Medieninformation | 6. Juli 2022 | wrt

VR-Game teleportiert Auszubildende auf ein Offshore-Windrad

In der virtuellen Realität (VR) können sich Berufsschüler*innen bei der Fehlerdiagnose verbessern

Forschende der Technischen Universität (TU) Berlin haben ein Virtual-Reality-Spiel entwickelt, mit dem Auszubildende im Bereich der Metall- und Elektrotechnik die Reparatur einer Windkraftanlage auf hoher See unter realistischen Bedingungen üben können. Das Spiel „MARLA – Masters of Malfunction“ ist ein sogenanntes Serious Game, mit dem die Auszubildenden an ihrer Kompetenz im Bereich der Fehlerdiagnose arbeiten können, einfach und gefahrlos im Klassenzimmer ihrer Berufsschule. Das VR-Game wurde konzipiert für das Headset „Oculus Quest“ und baut auf die Grundkenntnisse des ersten Ausbildungsjahres auf; es wird kein Fachwissen über Windenergie benötigt. Das Spiel können interessierte Berufsschulen ab sofort kostenlos herunterladen.

In Untersuchungen wird beobachtet, dass junge Facharbeiter*innen ein strukturiertes Vorgehen bei der Fehlerdiagnose häufig nicht ausreichend beherrschen. Es fehlt ihnen schlicht an Erfahrung. Das Problem wird auch von Lehrkräften in den Berufsschulen wahrgenommen. Diese wünschen sich für ihren Unterricht didaktisches Material mit authentischen Anwendungsszenarien an vollständigen Anlagen, um die Kompetenz in der Fehlerdiagnose bereits in der Ausbildung besser trainieren zu können [1].

Den Fehler finden und beheben

Ziel von MARLA ist es, die Ursache für verschiedene komplexe Fehler im hydraulischen Bremssystem einer Offshore-Windenergieanlage aufzuspüren. Ein systematisches und logisches Vorgehen ist dabei gefragt. Mit Hilfe einer VR-Brille tauchen die Berufsschüler*innen in ein virtuelles Erlebnis ein – vollkommen gefahrlos für Mensch und Material. Die Auszubildenden müssen auf dem Hydraulikplan einen Sensor identifizieren, der einen Fehler gemeldet hat, ein Steuermodul durchmessen und so seine Funktionstüchtigkeit prüfen oder eine undichte Anschlussstelle am Akkumulator fixieren.

Mehr Handlungsspielräume

„Bei der Ausführung der virtuellen Aufgaben sammeln die Spielenden Erfahrung beim strategischen Vorgehen bei der Fehlerdiagnose und können dies anschließend in ihren Berufsalltag überführen. Gleichzeitig erleben die Auszubildenden, welche Konsequenzen ihre Lösungsversuche haben,“ sagt Projektleiterin Dr. Pia Spangenberger von der Fachdidaktik Bautechnik und Landschaftsgestaltung der TU Berlin. „Für die Lehrkraft entstehen Dank der VR-Technologie wiederum mehr Handlungsspielräume bei der Planung und Durchführung des Unterrichts.“

Mit dem Boot zum Windpark

Im VR-Game schlüpfen die Auszubildenden in die Rolle einer Fachkraft für Windenergie, die einen Fehler in einer Offshore-Anlage auf dem Meer beheben soll. Bevor sie mit dem Boot in den Windpark übersetzen, werden ihnen zu Beginn die Mission und die grundlegende Funktionsweise der Anlage erläutert. Auf der Offshore-Anlage durchlaufen sie dann die einzelnen Schritte der Fehlerdiagnose. Im Maschinenraum oben in der Gondel überprüfen sie mögliche Fehlerursachen und beheben den Fehler. Sollte es dabei zu Schwierigkeiten kommen, hilft ihnen die virtuelle Kollegin Alex.

