Was verraten Routinedaten der Krankenversicherung über die Patientenversorgung in Deutschland?

Es kommt auf die richtigen Fragen an. Wenn man weiß, wie und was man fragen sollte, geben auch stille Abrechnungen Auskunft darüber, wie gut Patient*innen in Deutschland versorgt werden. Prof. Dr. Verena Vogt forscht nach geeigneten Methoden und Kriterien, wie die Qualität der Patientenbehandlung mithilfe dieser Daten erfasst werden kann. Sie ist Juniorprofessorin für Versorgungsforschung und Qualitätsmanagement im ambulanten Sektor an der Fakultät VII Wirtschaft und Management, Institut für Technologie und Management an der TU Berlin.

Wo liegen Ihre Forschungsschwerpunkte und Forschungsinteressen? Gibt es Fragen, die Sie besonders antreiben?

Verena Vogt: Meine Forschungsschwerpunkte liegen in der Abbildung von Versorgungspfaden und der Entwicklung und Analyse von Indikatoren für Über- und Fehlversorgung im deutschen Gesundheitssystem. Dabei interessiert mich besonders die Frage, wie Versorgungspfade und -qualität anhand von Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung dargestellt und analysiert werden können. Damit möchte ich das Methodenrepertoire der Versorgungsforschung in Deutschland erweitern, um die aktuelle Lage besser beschreiben und Verbesserungspotential der Prozesse aufdecken zu können. Darüber hinaus befasse ich mich mit regionalen Variationen in der Gesundheitsversorgung sowie der Evaluation innovativer Programme.

Was war Ihr interessantestes bzw. spannendstes Forschungsprojekt?

Mein bisher für mich interessantestes Forschungsprojekt war das vom BMBF geförderte Projekt CaptureACCESS. Wir befragten im Januar 2018 ca. 1.600 Einwohner*innen in Berlin und Brandenburg zu ihrer Zufriedenheit mit dem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Befragungsdaten haben wir anschließend mit geografischen Kennzahlen zum Zugang zur ärztlichen Versorgung verknüpft und analysiert, inwieweit die beiden Datenquellen übereinstimmen. Unterschiede zwischen den beiden Ländern ergeben sich zum Beispiel bei der Distanz zum nächstgelegenen Hausarzt: Während die Befragten in Berlin nur circa 450 Meter weit gehen müssen, um den nächsten Hausarzt zu erreichen, ist der nächste Hausarzt in Brandenburg 5 Kilometer entfernt. Diese Unterschiede schlagen sich auch in der Zufriedenheit mit dem Zugang zur Versorgung nieder, die in Brandenburg deutlich niedriger ist als in Berlin.

An welchem Projekt arbeiten Sie aktuell?

Aktuell arbeite ich insbesondere an dem Projekt IndiQ. Hier befassen wir uns mit der Frage, wie wir Indikationsqualität – also ob die Gesundheitsversorgung für ein bestimmtes Krankheitsbild angemessen oder unangemessen ist – in Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung messen können. An diese Frage gehen wir mit einem Mix aus Methoden wie systematischen Reviews, mehrstufigen DELPHI-Expertenbefragungen und Auswertungen der GKV-Routinedaten heran. Langfristig wollen wir damit wichtige Versorgungsprobleme identifizieren und Handlungsempfehlungen für eine verbesserte Gesundheitsversorgung ableiten.

Haben Sie ein Lieblingszitat oder ein Lebensmotto? Wenn ja, welche, von wem ist es, welche Bedeutung verbinden Sie damit?

Ein Zitat, an das ich häufig – vor allem auch in den aktuellen Zeiten – denke, ist von Hannah Arendt: „Man könnte wohl sagen, dass die lebendige Menschlichkeit eines Menschen in dem Maße abnimmt, in dem er auf das Denken verzichtet."

Dieses Zitat erinnert mich daran, wie essenziell die menschliche Fähigkeit des Denkens für den Zusammenhalt einer Gesellschaft und eine funktionierende Demokratie ist. Für dieses Denken müssen wir uns allerdings Zeit nehmen.

Die vier wichtigsten Stationen in ihrem Werdegang

• Public-Health-Studium an der Universität Bielefeld und der University of Sheffield
• Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin
• Promotion zum Doktor der Gesundheitswissenschaften / Public Health an der TU Berlin im März 2017
• Forschungsaufenthalt als Visiting Scholar an dem Menzies Centre for Health Policy, der University of Sydney

An meiner Arbeit bei der TU Berlin gefällt mir besonders…

… die Vielfältigkeit von der Ideenfindung für neue Projektanträge über das Projektmanagement, die Datenanalyse und die Evaluation von Versorgungsformen bis hin zur Zusammenarbeit mit den Stakeholdern im Gesundheitswesen.

 

Die Fragen stellte Christina Camier.

Kontakt