FAIRBerlin: Daten sammeln für eine feministische und inklusive Zukunft der Mobilität in Berlin

TU-Doktorandin Zakia Soomauroo untersucht für ein feministisches Mobilitätsprojekt die aktuelle Verkehrssituation in der deutschen Bundeshauptstadt

Zakia Soomauroo, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Reiner Lemoine Institut (RLI) ist ihrer Heimat Mauritius fern, doch in Gedanken sehr nah. Als Doktorandin am Lehrstuhl für Nachhaltige Siedlungsökonomie an der Technischen Universität Berlin untersucht sie seit 2018 Möglichkeiten zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors auf kleinen Inselstaaten. Doch auch mit ihrer aktuellen Heimat Berlin beschäftigt sie sich intensiv. Seit Anfang des Jahres untersucht sie für ein feministisches Mobilitätsprojekt die aktuelle Verkehrssituation in der deutschen Bundeshauptstadt. „Dabei geht es zum Beispiel darum, was es bedeutet, mit einem Kinderwagen unterwegs zu sein oder mit dem Fahrrad bequem und sicher zur Kita zu fahren“, erläutert die mauritanische Wissenschaftlerin.  

Das Forschungsprojekt „Feministische und inklusive Forschung für klimafreundliche Mobilität in Berlin“ (FAIRberlin) sammelt Daten für eine Transformation des Mobilitätssektors in Berlin mit den Schwerpunkten Inklusion, marginalisierte Gruppen und Transdisziplinarität. Das vom Climate Change Center Berlin Brandenburg geförderte Projekt wird von Dr. Kathrin Goldammer und Dr. Philipp Blechinger (Reiner Lemoine Institut) und Prof. Dr. Sophia Becker (TU Berlin) geleitet. Das Team will geschlechtsspezifische Unterschiede in der Verteilung des Verkehrsaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel (Modal Split) und in den Mobilitätspräferenzen aufspüren, um daraus Empfehlungen für ein gerechteres Verkehrssystem abzuleiten. Dafür nutzen die Wissenschaftler*innen auch datengestützte Erkenntnisse von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Berlin wie Changing Cities und Parkplatz Transform. Die wichtigsten Forschungsmethoden sind „Surveys“ und „In-Depth Interviews“ an bestimmten Orten, wie Kitas, Spielplätzen und Bibliotheken.

„Bislang gibt es wenige belastbare Datenanalysen speziell zu den Mobilitätsmustern, -bedürfnissen und gelebten Erfahrungen dieser Gruppen und von Frauen“, bedauert Zakia Soomauroo. „Wir beabsichtigen, die geschlechtsspezifische Datenlücke zu schließen, sodass Planung, Design, Betrieb und Erfahrung beim Thema Verkehr und Mobilität inklusiv und gerecht sind. Neben der theoretischen Perspektive von Gender Studies und städtischem Wandel soll die Rolle des Geschlechts bei der Mobilitätswende durch Erkenntnisse aus echten Lebenserfahrungen erforscht werden. Dazu gehören zum Beispiel auch die Mobilitätserfahrungen von Schwangeren oder Menschen mit Behinderung.“


 

Die Wissenschaftler*innen erheben dafür neue Daten durch Befragungen von Menschen vor Ort zum Beispiel in Kitas sowie durch Workshops und Interviews mit Expert*innen aus Bereichen wie Forschung, Politik oder Verkehrsdienstleistung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Angaben zu Mobilitätsmustern, genutzten Verkehrsmitteln, Mobilitätsbedürfnissen und -einschränkungen sowie auf der Wahrnehmung bestehender Mobilitätsdienstleistungen und -infrastruktur. Die tatsächlich erlebten geschlechtsspezifischen Bedürfnisse und Muster von Frauen und marginalisierter Gruppen in Berlin werden vielschichtig erfasst. Auch wenn beispielsweise Verkehrsinfrastruktur wie Radwege oder Busse im ÖPNV als geschlechtsneutral angesehen werden, erleben Männer und Frauen dieselbe Struktur unterschiedlich. „Deshalb verfolgen wir einen ethnografischen Ansatz und stellen die Perspektive dieser Personen in den Vordergrund. Dabei werden ihre gelebten Erfahrungen zu primären Datenquellen. Das Projekt ist wichtig, weil Mobilität in Berlin aktuell ein umstrittenes Thema ist: Es betrifft den Raum, die Ethik von Nachhaltigkeit und Klimawandel ebenso wie die Zukunft der Mobilität“, sagt Zakia Soomauroo. „Mit unserer Arbeit stellen wir sicher, dass die Stimmen von Frauen, die oft nicht präsent sind, gestärkt und berücksichtigt werden. Intersektionalität ist für uns ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Daher werden für das Projekt auch die Erfahrungen von zum Beispiel chronisch Kranken oder People of Color untersucht. Wir möchten verstehen, wie sie Mobilitätsoptionen, Sicherheit und Komfort sowie die Wirtschaftlichkeit von Mobilität wahrnehmen.“

Die neuen Erkenntnisse sollen zum Beispiel Politiker*innen, Wissenschaftler*innen oder Vertreter*innen der Zivilgesellschaft dabei helfen, die Mobilitätswende sozial gerechter zu gestalten. Die Projektgruppe wird auf dieser Basis konkrete und sinnvolle Handlungsempfehlungen ableiten – „für eine gerechte Verkehrswende“ hofft Zakia Soomauroo. „Unsere empirischen Ergebnisse, die in die laufenden Diskussionen einfließen, basieren auf den Bedürfnissen und Überlegungen der Bürger*innen und sollten mehr Mobilitätsnutzern mehr Mitspracherecht bei künftigen Entscheidungen und Planungen im Bereich Mobilität geben”, sagt sie. 

Autorin: Birgit Holthaus