Medieninformation | 22. Juni 2021 | kj

COVID-19 ist auch ein Stresstest für das Internet

BIFOLD: Innerhalb weniger Tage stieg die Nutzung des Internets um rund 25 Prozent

Am 11. März 2020 griff SARS-CoV-2 auch das weltweite Internet an: An diesem Tag erklärte die WHO das Virus zu einer Pandemie. In der Folge verordneten viele Regierungen auf dem gesamten Globus Ausgangssperren, Homeoffice und Homeschooling. Innerhalb von einer Woche stieg die Nutzung des Internets daraufhin um rund 25 Prozent – ein Anstieg, wie er zu normalen Zeiten innerhalb eines Jahres beobachtet werden kann. Addiert man dazu die Steigerung aus dem zweiten Lockdown im Herbst 2020, stieg die Nutzung der Internetdienste 2020 – je nach Netzwerk – sogar zwischen 35 und 50 Prozent. Diese Zahlen veröffentlichte eine internationale, interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftler*innen, geleitet von Prof. Dr. Georgios Smaragdakis, Professor für Internet Measurement and Analysis an der TU Berlin und Mitglied des Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data (BIFOLD), in den Communications der Association for Computing Machinery (ACM). Das Paper erhielt jetzt eine Auszeichnung als Research Highlight dieser weltweit führenden Fachgesellschaft für Informatik.

Nahezu von einem auf den anderen Tag ging 2020 ohne eine stabile Internetverbindung gar nichts mehr. Seit März 2020 finden dienstliche Teamsitzungen, Schulunterricht, aber auch private Feiern im Wesentlichen digital auf dem Bildschirm statt. Wer nicht über eine Breitbandverbindung und ausreichend elektronische Endgeräte verfügt, hat das Nachsehen. Doch trotz der weltweiten Einschränkungen durch COVID-19 ging das Leben weiter, wobei das Internet eine enorm wichtige unterstützende Rolle für Unternehmen, Bildung, Unterhaltung, Einkäufe und soziale Interaktionen spielt. „Im Frühjahr 2020 wusste niemand mit Sicherheit, ob das Internet in der Lage sein würde, diesen Ansturm zu verkraften“, erläutert Georgios Smaragdakis: „Mit einem plötzlichen Anstieg der Internetnutzung in diesem Ausmaß hatte vorher niemand gerechnet.“ In ihrem Forschungsprojekt analysierten die Wissenschaftler*innen Internet-Datenströme von verschiedenen Internetprovidern aus mehreren europäischen Ländern. „Zusammen ermöglichen sie uns ein gutes Verständnis der Auswirkungen, die die COVID-19-Wellen und die Lockdown-Maßnahmen auf den Internetverkehr hatten“, so der Netz-Experte, dessen Teilprojekt von BIFOLD finanziert wurde.

In dem einen Jahr nach Einführung der ersten Lockdown-Maßnahmen stieg der aggregierte Datenverkehr im Internet insgesamt um etwa 40 Prozent, was deutlich über dem erwarteten, jährlichen Wachstum liegt. In der gleichen Zeit sank der mobile Datenverkehr zuerst leicht ab und wuchs dann nur moderat, da die Menschen gezwungenermaßen weniger unterwegs waren und dadurch weniger mobile Daten nutzten. „Unsere Auswertungen zeigen dabei, dass die Nutzung von Diensten wie Videokonferenzen oder VPN-Diensten um bis 300 Prozent angestiegen sind. Auch Gaming-Anwendungen sind dramatisch gestiegen. Nach einem moderaten Anstieg im Frühjahrslockdown kam es im Herbstlockdown zu einem Anstieg um rund 300 Prozent. Auffällig: Wurden diese Anwendungen vor Corona vor allem Abends oder am Wochenende genutzt, verteilten sich die Nutzungssteigerungen im Gaming-Bereich im zweiten Lockdown gleichmäßig auf alle Wochentage, mit einem Schwerpunkt auf den Vormittagen“, differenziert der Wissenschaftler die Ergebnisse.

Insgesamt haben sich die Verkehrsmuster der Internetnutzung deutlich gewandelt: Lagen die Spitzenauslastungen vor der Pandemie vor allem am Wochenende und in den Abendstunden, hat der rasante Wachstum der Internetnutzung vor allem an den Wochentagen zu Arbeitszeiten stattgefunden. Genau in diesem asynchronen Anstieg sehen die Expert*innen einen der Gründe, warum das Internet mit den drastisch gewachsenen Nutzung relativ gut klar gekommen ist. Die weiteren Gründe sieht Georgios Smaragdakis in der guten Struktur und Überprovisionierung vieler Netzwerkbetreiber.

„Im Sinne der Digitalisierung waren die letzten Monate eine Erfolgsgeschichte“, ist Georgios Smaragdakis überzeugt. Deutsche Universitäten und auch Regierungsbehörden haben innerhalb weniger Wochen Entwicklungen nachgeholt, die sie vorher über Jahre verpasst hatten. Eine Breitbandverbindung ist heute nicht ‚nice to have‘, sondern essentiell, um arbeiten zu können. Dieser Level an Digitalisierung ist jetzt die neue Normalität. Dahinter wird man nicht mehr zurückgehen können.“

Gleichzeitig zeigt die Studie der Wissenschaftler*innen auch, dass Überprovisionierung, proaktives Netzwerkmanagement und Automatisierung die Schlüssel zur Bereitstellung widerstandsfähiger Netzwerke sind, die drastischen und unerwarteten Nachfrageschwankungen standhalten können, wie sie während der COVID-19-Pandemie auftraten. „Das ist vielen, aber nicht allen, Netzwerkanbietern sehr gut gelungen. Da die Pandemie jedoch noch andauert, ist es wichtig, den Datenverkehr weiter zu untersuchen, um zu verstehen, wie sich die Nutzung in diesen beispiellosen Zeiten verändert“, summiert der Wissenschaftler.

Weiterführende Informationen

Paper in den Communications der Association for Computing Machinery (ACM)

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