„Der Bausektor heute ist eigentlich noch in der Steinzeit“

Projekt „Urban Timber“ beschäftigt sich mit Holz als zentralem Baustoff für klimaneutrales Bauen der Zukunft

Ackerstraße 76 in Berlin, Halle 60. In der großen Halle eines ehemaligen Industriegebäudes lagern Holzbretter, Werkzeuge und Gebäudemodelle, Architektur-Student*innen feilen und schleifen an ihren Entwürfen. Prof. Eike Roswag-Klinge und Kim Gundlach von der TU Berlin erläutern hier eines der aktuellen Forschungsprojekte des Natural Building Lab, das sich mit Holz als zentralem Baustoff für klimaneutrales Bauen der Zukunft beschäftigt. Das Projekt „Urban Timber – Wertschöpfungskette als Motor urbaner Transformation“ wird vom Climate Change Center Berlin Brandenburg gefördert.

Beton, Zement und Stahl sowie Dämmstoffe könnten mit Naturstoffen ersetzt werden

„Der Bausektor heute ist eigentlich noch in der Steinzeit“, sagt Eike Roswag-Klinge, Professor für konstruktives Entwerfen und klimagerechte Architektur an der TU Berlin. „Er verursacht 40 Prozent der CO2-Emissionen, 55 Prozent des Abfallaufkommens und ist für 92 Prozent der Entnahmen mineralischer Ressourcen zuständig. Damit ist er einer der klimaschädlichsten Sektoren in Deutschland.“ Dabei könnten Beton, Zement und Stahl sowie Dämmstoffe in großem Maße auch mit Holz und anderen Naturfasern ersetzt werden. „Das Ziel ist eine Kreislauf-Bauwirtschaft“, erläutert Kim Gundlach, wissenschaftliche Mitarbeiterin am TU-Lehrstuhl für Klimagerechte Architektur – Natural Building Lab. „Über die Nutzung nachwachsender Rohstoffe im Gebäudebereich kann viel Kohlendioxid gebunden werden.“

Zahlreiche Beispiele belegen, dass das Bauen mit Holz funktioniert

Wer sich konkret vorstellen will, wie das Bauen mit Holz aussieht, kann sich zahlreiche Beispiele in Berlin und Brandenburg ansehen, auch auf der digitalen Plattform www.holzbauatlas.berlin. Hier findet sich zum Beispiel die Konrad-Zuse-Berufsschule im Berliner Norden, wo die Innenräume mit den naturbelassenen Holzwänden sich positiv auf die Psyche der Schüler*innen auswirkt. Bei dem Wohnungsbau Walden48 in Berlin-Prenzlauer Berg ist die Außenfassade zur Straße hin beispielsweise mit Schiefer verkleidet, die in den Park ausgerichtete Gebäudeseite ist dafür mit Holz-Loggien gestaltet. Für den prototypischen und experimentellen Umgang mit dem Baustoffholz brauchen die Wissenschaftler*innen „Reallabore“, bei denen sie ihre Vorstellungen ausprobieren und demonstrieren können.

Brandenburg ist prädestiniert für die Holz-Bauwende

„Die Öffentliche Hand ist ein großer Bauträger und kann beim klimaneutralen Bauen mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt Eike Roswag-Klinge und verweist auf die BIM Berliner Immobilienmanagement mbh (BIM) oder die Berliner Wohnungsbaugesellschaften. Aber auch die Stadt Potsdam wolle zur „Holz-Baustadt“ werden. „Gerade Brandenburg mit seinen großen Waldflächen ist wie prädestiniert für die Holz-Bauwende“, erklärt Kim Gundlach. Daher werden in diesem Projekt alle Akteur*innen der Holz-Wertschöpfungskette in der Region – vom Forstbetrieb bis zum Zimmermeister – angesprochen und durch Workshops und Meetings miteinander vernetzt. „Dies machen wir in Zusammenarbeit mit den regionalen Berufsverbänden. Es ist eine Chance, dass wir als unabhängige Wissenschaftler*innen auf die Prozessabläufe und Schnittstellen schauen, wo es denn hakt und wo noch optimiert werden kann“, ergänzt Gundlach.

Auch der Baustoff Holz muss natürlich nachhaltig produziert und genutzt werden

„Wir brauchen jetzt richtige Sprunginnovationen, wir müssen schnell etwas verändern, um die Erderwärmung durch Kohlendioxid-Ausstoß noch rechtzeitig aufzuhalten“, betont Roswag-Klinge. Beim Holzbau könne auch geschädigtes Holz verwendet werden. Wichtig sei, dass ein gesunder Mischwald nachgepflanzt wird und das trotz Beschleunigung der Abläufe die Gemeinwohlorientierung und demokratische Prozesse bei Stadt- und Gebäudeplanung beachtet werden. Darüber hinaus gehören zum klimaneutralen Bauen natürlich die konsequente Nutzung von Recycling-Materialien. „Und grundsätzlich muss vor der Errichtung eines Neubaus immer überprüft werden, ob nicht doch ein bestehendes Gebäude besser genutzt oder umgebaut werden kann - um den großen Flächen- und Ressourcenverbrauch einzuschränken“, so Roswag-Klinge abschließend.

Weiterführende Informationen

Das Projekt „Urban Timber – Wertschöpfungskette als Motor urbaner Transformation“, gefördert durch das Climate Change Center Berlin-Brandenburg, wird durchgeführt von Prof. Dr. Eike Roswag-Klinge und Kim Annaluz Gundlach (TU Berlin) sowie Prof. Dr.-Ing. Philipp Misselwitz (Bauhaus Erde gGmbH) und Prof. Timothee Ingen-Housz (UdK Berlin).

Autorin: Birgit Holthaus

Kontakt

Einrichtung Natural Building Lab