Die Renaissance des Ferienhauses

Die aktuellen Krisen haben das Reiseverhalten der Deutschen verändert

Schon zu Beginn der Coronakrise, die uns nun seit bald drei Jahren fest im Griff hat, prophezeite Hasso Spode eine neue Form des Reisens: „Naherholung und mittlere Distanzen werden für lange Zeit das Gebot der Stunde sein, Auto und Wohnmobil als coronasichere Transportmittel dürften eine Renaissance erleben – zurück in die Fünfziger- und Sechzigerjahre.“ Da konnte der Soziologieprofessor und wissenschaftliche  Leiter des Historischen Archivs zum Tourismus an der TU Berlin (HAT) noch nicht wissen, dass der Lauf der Zeiten noch weitere Entwicklungen bereithalten würde, die den reiselustigen Deutschen die Lust auf einen ausgedehnten Urlaub fernab der Heimat gründlich vermiesen sollte. Klimawandel, Inflation und Krieg in Europa trugen zu einer Rückkehr zu Reiseformen vergangener Zeiten bei. In diesem Jahr standen sowohl Wochenendreisen, als auch der Familienurlaub und der Besuch von Freund*innen und Verwandten sowie der Campingurlaub höher im Kurs als in den vergangenen Jahren. „Insbesondere das Ferienhaus – in Deutschland und im europäischen Ausland – hat eine Renaissance erlebt. Und diese Form des Reisens gibt es schon seit der Antike“, weiß der Historiker und Soziologe Prof. Dr. Hasso Spode.

Klimawandel, Inflation und Krieg in Europa trugen zu einer Rückkehr zu Reiseformen vergangener Zeiten bei. In diesem Jahr standen sowohl Wochenendreisen, als auch der Familienurlaub und der Besuch von Freund*innen und Verwandten sowie der Campingurlaub höher im Kurs als in den vergangenen Jahren.

„Insbesondere das Ferienhaus – in Deutschland und im europäischen Ausland – hat eine Renaissance erlebt. Und diese Form des Reisens gibt es schon seit der Antike“, weiß der Historiker und Soziologe Prof. Dr. Hasso Spode.

Den Rückzug in die ländliche Idylle, in die ‚Villa rustica‘ kannte man schon in der Antike

„Urlaub ist im Small Talk ein Hauptgesprächsthema, und das war schon um 1900 so, als Theodor Fontane über das neuartige Massenreisen schrieb“, erklärt er. Die Deutschen verzichteten ungern auf ihren Urlaub, doch seit 2020 hat der Tourismusforscher im Reiseverhalten ein „Zurück zu den Wurzeln“ beobachtet wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das betraf auch und ganz besonders das Ferienhaus. Früher als Urlaubsparadies vor allem für Familien attraktiv, hat sich die Nutzerschicht inzwischen auf Freundesgesellschaften, Paare oder Menschen mit Haustieren ausgedehnt. Das habe natürlich auch mit der Entwicklung der Ausstattung zu tun. Wurden die Gästewohnungen und -häuser früher mit ausgemustertem Mobiliar aus dem eigenen Hausstand bestückt, so seien heute viele von ihnen schick, zeitgemäß und nach gehobenem Standard ausgestattet.

Doch der Trend zum Ferienhaus ist keineswegs neu. „Die Praxis des Rückzugs vom Alltag in eine ländliche Idylle war bereits in der Antike verbreitet“, erzählt Hasso Spode. Bei den Minoern auf Kreta, den Karthagern und vor allem bei den – wohlhabenden – Römern. Sie verbrachten die heißen Monate am Golf von Neapel in ihrer ‚Villa urbana‘, dem Sommerpalast, oder der ‚Villa rustica‘, wo ihre Sklaven zudem Landwirtschaft betrieben. Freilich war dieser Luxus jahrhundertelang auf adelige und hochgestellte Kreise beschränkt. In seinem berühmten „Decamerone“ berichtet Boccacio im 14. Jahrhundert von einer Adelsgesellschaft, die sich aus Angst vor der Pest auf einen Landsitz bei Florenz zurückzieht und dort mit Literatur und Geschichten die Zeit vertreibt.

