Pionierin der Informatik

Als erste Frau im deutschen Sprachraum übernahm Prof. Dr. Dr. h.c. Christiane Floyd 1978 eine Informatik-Professur an der TU Berlin

Oftmals wird sie als „Pionierin“ der Informatik bezeichnet, die sich schon früh mit soziotechnischen Aspekten der Informatik beschäftigt hat. Christiane Floyd, 1943 in Wien geboren, studierte Mathematik mit Nebenfach Astronomie an der Universität Wien, arbeitete nach der Promotion als Systemprogrammiererin am Zentrallaboratorium der Siemens AG und wurde 1968 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Stanford University in den USA, wo sie 1972 einen Lehrauftrag erhielt. 1973 kehrte Christiane Floyd nach Deutschland zurück und arbeitete bis 1977 bei Softlab in München, bevor sie an die TU Berlin kam, wo sie dreizehn Jahre im Fachgebiet Softwaretechnik forschte und lehrte. 1991 folgte Christine Floyd einem Ruf an die Universität Hamburg. 2008 wurde sie emeritiert. Aktiv ist sie jedoch noch immer. Sie hat eine Gastprofessur an der Technischen Universität Wien inne und engagiert sich in einem IT-Entwicklungsprojekt in Äthiopien. Für ihre wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungen wurde Christiane Floyd mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem mit einer Ehrendoktorwürde der Universität Paderborn, einer Honorarprofessur der TU Wien und im Jahr 2020 mit der Klaus-Tschira-Medaille.

Womit sie sich in Forschung beschäftigte und worum es in der Lehre an der TU Berlin ging, beantwortet sie hier im Interview.

Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie 1978 an die TU Berlin kamen?

Ich war vorher an einem Softwarehaus tätig, hatte jedoch aufgrund eines Forschungsaufenthalts an der Universität Stanford Lehrerfahrung zur Programmiermethodik. An wissenschaftlichen Konferenzen zu diesem Thema lernte ich Mitglieder der Forschungsgruppe Softwaretechnik der TU Berlin kennen. Als deren Professor die TU Berlin verließ, baten sie mich, mich für seine Nachfolge zu bewerben.

War es damals auch für Sie etwas Besonderes, dass Sie die erste Informatik-Professorin im deutschsprachigen Raum waren? Falls ja, woran haben Sie das gemerkt? Oder wurde diese Tatsache erst im Laufe der Jahre zu etwas Besonderem?

Dass ich die erste Informatik-Professorin war, wusste ich erst viel später. Was ich wohl wusste, war, dass ich die erste Softwaretechnik-Professur innehatte. Software Engineering war damals erst zehn Jahre alt - ein Schlüsselfach im Aufbau. Es war eine große Herausforderung für mich, Forschung und Lehre in diesem Fach zu etablieren. Meine Schwierigkeiten „als Frau“ kamen vor allem daher, dass keinerlei Rücksicht auf meine Situation als Alleinerziehende mit zwei Kindern genommen wurde.

Sie haben sich schon damals mit soziotechnischen Fragen beschäftigt. Können Sie ein Beispiel aus Ihrer Forschung von damals geben?

Die Informatik wird von technischen Entwicklungen vorangetrieben. Um 1980 drangen interaktive Systeme in zahlreiche Bereiche der Praxis vor. Menschen in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen begannen, Computer im Rahmen ihrer Arbeit und Kommunikation zu nutzen. Darauf war die Informatik nicht vorbereitet. Es galt also, Verständnisgrundlagen für das Zusammenspiel von Computerfunktionen mit der Arbeit und Kommunikation von Menschen zu erarbeiten und Methoden zur Gestaltung von aufgabenangemessenen und menschengerechten Systemen zu entwickeln. Das wurde zu einem Schwerpunkt in meiner Forschungsgruppe.

1978 konnte man die enorme Bedeutung, die die IT in unserem Leben heute einnimmt, wohl noch nicht ahnen. Rückblickend: Welchen Trend hat man vielleicht doch schon abschätzen können? Und welche Themen standen im Mittelpunkt, die heute vielleicht gar keine Rolle mehr spielen?

Die Frage ist, wer „man“ ist. Ich hatte Kollegen, die behaupteten, sie könnten zehn Jahre in die Zukunft schauen - ich konnte das nicht. Zwischen dem Stand der Kunst in Forschung und Praxis war ein großer Unterschied. In den Forschungslaboren der Universität Stanford, die ich um 1970 kennen lernte und aus denen das spätere Silicon Valley hervorging, gab es ansatzweise schon vieles, was die meisten von uns erst viel später erreichte. In der Praxis war es eine Zeit VOR kleinen und kleinsten Computern, VOR direkt ansprechbaren Bildschirmen mit Fenstersystemen und VOR der Maus. Diese Ideen kursierten jedoch schon unter Spezialisten. Es ist rückblickend kaum mehr vorstellbar, dass die Vernetzung ursprünglich Computer miteinander verbinden sollte - nicht Menschen. Sogar E-Mails waren ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt! Ich glaube, dass kaum jemand geahnt hat, dass Computer im Zuge von Miniaturisierung, Personalisierung und Vernetzung, sowie der Entwicklung des World Wide Web, zu einer neuen, universellen Kulturtechnik führen würden.

