Prof. Dr. Ruming Zhang ist seit 2023 Juniorprofessorin an der TU Berlin sowie Trägerin des renommierten Richard-von-Mises-Preises der Gesellschaft für angewandte Mathematik und Mechanik. Die Leiterin des Fachgebiets „Analysis und Anwendung“ berichtet im Interview von ihren Erfahrungen als junge Wissenschaftlerin aus dem Ausland, über die unerklärliche Wirksamkeit der Mathematik in den Naturwissenschaften und wissenschaftsinterne Sprachbarrieren.
Frau Zhang, nach Ihrer Promotion an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 2014 waren Sie PostDoc-Forscherin an der Michigan Technological University. Was hat Sie bewogen, von den USA 2015 nach Deutschland zu wechseln?
Dass ich dort nur einen Vertrag für ein Jahr hatte (lacht). Das ist das Los junger Wissenschaftler*innen, wir müssen uns ständig vernetzen und aufgrund kurzer Verträge oft schon dann nach neuen Möglichkeiten suchen, wenn wir eigentlich gerade erst angekommen sind.
Hat Sie dann ihr Netzwerk als Marie-Curie-Stipendiatin an die Universität Bremen gebracht?
Ja. Eigentlich hat der Kontakt nach Bremen allerdings mit einer großen Enttäuschung begonnen. Ich arbeitete ganz am Anfang meiner Karriere an einem wirklich guten ersten Paper. Aber eine Woche, nachdem als ich alles zusammengeschrieben hatte und meinen ersten Erfolg feiern wollte, hat mein späterer Betreuer in Bremen genau die gleiche Idee als Preprint online gestellt. Dann konnte ich mir diese Veröffentlichung natürlich abschminken. Aber so sind wir in Kontakt gekommen und ich bin später nach Bremen. Allerdings hat das dann ein sehr trauriges Ende gefunden.
Inwiefern?
Wir hatten wirklich eine tolle Zusammenarbeit, haben im ersten Jahr bereits drei Paper veröffentlicht und ein viertes war sogar schon in Vorbereitung. Doch im zweiten Jahr wurde mir klar, dass mein Betreuer schon seit längerem schwer krank ist. Er war schon Professor, ist dann aber mit nur 35 Jahren gestorben.
Oh, das tut mir leid. Wie ging es dann mit Ihnen weiter?
Für mich hieß das, dass ich mich schon wieder nach einer neuen Stelle umschauen musste. Zum Glück kannte ich bereits den Doktorvater meines Betreuers, der am Karlsruher Institut für Technologie, dem KIT, auf einem ähnlichen Gebiet arbeitete. Dorthin bin ich dann gewechselt. Trotzdem war das eine sehr schwere Zeit für mich und meine Forschung stand quasi still für etwa ein Jahr. Mein Fall ist jetzt natürlich nicht alltäglich, aber ich glaube, dass viele junge Wissenschaftler*innen mit Krisen zu kämpfen haben. Seien es persönliche oder von außen kommende. Es ist gut, dass das die Universitäten jetzt verstehen und es offenbar mehr Unterstützung für solche Fälle gibt. Denn wir haben nur ein kleines Zeitfenster, in dem wir viel publizieren müssen, sonst sieht es mit einer Karriere in der Wissenschaft schlecht aus.
Was gefällt Ihnen als ausländische Wissenschaftlerin an Deutschland und was eher nicht?
Definitiv gefällt mir die entspannte Atmosphäre in den Forschungsgruppen in Deutschland. In China sind alle viel ernster, und ich war immer nervös, wenn ich mit meinem damaligen Betreuer reden musste (lacht). Obwohl wir eigentlich einen guten Kontakt pflegen.
Und das Negative?
Man sollte als Inhaberin einer „Niederlassungserlaubnis“ in Deutschland nicht zu oft umziehen müssen … Wenn man von einer Stadt in die andere zieht, erhält man seine Dokumente meist nur mit großer Verzögerung. Auch Termine zu bekommen, ist extrem schwer und keiner geht ans Telefon. Ein zweiter Punkt sind die Bewerbungsverfahren. Ich habe mich tatsächlich viel beworben, und wenn sich die Prozesse jeweils über Jahre hinziehen, hängt man dabei sehr in der Luft. Aber ich will nicht meckern, jetzt bin ich ja da.
Und zwar als Juniorprofessorin des Fachgebiets „Analysis und Anwendung“. Wo und wie wird Ihre Forschung denn angewendet?
Ganz ehrlich? Noch gar nicht. Das Fachgebiet wurde ja erst in diesem Jahr gegründet. Ich beschäftige mich mit der mathematischen Theorie zur Streuung von Wellen. Das könnte Anwendung finden zum Beispiel in der Nanotechnologie, wenn es darum geht, die Struktur von Solarzellen so zu optimieren, dass so viel Sonnenlicht wie möglich in der Zelle in Strom umgewandelt wird. Ein anderes Beispiel ist die zerstörungsfreie Untersuchung von Bauteilen, zum Beispiel in der Chipindustrie oder bei Technologien, die auf dünnen Schichten basieren. Diese Bauteilprüfung kann ich mit Lasern machen, die ich auf das Bauteil schieße und das zurückgestreute Licht analysiere. Damit ich wirklich kleinste Fehler entdecke, muss ich die dazugehörige Theorie aber im Detail verstehen.
1959 sprach der Physiker Eugene Paul Wigner in New York in einem Vortrag von der „unerklärlichen Wirksamkeit der Mathematik in den Naturwissenschaften“. Das ist inzwischen zum geflügelten Wort geworden und wird bei Ihrem Thema offenbar auch wieder bestätigt. Obwohl Ihre Forschung bisher nur innerhalb der Mathematik stattfindet und nichts mit der realen Welt zu tun hat, ließe sie sich in den Naturwissenschaften sehr gut gebrauchen.
Ja, das ist richtig. Das ist tatsächlich sozusagen ein Geschenk – von wem auch immer. Wir Menschen müssen uns dem nur würdig erweisen und mehr miteinander sprechen. Genau diese Kontakte in die Physik und die Ingenieurwissenschaften möchte ich jetzt knüpfen. Das ist allerdings gar nicht so einfach, denn wir verstehen uns nicht immer.
Obwohl die Mathematik doch als die universelle Sprache der Naturwissenschaften gilt?
Wenn es um die Formeln geht schon. Aber Sie können sich nicht vorstellen, wie viele unterschiedliche Begriffe es gibt für dieselbe Sache! Was ich „Eigenfunktionen“ nenne, nennen andere „propagierende Wellen“, wieder andere „geführte Wellen“ und die Festkörperphysiker*innen nennen es „Blochwellen“. Verständnis müssen wir auch aufbringen für die jeweilige Arbeitsweise des anderen. Ich zum Beispiel empfinde das Vorgehen mancher Experimentalforscher*innen als sehr grob.
Das Interview führte Wolfgang Richter.
Die probieren ja nur aus, ohne sich um die Theorie zu scheren! Die wiederum denken, dass Mathematiker*innen einfach von der Realität keine Ahnung haben und nur verrückte Dinge machen (lacht). Aber natürlich gibt es auch einige tolle Kollaborationen zwischen Physiker*innen und Mathematiker*innen. Man sieht hier: Völkerverständigung ist extrem herausfordernd, und gleichzeitig sehr wichtig, auf allen Ebenen.