Flugmechanik, -regelung und Aeroelastizität

IFSys - Intelligentes Fliegendes System

IFSys (Intelligentes fliegendes System) ist ein im Jahr 2006 ins Leben gerufenes Studierendenprojekt, welches sich zur Aufgabe gemacht hat ein automatisch fliegendes UAS (Unmanned Aerial System) zu entwickeln. Dabei soll das interdisziplinäre Lernen und Arbeiten gefördert werden, um einen Praxisbezug zum Studium zu geben.

IFSys befasst sich mit der Entwicklung autonom fliegender Luftfahrzeuge, inklusive der Teilsysteme zur Datenübermittlung und der Bodenstation. Solche fliegende Systeme werden heutzutage beispielsweise in der Umweltforschung und in der Nachrichtenübermittlung eingesetzt. UAS grenzen sich von anderen Fluggeräten dadurch ab, dass sie unbemannte, bordautonome Fluggeräte mit implementierter Sensorik, Intelligenz (Missionssoftware, Flugführung und Einsatzverhalten), Aktuatorik und Antrieb sind. Sie sind in der Lage, über längere Zeit in der Luft zu verweilen, während ihre Mission jederzeit im Fluge via Bodenstation und Datenlink beeinflusst werden kann.

Lehre anders als sonst: Das Studentenprojekt IFSys

Sinkende Preise und steigende Leistungsfähigkeit von eingebetteten Systemen und Sensoren sowie die Unterstützung der Industrie ermöglichen es Studierenden heute, ihre Projektideen umzusetzen. Das Institut für Luft- und Raumfahrttechnik der Technischen Universität Berlin ermöglicht es Studierenden, im Projekt IFSys (Intelligent Flying System) gemeinsam ein UAS (Unmanned Aerial System) zu entwickeln. Das Projekt bietet Studierenden mit unterschiedlichem Hintergrund die Möglichkeit, das in den Vorlesungen erworbene Wissen in der Praxis anzuwenden und zu vertiefen. Betreut werden sie vom Lehrstuhl für Flugmechanik, Flugregelung und Aeroelastik Prof. Robert Luckner und von den wissenschaftlichen Mitarbeitern Georg Walde und Arndt Hoffmann. Die Studenten arbeiten für das Projekt entweder in ihrer Freizeit oder im Rahmen ihrer Abschlussarbeit. Das Aufgabenspektrum ist breit gefächert und reicht von flugzeugtechnischen Themen wie Flugmechanik, Flugregelung und Leichtbau über Elektronik, Informationstechnik, Elektrotechnik, Projektmanagement bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit und Marketing.

Ziel des Projekts ist es, ein UAV (Unmanned Aerial Vehicle), also den fliegenden Teil des UAS, zu entwickeln und zu betreiben. Das UAV wird in der Lage sein, automatisch zu starten, Flugbahnen zu fliegen und schließlich zu landen. Eine typische Aufgabe zwischen Start und Landung besteht darin, ein Suchmuster in einer Höhe zwischen 70 und 100 m 20 Minuten lang mit einer Geschwindigkeit von 20 m/s zu fliegen.

Flugtest von ALEXIS

Ausgehend von der definierten Mission und den daraus resultierenden Anforderungen an das Flugzeug entwarfen die Studenten den Flugzeugprototyp ALEXIS (Airborne Laboratory for EXperiments on Inflight Systems).
ALEXIS ist ein Flugzeug mit Schubpropellerantrieb, zwei Heckauslegern und einem umgekehrten V-Leitwerk. Die Spannweite beträgt 4 m; das Startgewicht beträgt etwa 11 kg ohne Nutzlast. Eine Nutzlast von einem Kilogramm, zum Beispiel eine Kamera, ist vorgesehen. Angetrieben wird ALEXIS von einem 1,5 kW starken Elektromotor. Die gewählte Konfiguration erlaubt eine weitgehend getrennte Integration des Flugsteuerungssystems in der Rumpfnase, des Fernsteuerungssystems und der Aktuatoren in Flügel und Leitwerk und des Triebwerks im hinteren Teil des Rumpfes. Durch die große Flügelfläche hat das Flugzeug eine geringe Flächenbelastung, die in Verbindung mit dem starken Triebwerk, den Flugzeugeigenschaften und der Ruderauslegung zu gutmütigen Flugeigenschaften und hohen flugmechanischen Leistungen führt.
Für die Zelle wurde eine weit verbreitete Modellbautechnik gewählt: Der Rumpf besteht aus glas- und kohlefaserverstärktem Kunststoff, Flügel und Leitwerk sind aus glasfaserverstärktem Styropor-Obeche-Sandwich gefertigt.

Sicherheitskonzept

Um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten, wurde ein Sicherheitskonzept entwickelt, das es dem Piloten erlaubt, jederzeit die Kontrolle über das Flugzeug per Funkfernsteuerung zu übernehmen. So können kritische Flugabschnitte, wie Start und Landung, vom Piloten durchgeführt und das Flugsteuerungssystem in sicherer Höhe getestet werden. Reagiert das Flugzeug nicht wie erwartet, kann der Pilot die Kontrolle übernehmen, das Flugzeug bergen und sicher landen. Wenn das Flugsteuerungssystem ausgereift genug ist, um automatische Starts und Landungen durchzuführen, bleibt der Pilot als Beobachter und zusätzlicher Schutz vor unerwarteten Ereignissen in der Schleife. Da das Flugzeug seine Umgebung nicht wahrnehmen und z.B. Hindernisse nicht umfliegen kann, ist ein solches Konzept für den Betrieb von Drohnen in Deutschland unerlässlich.