Worum ging es in der Lehre? Welche Fächer haben Sie gelehrt und wieviel Studentinnen saßen in Ihren Vorlesungen und Seminaren?

Ich hatte eine große Arbeitsgruppe mit umfangreicher Lehrverpflichtung. Im Grundstudium betreuten wir circa 200 Studierende in Pflichtlehrveranstaltungen zur Einführung in die Informatik mit Schwerpunkt Programmiermethodik. Im Hauptstudium waren wir für das Fachgebiet Softwaretechnik verantwortlich und veranstalteten Vorlesungen mit begleitenden Projekten für bis zu 120 Studierende. Fast alle unserer Lehrveranstaltungen hatten Übungen in Kleingruppen, die von Tutoren geleitet wurden. Der Frauenanteil unter den Studierenden betrug circa zehn Prozent.

Gibt es Momente/Situationen/Verhaltensweisen von Studierenden damals, an die Sie sich besonders erinnern können? Haben sich nach Ihrer Einschätzung Studierende (und somit evtl. auch die Lehre) im Laufe der Jahre verändert?

Als ich 1978 an die TU Berlin gekommen bin, war die Studentenbewegung im Abklingen, ihre Ideen aber noch sehr präsent. Die Informatik war ein junger Reformstudiengang und wurde erst allmählich konventionellen Studiengängen angeglichen. Viele unserer Studierenden waren politisch engagiert - auf gesellschaftlicher wie auf universitärer Ebene. Sie haben sich Freiheiten genommen, die später verloren gingen, und die Autorität der Professoren immer wieder herausgefordert, sowohl in den Lehrveranstaltungen als auch bei Entscheidungen im Fachbereich. Manchmal gab es Streiks, bei denen radikale Positionen vertreten und Lehrveranstaltungen behindert wurden. Diese Situation erforderte viel Fingerspitzengefühl und Diplomatie.

Ich war immer wieder Vermittlerin zwischen den Studierenden und den konservativen Professoren. Erst die Wiedervereinigung brachte auch hier eine endgültige Wende. Auf einmal gab es drei Informatik-Studiengänge an Berliner Universitäten, und die TU Berlin besann sich auf ihre Mission als „Technische“ Universität. Kurz nach meinem Weggang 1991 wurde die Informatik zusammen mit der Elektrotechnik in eine Fakultät integriert. So wurden neue Verhältnisse geschaffen, die ich nicht mehr miterlebt habe, doch war die Veränderung an der Universität Hamburg, meiner späteren Wirkungsstätte, ähnlich, wenn auch weniger drastisch. Seit den 90er Jahren wurde das Studium zunehmend geregelt und verschult. Dies schränkte die Freiheit der Studierenden ein, sie mussten ihr Engagement stärker auf den Erwerb ihrer Studienleistungen beschränken. Die wichtigste Änderung in der Lehre kam allerdings erst in den 2000er Jahren durch den Übergang zum Bachelor/Master-Studium.

Wollen Sie kurz beschreiben, worum es bei Ihrem heutigen Engagement in Äthiopien geht?

Es geht um ein IT-Entwicklungsprojekt, das von mir in Zusammenarbeit mit den Universitäten Linz und Addis Abeba aufgebaut wurde. Ziel ist, den Zugang von (meist analphabetischen) Frauen und Kindern im ländlichen Raum zum Gesundheitssystem zu verbessern. Der Fokus liegt auf Schwangerschaft, Entbindung, Nachsorge und Kleinkinderversorgung. Dazu haben wir IT-Systeme für drei Zielgruppen entwickelt: eine App für die Mütter, die Grundwissen zu relevanten Themen vermittelt; ein Informations- und Planungssystem für die Gesundheitsmitarbeiterinnen im Außendienst; und ein System zur Unterstützung der Arbeits- und Kommunikationsprozesse in den Gesundheitszentren. Diese Systeme wurden im Pilotbetrieb sehr gut angenommen und sind zur Zeit an mehreren Orten im Einsatz.

Originalpublikation

Das Interview ist am 22. Januar 2021 im Alumni-Newsletter der TU Berlin erschienen.

Die Fragen stellte Bettina Klotz.