HavannaTrapo – Havanna-Fetzen

Von der inspirierenden Kraft des Mangels - ein Workshop zu nachhaltiger Mode von Josephine Barbe in Kuba eröffnet neue Perspektiven

Die frisch gegründeten Modelabels in Kubas Hauptstadt Havanna heißen „DORA“, „yarari Atelier, „Bazar MoDa“ und „oddara“. Sie sind das unmittelbare Ergebnis eines Workshops zu nachhaltiger, umweltschonender und ethisch vertretbarer Mode, den Dr. Josephine Barbe 2022 auf Einladung des Goethe-Instituts dort durchführte. Die von den 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern entworfenen Kreationen wurden am Ende des Workshops auf einer Modenschau öffentlich gezeigt. Das Besondere an den neuen Kleidern, Hosen, Röcken, Blusen, T-Shirts ist, dass sie aus alten Kleidern, Hosen, Röcken, Blusen, T-Shirts und Stoffen entstanden sind, die, hätte sie Dr. Josephine Barbe nicht „gerettet“, auf dem Müll oder im Reißwolf gelandet wären. „HabanaTrapo“ nannten Dr. Josephine Barbe und ihre Mitstreiterinnen deshalb selbstbewusst und leicht ironisch ihre Modenschau: Trapo ist das spanische Wort für Fetzen.

Prinzip des Upcyclings

„Meine Workshops zu nachhaltiger Mode sind die Reaktion auf eine völlig aus dem Ruder gelaufene, jegliches Maß verlorene Modebranche, die auf einer gigantischen Ressourcenverschwendung beruht. In meinen Workshops geht es deshalb darum, Kleidung zu entwerfen, die sich diesem Raubbau widersetzt und auf dem Prinzip des Upcyclings beruht. Das heißt, die alten Stoffe werden nicht in energieintensiven Verfahren recycelt, bei dem zwar neue Fasern entstehen, die oftmals aber nicht wieder für Kleidungsstoffe verwendet werden können, da die Qualität der recycelten Fasern dafür nicht ausreicht. Upcycling heißt, die alten Kleidungsstücke werden aufgetrennt und nach neuen Entwürfen kombiniert und neu genäht. Da kann es schon mal sein, dass ein altes T-Shirt der Ärmel eines neuen Kleides wird“, erklärt Dr. Josephine Barbe ihren Ansatz und das, was sie unter nachhaltiger, umweltschonender und ethisch vertretbarer Mode versteht.

Das Goethe-Institut hatte die wissenschaftliche Mitarbeiterin am TU-Fachgebiet Ökonomie und Nachhaltiger Konsum eingeladen, um Kubanerinnen und Kubaner in nachhaltiger Mode zu unterrichten und so eventuell Voraussetzungen zu schaffen, damit diese sich selbstständig machen können. Gleichzeitig hielt Dr. Josephine Barbe auf der internationalen Tagung „Calentamiento global“ („Erderwärmung“), ausgerichtet vom Goethe Institut und von zwölf nachhaltigen kubanischen Designmarken, einen Vortrag über umweltschonende Mode. „Das war eine ideale Verbindung von Theorie und Praxis“, so Barbe.

Nähnadeln werden mit Sandpapier angespitzt

Wer sich jedoch darauf einlässt, in Kuba einen Workshop auszurichten, bei dem vor allem auch praxisbezogenes Wissen darüber vermittelt werden sollte, welche Verarbeitungstechniken sich für welche Stoffe eignen und welche Materialien miteinander kombinierbar sind, der muss wissen, dass er in ein Land des absoluten Mangels fährt. Für Dr. Josephine Barbe hieß das, sechs Näh- und fünf Kettelmaschinen vor Beginn des Workshops aus Berlin nach Havanna zu schicken und kiloweise Pakete mit gebrauchter Kleidung und alten Stoffen, die sie sich aus den überbordenden und unverkäuflichen Lagerbeständen einer Hilfs- und Entwicklungsorganisation ausgesucht hatte. Auch 300 Nähnadeln gingen vorab auf die Reise. Denn Nähnadeln sind in Kuba schwer zu bekommen und abgenutzte müssen immer wieder mit Sandpapier angespitzt werden.

Der Mangel an allem in Kuba, auch an moderner Kleidung, hat jedoch den Vorteil, dass die karibische Insel bislang nicht von Wegwerfmode der Billigmarken geflutet wird. „Das sehen die jungen Menschen dort verständlicherweise anders. Sie hätten auch gern Zugriff auf all diese Modemarken“, so Barbe. „Im Workshop habe ich jedoch versucht, den Blick wegzulenken, von dem, was nicht da ist, zu dem, was sozusagen umsonst vorhanden ist – auf die Phantasie und Kreativität der Frauen und Männer, und habe sie ermuntert, den Mangel als Spielwiese zu sehen, ihre Ideen umzusetzen und aus Altem Neues zu kreieren.“

Abendrobe aus unförmigem Blümchenkleid

Diesen Perspektivwechsel von „Wir haben nichts“ zu „Machen wir was“ erlebte Dr. Josephine Barbe dann als ein Ideenfeuerwerk, und so entstanden Kollektionen alltagstauglicher Mode für eine abendfüllende Modenschau: Aus einem unförmigen Blümchenkleid, einer Gardine, einer riesengroßen Jacke und einem schwarzen Reststück Tüll wurde eine Abendrobe des Labels „DORA“, und die Kleider von „yarari“ waren in ihrem ersten Leben eine grüne ungeliebte Tunika und eine schwarze Jacke, die mit afrikanischen Stoffen kombiniert wurden. „Für mich war zudem interessant zu beobachten, dass die Frauen und Männer großen Wert darauf legten, körperbetonte Kleidung zu entwerfen und zu nähen. Das sitzt alles eng auf der Haut und zeigt viel Bein. Der sackleinene Schlumperstil ist nicht so ihr Ding“, erzählt sie lachend.

Modenschau auf Wanderschaft

Seit dieser ersten Modenschau im „Espacio creativos“, einem Kulturzentrum in der Altstadt von Havanna, wanderte sie durch die kubanische Metropole, wo sie unter anderem auch in der Deutschen Botschaft und zuletzt beim Festival „Akokán“ im Dezember 2022 gezeigt wurde. „Akokán“ ist ein Projekt, dass Menschen aus der Armut bringen und den Kindern Bildung verschaffen möchte. „Am schönsten wäre es natürlich, wenn die Workshops mit dazu beitragen würden, eine Generation von Modemacherinnen herauszubilden, die den fatalen Irrweg der westlichen Modebranche gar nicht erst einschlägt und den Ansatz der Workshops weiterverfolgt“, sagt Dr. Josephine Barbe.

Neben Upcycling-Mode interessiert sich Barbe auch für alternative, nachwachsende Materialien, die in der Textilindustrie eingesetzt werden könnten. SeaCell, eine Faser, die aus Algen gewonnen wird, ist so ein Material. „Während vor Island mit hochspezialisierten Maschinen und unter enormem Energieeinsatz Algen für die Textilproduktion ‚geerntet‘ werden, säubern jeden Morgen Traktoren Havannas Strände von den angeschwemmten Algen und entsorgen sie auf den Müll“, erzählt sie. Mit den Kolleg*innen der UH Universidad de La Habana ist deshalb ein Forschungsprojekt angedacht, das den Einsatz dieser Algen in der heimischen Textilindustrie untersuchen soll.

Autorin: Sybille Nitsche