Abhörsicher kommunizieren mit Hilfe von Atomhaufen

Quantenpunkt-Moleküle als Herzstück für das Internet der Zukunft

Forschende der TU Berlin entwickeln sogenannte Quantenpunkt-Moleküle, zwei Anhäufungen von Atomen in einem Halbleiter, die einzelne Lichtteilchen aussenden und zugleich Informationen speichern können. Damit wären „Quantenrepeater“ möglich, die die Grundlage für das Quanten-Internet der Zukunft bilden. Es wäre absolut abhörsicher und könnte damit die momentane Bedrohung unserer Daten durch leistungsfähige Quantencomputer abwenden. Für ihre Forschungen wird die Arbeitsgruppe Optoelektronik und Quantenbauelemente des Instituts für Festkörperphysik der TU Berlin im Rahmen des Verbundprojekts Quantenrepeater des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 1,8 Millionen Euro bis zum Jahr 2024 erhalten.

Das Verbundprojekt

Im Verbund Quantenrepeater (QR.X) haben sich 43 Partner aus universitären Forschungseinrichtungen, wirtschaftsnahen Instituten sowie verschiedenen Unternehmen wie der Deutschen Telekom zusammengeschlossen. Gefördert wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 35,2 Millionen Euro bis zum Jahr 2024.

Es wäre der Supergau für den Datenschutz: Wenn in wenigen Jahren voraussichtlich leistungsfähige Quantencomputer zur Verfügung stehen, könnten diese unsere heutigen Verschlüsselungsverfahren ohne Aufwand knacken. Davon wäre nicht nur sensibler Datenaustausch betroffen – wie zum Beispiel Banking oder Messengerdienste –, auch andere, heute noch gut geschützte Geheimnisse lägen offen wie ein Buch. Forschende arbeiten deshalb weltweit mit Hochdruck an der sogenannten Quantenkryptografie, die durch physikalische Prinzipien von Natur aus sicher ist. Sind ihre Bemühungen erfolgreich, könnten wir alle demnächst von einer völlig neuen technischen Infrastruktur für das Internet profitieren – dem Quanten-Netz. Aufgrund seiner großen Bedeutung stellen wir hier seine Grundprinzipien auch für Laien verständlich vor. Dabei gilt immer noch der Satz des Physik-Nobelpreisträgers Richard Feynman: „Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass niemand die Quantenmechanik versteht.“ Die Regeln der Quantentheorie sind mathematisch extrem gut beschrieben, widersprechen aber häufig unseren Alltagserfahrungen. Wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, erhält dafür einen Einblick, wie sonderbar sich die Natur auf der Ebene des Allerkleinsten verhält.

Die Nachricht im Zufall verstecken

Das Verschlüsselungsprinzip der Quantenkryptografie hat allerdings zunächst mit Physik überhaupt nichts zu tun und existiert schon mehr als hundert Jahre. Die in Nullen und Einsen (den „Bits“) codierten Informationen der geheimen Nachricht werden dabei mit einem zufälligen Schlüssel aus Nullen und Einsen überschrieben: Jede „Eins“ dreht ein Bit um (0 → 1 bzw. 1 → 0), jede „Null“ im Schlüssel lässt ein Informations-Bit unverändert. Wählt man nun den zufälligen Schlüssel gleich lang wie die Nachricht selber, hat man diese quasi im Zufall versteckt – sie ist ohne den Schlüssel niemals zu dechiffrieren. Allerdings kommt es nun darauf an, diese großen zufälligen Schlüssel zu erstellen und abhörsicher zwischen Sender und Empfänger einer Nachricht auszutauschen. Denn der Wermutstropfen des Verfahrens ist, dass man jeden Schlüssel nur einmal verwenden darf, sonst könnten Angreifer ihn mit der Zeit erraten.

Wenn sich die Natur nicht entscheiden muss

Hier kommt nun die Quantenphysik ins Spiel, die mit gleich zwei Prinzipien hilfreich ist: Zum einen geschehen auf der Ebene der kleinsten Objekte wie Atomen, Elektronen oder Lichtteilchen (Photonen) manche Dinge rein zufällig, ohne direkte Ursache. Damit kann man den für das oben beschriebene Verfahren notwendigen Zufallsschlüssel erzeugen. Zum anderen scheint die Natur für Quantenobjekte merkwürdige „Überlagerungszustände“ zuzulassen, wobei sich auch zwei oder mehr Objekte unabhängig von ihrer Entfernung im gleichen Überlagerungszustand befinden können. „Diese Überlagerungszustände treten immer dann auf, wenn sich die Natur eigentlich für eine von mehreren Alternativen entscheiden müsste, sie aber nicht durch eine Messung wirklich dazu gezwungen wird“, erklärt Stephan Reitzenstein, der Leiter der Arbeitsgruppe Optoelektronik und Quantenbauelemente. Dieses Phänomen sei letztendlich für die Abhörsicherheit in der Quantenkryptografie verantwortlich.

