Fachgebiet Audiokommunikation

Wellenfeldsynthese für einen großen Hörsaal

Der Hör- und Veranstaltungssaal WellenFeld H 104 der TU Berlin verfügt über das weltweit größte System zur Wellenfeldsynthese (WFS). Um den gesamten Saal mit einem Fassungsvermögen von rund 640 Plätzen zieht sich auf Kopfhöhe ein Band von über 2700 Lautsprechern im Abstand von 10cm. Diese werden von einem Computer-Cluster mit 832 Audio-Kanälen angesteuert.

In der Wellenfeldsynthese werden nicht, wie bei konventionellen, mehrkanaligen Wiedergabesystemen üblich, einfach Klänge über einen oder mehrere Lautsprecher abgestrahlt, sondern es wird das Feld der Schallwellen berechnet und generiert, das Klangquellen an bestimmten (oder sich bewegenden) Positionen im Raum ausprägen. Damit können akustische Situationen gestaltet werden, deren Klangeindruck von dem durch Größe und akustische Eigenschaften des realen Raumes bestimmten Erfahrungswissen abweichen.

Die verblüffendste Eigenschaft der Wellenfeldsynthese ist, dass Klänge als virtuelle Schallquellen an diskreten Positionen mitten im Raum erscheinen können, ohne dass ihre Position mit physikalisch sichtbaren Objekten wie Lautsprechern oder Instrumenten in Verbindung stehen. Mit dem WFS-System im WellenFeld H 104 lassen sich derzeit bis 42 virtuelle Schallquellen definieren und innerhalb wie außerhalb des Realraumes positionieren oder bewegen.

Raumakustische Konzeption

Bei der raumakustischen Auslegung des Raums waren die Belange für einen WFS-Wiedergaberaum zu vereinbaren mit denen eines ‚klassischen’  Hörsaals.  Neben  der  raumakustischen Störungsfreiheit (Unterbindung von Flatter- oder Rückwandechos) standen dabei Nachhallzeit und Reflexionsführung im Vordergrund. Bei Wiedergaberäumen für die WFS darf dem synthetisierten Schallfeld nicht störend die Hörsamkeit des physikalischen Raums aufgeprägt werden: Nachhall und Raumreflexionen dürfen die Schallfeldsynthese nicht negativ  beeinflussen. Dagegen soll beim ‚klassischen’ Hörsaal der physikalische Raum die Sprachübertragung und damit die Sprachverständlichkeit fördern.
Im Sinne der Aufgabenstellung wurden daher folgende Planungsziele definiert:

  • Soll-Nachhallzeit 0,95 s im 50% besetzten Zustand bei ausgeglichenem  Frequenzverlauf. Dies stellt einen gangbaren Kompromiss zwischen den Nutzungsszenarien WFS Hörsaal dar.
  • Unterbindung  raumprägender früher Reflexionen, da diese für WFS-Nutzung nachteiliger sind, als sie für die (elektroakustisch unterstützte) Hörsaal-Nutzung Vorteile bringen. Laterale Reflexionen werden dabei durch gezielt angeordnete Absorptionsflächen unterbunden, nachteilige Reflexionen an Boden und Decke werden durch die horizontal fokussierte Richtcharakteristik der WFS-Lautsprecher vermieden.

Im Sinne dieser Konzeption wurde durch Aufarbeitung des Gestühls und durch absorbierende Ausführung von Teilen der Wände, insbesondere in der Nähe der Lautsprecher, die Nachhallzeit auf Werte um 1s gesenkt.

Hardware

Auf einer umlaufenden Länge von ca. 86 m sind insgesamt 832 Kanäle angeordnet. Ausgespart wurden dabei lediglich vier kurze Teilstücke an der Rückseite des Raumes für die hinteren Ausgänge und für die Zugänge zur Regie. Im hinteren Bereich des Saals befinden sich die Lautsprecher knapp über Kopfhöhe der Zuhörer. Weiter nach vorne vergrößert sich der Abstand zwischen den Lautsprecher und der Ohrhöhe der Zuhörer, da die Lautsprecherlinie oberhalb der vorderen Eingangstüren entlang geführt werden musste. Eine tiefere Position war an dieser Stelle nicht möglich, da die breiten Eingangstüren weder versperrt werden durften, noch Lücken in der Linie in dieser Größenordnung vertretbar waren.