Camping im Wohnwagen oder Urlaub auf dem Zweitwohnsitz

Im 19. Jahrhundert hatte dann in der deutschen Oberschicht jede Familie ihren prunkvollen Sommersitz fernab der Stadt, etwa in Heiligendamm. Die Mittelschicht machte wochenlang Urlaub in der preiswerten „Sommerfrische“, wo auch Bauernhöfe Unterkünfte anboten.

Im 20. Jahrhundert – in den 1970er-Jahren fuhr erstmals die Mehrheit der Deutschen in Urlaub – entwickelte sich die Ferienhauskultur dahin, einen Zweitwohnsitz oder wenigstens einen Wohnwagen zwecks Dauercamping zu erwerben, zum Beispiel an der Ostsee, oder in den Mittelgebirgen. Besonders in Ostdeutschland war die „Datschen“-Kultur hoch entwickelt, weiß Spode dessen neuestes Buch vom Reisen in der DDR handelt (s. Buchtipp). Heute leistet sich der gehobene Mittelstand sein Feriendomizil auch im, meist südeuropäischen Ausland, an der portugiesischen Algarve, der italienischen Toskana oder auf einer griechischen Insel. Wie die Geschichte des Reisens weitergehen wird, ist derzeit schwer absehbar. Wie sie sich in der Vergangenheit entwickelte, dazu findet sich im HAT der TU Berlin eine schier unendliche Auswahl an buntem und aufschlussreichem Forschungsmaterial.

Autorin: Patricia Pätzold

Das Historische Archiv zum Tourismus

Das Historische Archiv zum Tourismus an der TU Berlin HAT beherbergt die weltweit größte archivische Sammlung tourismushistorischen Materials: mehr als 700 Regalmeter mit historischen Prospekten und Werbematerialien, Reiseführern, Zeitschriften, über 1000 geschichtswissenschaftlichen Arbeiten, 1300 tourismuswissenschaftlichen Studien, Plakaten, Karten, Alben und vielem anderen. Diese rund 70.000 Druckstücke, Tonbänder und Videos werden für Forschung und Lehre, sowie für Medien, Touristik und Ausstellungen aufbereitet, erforscht und zugänglich gemacht. Das HAT ist am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin an der Fakultät I Geistes- und Bildungswissenschaften angesiedelt. Derzeit sind die Räume in der Berliner Hardenbergstraße wegen Bauschäden nicht zugänglich beziehungsweise nur in Ausnahmefällen nach Vereinbarung betretbar. 

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Buchtipp: Reisefreiheit und Macht – Tourismus in der DDR

In keinem Land der Welt wurde mehr gereist als in der kleinen DDR. Der Staat subventionierte das Urlaubmachen massiv – und hatte dabei ein politisches Ziel, das Hasso Spode in seinem neu erschienenen Buch detailreich untersucht. Doch neben dem staatlich betrieblichen „Erholungswesen“ entwickelte sich bald ein Wildwuchs an privaten Urlaubsquartieren – und ein Boom des Campingurlaubs. Dass das private Ferienglück, die kleine Freiheit im Anderswo, die räumlich stark beschränkt blieb, erwies sich jedoch als fatal für das SED-Regime. Hasso Spode beschreibt umfassend die Entwicklung des Tourismus in der DDR, einschließlich der Bemühungen, Gäste aus dem „Westen“ anzulocken. Dabei analysiert er aus dem Blickwinkel des Soziologen und des Wissenschaftlers erstmalig Vorbilder und Schwierigkeiten und nimmt auch die politischen Rahmenbedingungen in den Blick. 

Hasso Spode
Urlaub Macht Geschichte

Reisen und Tourismus in der DDR
Bebra-Verlag, April 2022
ISBN 978-3-89809-201-2