort erkannt werden kann, hat natürlich Konsequenzen für die kreativen und emanzipatorischen Möglichkeiten, die dem Menschen bisher beim Übersetzen offenstanden. Wird er abgelöst von Systemen, deren Entscheidungen intransparent sind, dann droht Entmündigung“, so Olaf Kühl. „Wir untersuchen diese Entwicklung an zahlreichen konkreten Beispielen, etwa an Elfriede Jelineks Übersetzungen der Romane des geheimnisvollen amerikanischen Schriftstellers Thomas Pynchon oder an altchinesischen Gedichten – denn auch damit trainiert Microsoft inzwischen seine Systeme.“

Stipendium des deutschen Übersetzerfonds

Ermöglicht wurde dieses zusätzliche Lehrangebot durch den Deutschen Übersetzerfonds, der am Literarischen Kolloquium Berlin e. V. in Wannsee beheimatet ist und der im Rahmen des Zukunftsprogramms „Neustart Kultur“ der Bundesregierung 46 Gastdozenturen für literarische Übersetzer*innen vergeben konnte.

Seit den 1980er-Jahren hat Olaf Kühl rund 50 Romane und Theaterstücke aus dem Russischen, Polnischen und Serbokroatischen übersetzt, unter anderem die Autobiographie „Ein Weg der Hoffnung“ des Solidarnosc-Gründers und späteren polnischen Staatspräsidenten Lech Walesa. 1988 bis 1996 war er Dolmetscher und Übersetzer des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und von 1996 bis 2021 dessen Russlandreferent. Mit „Tote Tiere“ legte Olaf Kühl 2011 seinen Debütroman vor. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er 2005 zusammen mit Dorota Masłowska den Deutschen Jugendliteraturpreis für „Schneeweiß und Russenrot“, war 2013 mit seinem eigenen Roman „Der wahre Sohn“ für den Deutschen Buchpreis nominiert. Die Arbeit mit den Studierenden ist für ihn sehr inspirierend : „Sie zwingt mich dazu, vorher wolkige Gedanken zu präzisieren und im Dialog zu klären. Wie immer lerne ich selbst dabei mindestens ebenso viel wie die Teilnehmer*innen.“

 

Autorin: Patricia Pätzold