Für die Wellenfeldsynthese ist ein möglichst kleiner Abstand der Kanäle zueinander wünschenswert. Für das hier vorgestellte Projekt wurde ein Abstand von 10 cm vorgegeben. Die daraus resultierende große Anzahl von Kanälen erforderte ein entsprechend kostengünstiges Konzept, so dass die Auswahl auf einfache Breitbandlautsprecher mit der Unterstützung durch zusätzliche Tieftöner fiel. Für das Abstrahlverhalten der Lautsprecher wurde ein möglichst breiter horizontaler Abstrahlwinkel bis zu den höchsten Frequenzen angestrebt bei einem gleichzeitig engem vertikalen Öffnungswinkel, um die Reflexionen vom Boden und von der Decke des Raumes zu reduzieren.

Die Lautsprecher wurden als achtkanalige Module mit 80 cm Breite konzeptioniert, die so aneinander gereiht werden können, dass die Linie mit äquidistanten Kanalabständen fortgesetzt wird. Ein Kanal besteht aus je drei Breitbandlautsprechern, die über ein einfaches passives Netzwerk so angesteuert werden, dass nur ein Lautsprecher bis zu den höchsten Frequenzen arbeitet und die beiden anderen Systeme frühzeitig über Tiefpassfilter ausgeblendet werden. Mit diesem Verfahren wird ein konstant enges vertikales Abstrahlverhalten über einen weiten Frequenzbereich (ab 1 kHz aufwärts) erreicht. Für eine ausreichende Pegelfestigkeit im Bassbereich werden die Signalanteil unterhalb von 200 Hz extrahiert und über einen gemeinsamen Tieftöner für je vier Kanäle wiedergegeben.

Das Elektronikmodul des Lautsprechers ist mit 10 Endstufenkanälen (8x 40 Watt und 2x 100 Watt), einem DSP System zur Signalverarbeitung und einem ADAT-Interface zur Signaleinspeisung ausgestattet. Die Programmierung und Fernüberwachung erfolgt über eine standardisierte Ethernet Schnittstelle mit DHCP Fähigkeit, so dass alle Lautsprecher über ein herkömmliches PC Netzwerk mit dem Steuerrechner kommunizieren können. Das integrierte DSP-System ermöglicht mit FIR-Filtern eine phasenlineare Entzerrung der einzelnen Wege oberhalb von 300 Hz. Vier unabhängigen Limitern pro Kanal bieten zudem einen weitreichenden Schutz vor thermischer und mechanischer Überlastung der Lautsprecher sowie vor Verzerrungen durch Übersteuerung der Endstufen.

Netzwerk und Software

Die Signalaufbereitung für die Lautsprecher erfolgt über ein Linux-Cluster mit 15 Einzelknoten und zwei Kontrollrechnern. Von dort werden Audiosignale über MADI-LWL und MADI/ADAT-Konverter in der Nähe der einzelnen, achtkanaligen Lautsprecher-Module auf die insgesamt 832 Kanäle des Arrays geführt. Zusätzlich sind alle Komponenten über breitbandiges Ethernet vernetzt und erlauben eine bidirektionale Kommunikation, was insbesondere für Updates, Veränderungen in der Lautsprecherentzerrung (auch in Echtzeit) und zur Zustandskontrolle notwendig ist. Für die Schallfeldsynthese wurde die an der TU Berlin entwickelte, unter GPL Lizenz veröffentlichte Software sWONDER für den Betrieb auf einem Rechnercluster er­weitert und in einzelne Softwaremodule für die graphische Benutzeroberfläche, einen score player/recorder, eine Kontroll­einheit, sowie einzelne online und offline rendering units getrennt. Die einzelnen Module kommunizieren über das OSC-Protokoll zur Definition von dynamischen, zeitlich/räumlichen Szenen.

Simulation und Messung

Zur Prognose der durch das System erreichbaren Schallpegelverteilung im Raum wurde, auf der Grundlage der durch eine Messung im reflexionsarmen Halbraum bestimmten Richtcharakteristik (s. Balloon-Darstellung,) und der für sechs lokale Raumzonen individuell konfigurierten Entzerrung der Lautsprechermodule, eine Freifeld-Simulation mit der neuen, nun um die Möglichkeit der direkten Berechnung der individuellen Lautsprecherfilter durch einen WFS-Operator erweiterten Simulations-Software EASE 4.2 berechnet. Die Simulationen zeigen eine gute Übereinstimmung der simulierten Schallfelder von Primärquelle (virtuelle Schallquelle) und Sekundärquellen (LS-Array).