Eine virtuelle Kollegin hilft

„Die virtuelle Kollegin Alex fungiert dabei als pädagogische Agentin, die den Spielenden mit Rat und Tat zur Seite steht und sie bei der systematischen Fehlerdiagnose unterstützt. Dabei übernimmt sie anfangs die Rolle eines Modells, das relevante Schritte und Tätigkeiten erklärt. Im weiteren Spielverlauf übernehmen die Auszubildenden dann zunehmend selbst die Initiative“, sagt Lernpsychologe Dr. Felix Kapp vom Fachgebiet Mensch-Maschine-Systeme der TU Berlin, der die Evaluation im Vorhaben verantwortet hat. „Die Auszubildenden sind dabei nicht nur während des Spielens in MARLA motiviert bei der Sache. Die Erfahrung in der VR eignet sich auch hervorragend, um daran im fortführenden Unterricht anzuknüpfen.“

Professionelle Spieleentwickler*innen beteiligt

Die Entwicklung und das Design der Anwendung lag in der Hand des Kölner Game Studios „the Good Evil“ als Projektpartner. „Als Spieleentwickler*innen war es uns wichtig, eine einfache Handhabung bei den sehr komplexen Tätigkeiten der Fehlerdiagnose zu ermöglichen“, sagt Linda Kruse, Spieleentwicklerin und Geschäftsführerin der the Good Evil GmbH. „Dabei orientiert sich das Bedienkonzept eng an realen Tätigkeiten in der Ausbildung, damit auch Anfänger*innen schnell ins Spiel finden.“ Die ersten Evaluationsergebnisse zeigen, dass Auszubildende mit MARLA sowohl etwas über Windenergieanlagen und die systematische Fehlerdiagnose lernen als auch, dass sich durch den virtuellen Besuch eines Windrads das Interesse am Thema Windenergie steigert [2]. Im Rahmen von Workshops waren knapp 200 Auszubildende und Studierende aktiv an der Entwicklung des Spiels beteiligt und haben die Anwendung erprobt, etwa am Oberstufenzentrum TIEM in Berlin-Spandau. „Eine vollständige Anlage virtuell begehen zu können, um eine Fehlerdiagnose vorzunehmen, ist in der Berufsschule in der Regel nicht möglich. Daher ist MARLA für uns eine zukunftsfähige Lernanwendung, die wir gerne in unseren Unterricht integrieren möchten“, sagt Arne Wahnfried, Berufsschullehrer und Abteilungsleiter im TIEM.

Didaktisches Gesamtkonzept

Das VR-Game ist eingebettet in ein didaktisches Gesamtkonzept. So können Lehrkräfte im Anschluss an das Spiel die Lerninhalte zur Fehlerdiagnose mithilfe konkreter Aufgabenstellungen im Unterricht aufgreifen und vertiefen. Sie finden auf der Webseite des Spiels eine Handreichung mit didaktischen Empfehlungen und Unterrichtsvorschlägen, ein Lernheft sowie Hilfestellung zu technischen Fragen rund um den Einsatz von VR-Brillen im Unterricht. Um Anknüpfungspunkte für den Einsatz des Spiels im Unterricht zu bieten, wurden die entwickelten Spielinhalte mit den Lernzielen in den Rahmenplänen der Ausbildungsberufe im Bereich der Metall- und Elektrotechnik abgestimmt.

Drei Auszeichnungen für MARLA

Bereits der Prototyp des Spiels wurde zweifach ausgezeichnet: Er erhielt den Preis "AVRiL 2021" in Gold des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, mit dem wirkungsvolle Lernszenarien in Virtual und Augmented Reality prämiert werden. Zudem wurde MARLA im letzten Jahr für den Wissenschaftspreis des Deutschen Instituts für Virtuelle Realitäten (DIVR) in der Kategorie "Bestes Konzept" nominiert. Am 23. Juni 2022 erhielt MARLA nun die Comenius-EduMedia-Medaille 2022 der Gesellschaft für Pädagogik, Information und Medien e.V. (GPI) in der Kategorie „Spielbasierte digitale Bildungsmedien“.

Die finale Anwendung steht ab sofort zum Download bereit.

Projektbeteiligte

Entwickelt hat das Spiel und das dazugehörige Material ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderter Forschungsverbund. Verbundpartner sind die Technische Universität Berlin (Projektleitung und wissenschaftliche Begleitung), das Game-Studio the Good Evil (Spielentwicklung), die Handwerkskammer Koblenz (Verbreitung des Spiels) und die Handwerksammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim (Verbreitung des Spiels). An der Konzeption waren außerdem die Berufsschüler*innen der Hein-Moeller Schule in Berlin sowie die Fachkräfte des RWE Windparks Arkona beteiligt. Der Wissenschaftsladen Bonn e.V. entwickelte das didaktische Begleitmaterial.

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