Elektronen am Scheideweg

Erzeugt werden solche Überlagerungszustände in Reitzensteins Arbeitsgruppe mit Hilfe von sogenannten Quantenpunkten. Das sind Anhäufungen von etwa eintausend Atomen, die sich innerhalb eines Halbleiter-Bauelements befinden. Mit einem Laser heben die Forschenden nun zwei Elektronen in solch einem Quantenpunkt auf ein höheres Energieniveau. Nach einiger Zeit fallen sie von dort wieder herunter – erst auf ein Zwischenniveau und dann auf ihr ursprüngliches Energieniveau. Bei diesem Vorgang geben die Elektronen jeweils eine kleine Lichtwelle – ein Photon – als Energieportion ab. „Der Trick ist nun, dass der Natur bei unseren Quantenpunkten dafür zwei Zwischenniveaus und damit zwei unterschiedliche Emissionspfade zur Verfügung stehen“, sagt Reitzenstein. Beide Pfade unterscheiden sich in einem wichtige Punkt: Nehmen die beiden Elektronen den einen Pfad, schwingen die von ihnen ausgesandten Lichtwellen beide in einer horizontalen Richtung. Nehmen die Elektronen den anderen Pfad, schwingen diese Photonen in einer vertikalen Ebene.

„Niemand kann voraussagen, welchen Pfad die Elektronen nehmen“, erklärt Stephan Reitzenstein. Und damit ist auch unbestimmt, welche „Polarisationsrichtung“ – nämlich horizontal oder vertikal – die beiden ausgesandten Photonen haben. „Ganz entscheidend ist: Die Polarisationsrichtung ist nicht nur nicht bekannt, sie ist wirklich noch unbestimmt“, ergänzt Reitzenstein. „So unglaublich es auch klingen mag. Erst durch eine spätere Messung entscheidet sich, welchen Pfad die beiden Elektronen wirklich genommen haben.“ Solange dies nicht geschieht, befinden sich die beiden Photonen in einem gemeinsamen Überlagerungszustand und sind wie durch ein unsichtbares Band auch über noch so weite Entfernungen miteinander verbunden – sie sind miteinander „verschränkt“, wie die Physiker*innen sagen würden. Registriert man im Labor nun ein Photon mit horizontaler Polarisation, weiß man sofort, dass das andere Photon ebenfalls horizontal polarisiert sein muss. Dies wäre auch der Fall, wenn sich das eine Photon in Berlin befände, das andere aber durch eine Glasfaserleitung zum Beispiel nach Potsdam geschickt worden wäre. Eine vertikale Polarisation als Messergebnis wiederum legt das andere Photon auf eine gleichfalls vertikale Schwingungsrichtung fest.

Schlüsselaustausch mit Sicherheitscheck

Über den Versand solcher verschränkten Photonen können Sender und Empfänger nun einen zufälligen, aber exakt gleichen Zahlenschlüssel austauschen. Dazu definieren Sender und Empfänger einfach das Messergebnis „horizontal“ als 0 und das Messergebnis „vertikal“ als 1. Abhörsicher ist das Verfahren deshalb, weil ein Lauscher in der Leitung sofort entdeckt würde: Um an Informationen über den Schlüssel zu kommen, müsste der Lauscher eine Messung vornehmen. Damit wäre aber der Zustand eines Photons bereits festgelegt, bevor es den Empfänger erreicht. Eine statistische Auswertung einiger Messergebnisse, die sich Sender und Empfänger zum Beispiel per Internet mitteilen, brächte die dadurch entstehenden Fehler an den Tag. Solch ein Sicherheitscheck muss also immer durchgeführt werden – die dafür genutzten Messergebnisse werden dann natürlich nicht Teil des geheimen Schlüssels.

Lichtteilchen werden von den Glasfasern absorbiert

„Ein großes Problem ist allerdings, dass bei großen Entfernungen die Photonen in den Glasfaserleitungen verloren gehen können“, erklärt Stephan Reitzenstein. So würde bereits bei einer Länge von 100 Kilometern nur noch eines von 100 Photonen den Empfänger erreichen. „Deshalb müssen wir für Netzwerke über Distanzen jenseits von 100 km so genannte Quantenrepeater mit in die Übertragungsstrecke einbauen.“ Sie verstärken nicht etwa die Lichtsignale – denn das würde auch einer Messung gleichkommen. Stattdessen kommt ihnen nun die Aufgabe zu, verschränkte Photonenpaare zu erzeugen und in Richtung der beiden Enden der Übertragungsstrecke zu verteilen. So würde ein Quantenrepeater in der Mitte der Strecke gerade die Distanz halbieren, die die Photonen effektiv durchlaufen müssen.