Gleichzeitig lässt sich der erreichbare Direktschallpegel im Raum auf Grundlage eines Maximalpegels der einzelnen Module von 102 dB in 1 m Entfernung, der Richtcharakteristik der Lautsprecher und der für die WFS-Synthese erforderlichen Einzelsignale der Lautsprecher berechnen.


Zur Überprüfung der korrekten Funktionalität von Hardware, Software und Netzwerk wurden durch ein Team der TU Delft Impulsantworten von verschiedenen durch das System synthetisierten, virtuellen Quellen an mehreren Empfängerorten im Saal aufgenommen. Auf diese Weise konnte insbesondere der Einfluss von Raumreflexionen untersucht werden, welche durch das raumakustische Anforderungsprofil naturgemäß nicht völlig unterdrückt wurden.

Die Abbildung zeigt das Schallfeld einer mittigen, frontalen Punktschallquelle, gemessen mit einem Mikrofonarray im hinteren Teil des Saals über einen Zeitbereich, der alle Reflexionen erster Ordnung umfasst. Eine Auswertung der Pegelverhältnisse ergab selbst im kritischen, hinteren Teil des Raums eine Unterdrückung früher Reflexionen um mehr als 6 dB, sodass angesichts von Erfahrungen mit anderen WFS-Systemen der Einfluss der Raumakustik als unkritisch anzusehen ist.

Publikationen

  • Goertz A, Makarski M, Moldrzyk C, Weinzierl S (2009) Zur Entzerrung von Lautsprechersignalen für die Wellenfeldsynthese. 25. Tonmeistertagung, Leipzig
  • Makarski M, Goertz A, Weinzierl S, Moldrzyk C (2009) Zur Entwicklung von Lautsprechern für die Wellenfeldsynthese. 25. Tonmeistertagung, Leipzig
  • Moldrzyk C, Goertz A, Makarski M, Feistel S, Ahnert W, Weinzierl S (2007) Wellenfeldsynthese für einen großen Hörsaal. Fortschritte der Akustik, DAGA Stuttgart
  • Goertz A, Makarski M, Moldrzyk C, Weinzierl S (2007) Entwicklung eines achtkanaligen Lautsprechermoduls für die Wellenfeldsynthese. Fortschritte der Akustik, DAGA Stuttgart
  • Baalman MAJ (2007) Reproduction of arbitrarily shaped sound sources with wave field synthesis - physical and perceptive effects. 122nd AES Convention, Vienna/Austria
  • Baalman MAJ, Hohn T, Schampijer S, Koch T (2007) Renewed architecture of the sWONDER software for wave field synthesis on large scale systems. Linux Audio Conference 2007, TU Berlin
  • Salter CL, Baalman MAJ, Moody-Grigsby D (2007) Between Mapping, Sonification and Composition: Responsive Audio Environments in Live Performance. International Computer Music Conference, Copenhagen/Denmark
  • Baalman MAJ (2007) On wave field synthesis and electro-acoustic music - State of the Art 2007. International Computer Music Conference Copenhagen/Denmark
  • Baalman MAJ (2007) How to Control 840 Channels. Working with Large Scale Wave Field Synthesis. Next Generation, ZKM, Karlsruhe, http://www.zkm.de
  • Baalman MAJ (2006) Reproduction of arbitrarily shaped sound sources with wave field synthesis - theory and implementation. Tonmeistertagung 2006, Bericht
  • Baalman MAJ (2006) swonder3dq: Auralisation of 3d objects with wave field synthesis. 4th International Linux Audio Conference, April 27-30, 2006, ZKM, Karlsruhe

Kompositionen für Wellenfeldsynthese

Kompositionen für Wellenfeldsynthese, die vom Elektronischen Studio für den WellenFeld H 104 produziert wurden:

2013:

  • Joan Riera Robusté: Musical Situations 1

2012:

2010:

Erfasst wurden Produktionen und Veranstaltungen seit 2010. Für frühere Aktivitäten des Studios siehe Geschichte.

Förderung

Technische Universität Berlin