Batteriezug im Praxistest

Noch werden 450 Bahnlinien von Dieselloks befahren. Jetzt wird geprüft, welche Strecken elektrisch betrieben werden können

Zwischen 1874 und 1879 wurde Stuttgart mit der Stadt Horb am Neckar durch den Bau einer Eisenbahnlinie verbunden. Seit dem 24. Januar 2022 nun fährt ein batteriebetriebener Zug auf dieser 67,2 Kilometer langen Strecke in Baden-Württemberg und auf der 16,8 Kilometer langen Strecke zwischen Pleinfeld und Gunzenhausen in Bayern. Letztere ist eine von 450 Linien in Deutschland, die bislang ausschließlich von Dieselloks befahren wurden. Doch jetzt wird in einem viermonatigen Test geprüft, ob sie von Batteriezügen abgelöst werden können. Dass diese beiden Strecken ausgewählt wurden, beruht auf einer umfassenden Analyse durch die TU-Fachgebiete Bahnbetrieb und In-frastruktur sowie Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik.

„Unsere Aufgabe war es, Parameter für die Züge und die Infrastruktur des Schienennetzes zu definieren und zu charakterisieren, damit die Batterie für diese Züge nicht an den Gegebenheiten vorbeientwickelt wird und ein batteriebetriebener Zug als Alternative zu einem Dieselzug wirtschaftlich sinnvoll ist“, sagt Ulrich Zimmermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Bahnbetrieb und Infrastruktur. Pavel Boev, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik, erstellte zudem eine Wirtschaftlichkeitsanalyse und eine Umweltbilanz.

Die Analyse des Schienennetzes ergab unter anderem, dass immerhin 360 Strecken, die von Dieselloks befahren werden, bereits mit einem mehr oder minder großen Anteil an elektrischer Oberleitung ausgestattet sind. Die meisten dieselbefahrenen Strecken haben zudem eine Länge von 80 bis 90 Kilometern. Darauf muss die Reichweite der Batterie ausgelegt sein. Technisch gelöst werden muss das Problem, dass einerseits der Ladevorgang im Idealfall von kurzer Dauer ist, andererseits dauerhaftes schnelles Aufladen den Batterien schaden kann. „Ein Dieselzug kann an der Endhaltestelle nach drei, bis vier Minuten wieder zurückfahren. Auch ein batteriebetriebener Zug muss schnell wieder einsetzbar sein, damit die Fahrplantaktung eingehalten werden kann“, so Zimmermann. Gelingt das nicht, ist der Batteriezug kein Ersatz für die Diesellok. „An unserem Fachgebiet wurde ein Tool entwickelt, mit dem wichtige Fragen zur Elektrifizierung eines Schienennetzes beantwortet werden können wie die nach der Umsetzbarkeit solcher Pläne für die jeweilige Linie, die Anzahl der benötigten batteriebetriebenen Züge unter Berücksichtigung von Ladezeiten, die Anzahl der Ladestationen oder der Integration des Ladevorgangs in den Betriebsablauf“, sagt Pavel Boev.

Gelänge es, die Dieselzüge durch batteriebetriebene Züge zu ersetzen, könnten potenziell viele Umstiege entfallen, die im Fahrplan immer eine Schwachstelle sind. Hintergrund ist, dass Dieselzüge an elektrifizierten Hauptstrecken enden und dann auf elektrifizierte Züge umgestiegen werden muss. Bei einem batteriebetriebenen Zug entfiele dieser Umstieg, da er sowohl elektrisch ohne Oberleitung fahren kann als auch mit Oberleitung.„Ein Ergebnis unserer Untersuchungen ist, dass, obwohl pauschale Aussagen schwierig sind, Strecken zwischen einer Länge von 40 bis 45 Kilometern grundsätzlich für den Batteriebetrieb geeignet sind und dort entweder keine oder nur geringfügige Anpassungen der Infrastruktur vorgenommen werden müssen“, so Ulrich Zimmermann. Die Wirtschaftlichkeitsanalyse von Pavel Boev ergab, dass der Betrieb von Batteriezügen unter bestimmten Bedingungen 20 bis 30 Prozent günstiger sein kann als der Betrieb von Dieselloks, wenn eine Einsatzdauer der Züge von 25 bis 30 Jahren zugrunde gelegt wird. „Und stammt der Strom für das Aufladen der Batterien zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien, dann können die CO2-Emissionen um 80 bis 90 Prozent reduziert werden“, so Boev. Bis Anfang Mai läuft der Test noch im Passagierbetrieb, bei dem auch zwei Ladeszenarien untersucht werden – einmal die Batterieaufladung während der Fahrt durch die Oberleitung und einmal die Aufladung an den Start- und Zielbahnhöfen. Auch soll der Probelauf den Wissenschaftlern Daten darüber liefern, wie verlässlich die zuvor von ihnen erstellten Modelle sind, um sie auf andere Strecken anwenden zu können, ohne dort je gefahren zu sein.

Autorin: Sybille Nitsche