Quantenrepeater als Lösung

Über sehr lange Strecken von vielen Hunderten Kilometern könnten ganze Ketten von Quantenrepeatern eingesetzt werden. In ihrem Inneren würden einerseits Quantenpunkte die verschränkten Photonen erzeugen und in beide Richtungen losschicken, andererseits fänden in den Quantenrepeatern auch spezielle Messungen statt, bei denen Photonen benachbarter Stationen zusammen in einem Vorgang gemessen und dadurch ebenfalls verschränkt werden. Führt man diese Operationen geschickt durch, kann man eine ganze „Verschränkungskette“ zwischen den beiden Enden einer Übertragungsstrecke aufbauen. Auch hier würde ein Lauscher durch Abgleich einiger Messergebnisse an den beiden Enden der Leitung sicher erkannt. Die Repeater müssten daher nicht besonders gegen den Zugriff von Unbefugten geschützt werden. „Sie wären durch die Prinzipien der Quantenphysik automatisch geschützt – und zwar auch vor einem Angriff mit Hilfe eines Quantencomputers“, betont Reitzenstein.

Schematische Darstellung eines Bauelements mit einem Quantenpunkt-Molekül:

Quantenpunkt-Moleküle zum Speichern und Versenden von Photonen

Da bei einem Einsatz vieler Repeater allerdings Zeitverzögerungen entstehen können, ist es notwendig, dass diese sowie die Empfangsstationen für die Photonen an den Enden der Strecke über Zwischenspeicher für die Überlagerungszustände der Photonen verfügen. Hier kommt nun die eigentliche Expertise der Arbeitsgruppe von Stephan Reitzenstein zum Tragen: Quantenpunkt-Moleküle. „Jeder Quantenpunkt ist eine Anhäufung von etwa eintausend Atomen. Ein Quantenpunkt-Molekül besteht einfach aus zwei benachbarten Quantenpunkten im Abstand von etwa fünf bis zehn Milliardstel Metern“, erklärt Reitzenstein. Aufgrund ihrer Nähe beeinflussen sich die Quantenpunkte gegenseitig und bilden gemeinsame Energieniveaus aus, ähnlich wie zwei einzelne Atome, die zusammen ein Molekül mit neuen elektronischen Eigenschaften ergeben. Genau dies ist erwünscht, denn wie für die Erzeugung verschränkter Photonen sind auch für die Speicherung von Quanteninformationen passende Energieniveaus notwendig. Wenn man sie mit einem Laser oder elektrisch anregt, können diese Quantenpunkt-Moleküle nun sowohl verschränkte Photonen produzieren wie auch die Überlagerungszustände von Lichtteilchen speichern. Eingebettet sind die Quantenpunkte in ein Halbleiter-Bauelement, das die für das Verfahren nötigen Oberflächenstrukturen mitbringt.

Steigerung der Effizienz auf fast 100 Prozent

Ziel der Arbeitsgruppe im Projekt QR.X ist es, mit ihrer Technik erste Quantenrepeater-Netzwerke auszustatten. Mittlerweile können sie ihre Bauelemente direkt in Glasfaserleitungen integrieren, was in einem zukünftigen Quantennetzwerk Platz und Kosten sparen würde. Zur Herstellung dient ihnen eine weltweit einmalige Lithografie-Anlage. Sie kann nicht nur mit Hilfe eines Elektronenstrahls und eines Ätzverfahrens die notwendigen Strukturen in das Halbleitermaterial einschreiben, sondern auch die Quantenpunkte mit einem Lichtdetektor aufspüren. Damit kann die Effizienz bei der Herstellung der Bauelemente erheblich gesteigert werden. Denn der Prozess der Bildung von Quantenpunkten ist selbstorganisiert, das heißt die Quantenpunkte verteilen sich völlig zufällig im Halbleitermaterial. Bisher war es deshalb Glückssache, ob die von den Forschenden anschließend aufgebrachten Strukturen überhaupt einen Quantenpunkt oder gar ein Quantenpunkt-Molekül treffen. Mit der neuen Lithografie-Anlage können sie nun aber die Quantenpunkte aufspüren und passgenau in die Halbleiter-Strukturen aufbringen. „Auf diese Weise lässt sich die Ausbeute an Photonen von etwa einem Prozent auf nahezu 100 Prozent steigern, was essentiell für hohe Datenübertragungsraten im zukünftigen Quanten-Internet ist“, erklärt Reitzenstein.