Hardware Koncept

Betrachtet man nur die Größe und das Gewicht des Flugzeugs, könnte der Eindruck entstehen, dass es sich um ein Modellflugzeug mit einer ungewöhnlichen Konfiguration handelt. Der Unterschied liegt in den Funktionen, die einen automatischen Flug ermöglichen. Diese Merkmale sind ein Flugsteuerungscomputer (FCC), umfangreiche Sensoren und Aktuatoren. Die Hardware kann in drei Teile unterteilt werden: ein Flugsteuerungssystem (rot), das das Flugzeug im automatischen Flug steuert, ein Fernsteuerungssystem (grün), über das ein Pilot das Flugzeug steuern kann, und eine Bodenstation (blau) mit Funkverbindung zum Flugzeug, die die Überwachung und Steuerung des Systems während des Flugs ermöglicht. Außerdem ist eine Nutzlast (z. B. eine Kamera) mit einer Funkverbindung zur Bodenstation vorgesehen. Im Allgemeinen wird die Nutzlast unabhängig vom Flugkontrollsystem betrieben werden. Es ist jedoch auch möglich, Nutzlasten zu entwickeln, die mit dem FCC kommunizieren.
Die im Sicherheitskonzept beschriebene Umschaltung zwischen automatischer Flugsteuerung und Fernsteuerungssystem erfolgt über den Schalter, ein proprietäres Bauteil, das mit FCC und Fernsteuerungsempfänger verbunden ist. Mit einem Kippschalter am Fernsteuersender kann der Pilot wählen, ob er oder die FCC die Aktuatoren und das Triebwerk steuert.

Flugregelungssystem

Das Flugregelungssystem steuert das Flugzeug im automatischen Flug. Das Herzstück des Systems ist der Flugregelungscomputer (FCC). ADVANTECH liefert für das Projekt 3,5" Einplatinencomputer vom Typ PCM-9375 und Erweiterungskarten vom Typ PCM 3643 für vier weitere serielle Schnittstellen. Damit stehen ausreichend Schnittstellen zur Verfügung, um alle im Flugzeug installierten Sensoren und ein Funkmodem zur Kommunikation mit der Bodenstation problemlos anzuschließen. Als Betriebssystem wurde Windows XPe gewählt. Es wurde speziell für eingebettete PC-Anwendungen entwickelt und eignet sich aufgrund der Vertrautheit der Schüler mit Windows besonders gut für den Einsatz in einem Schülerprojekt.

Vier Onboard-Sensoren liefern die relevanten Daten für die Flugregelung. Es handelt sich dabei um einen GPS-Empfänger, der Position und Höhe bestimmt, ein AHRS (Attitude Heading Reference System), das die Lage, Drehraten und Beschleunigung des Flugzeugs ermittelt, ein eigenes Luftdatensystem (ADS) mit einer Prandtl-Sonde für Fluggeschwindigkeit und statischen Druck und einer Vierlochsonde, die Luftströmungswinkel bestimmt, sowie ein Ultraschall-Höhenmessgerät (US-Höhe), das die Höhe über Grund bis auf 6 m genau misst. Dies ist besonders wichtig für Start und Landung, wo die Genauigkeit der vom GPS berechneten Höhe nicht ausreicht.

Die auf dem FCC laufenden Flugregelungsalgorithmen verwenden die gemessenen Daten, um die entsprechenden Aktuatorbefehle zu berechnen, die zur Auslenkung der Ruder und zur Steuerung des Elektromotors verwendet werden. Die Flugregelungssoftware wurde in MATLAB/Simulink® entwickelt. Der C-Code wurde aus den Simulink-Blockdiagrammen mit Real Time Workshop Embedded Coder generiert.

Fernsteuersystem

Das Fernsteuersystem ermöglicht dem Piloten die manuelle Steuerung des Flugzeugs mit einem RF-Fernsteuersender und dem dazugehörigen Empfänger. Der Empfänger arbeitet im 2,4-GHz-Band, das für RC-Flugzeugmodelle üblich ist. Er verfügt über 10 Kanäle. Acht Kanäle werden für die Steuerung der Ruder verwendet, ein Kanal steuert den Elektromotor und der verbleibende Kanal wird für die Umschaltung zwischen automatischer und manueller Steuerung verwendet.

Energieversorgung

Der voll ausgestattete Prototyp verfügt über drei getrennte Stromversorgungskreise. Einen für den Motor, einen für das Flugsteuerungssystem und einen für die Fernsteuerung. Der Motor bezieht seinen Strom aus zwei in Reihe geschalteten 4-Zellen-Lithium-Polymer-Akkus (LiPo) mit 5000 mAh. Das Flugsteuerungssystem verfügt über einen 3-Zellen-LiPo-Akku mit 5000 mAh sowie einen Wechselrichter, der die Ausgangsspannung des Akkus in die für die meisten Sensoren und die FCC benötigten 5 V umwandelt. Der Empfänger und die Aktoren werden von zwei 2-Zellen-LiPo-Akkus mit 2100 mAh versorgt, die über einen Splitter verbunden sind. Die Gesamtmasse dieser fünf Akkus beträgt 1670 g.

Bodenstation

Die Bodenstation dient der Überwachung des Fluges vom Boden aus. Derzeit werden die aufgezeichneten Daten regelmäßig über ein RF-Modem an eine einfache Bodenstation gesendet. Die Bodenstation besteht aus einem Laptop mit RF-Modem-Empfänger. Die empfangenen Sensordaten (Höhe, Geschwindigkeit, Position, Fluglage, usw.) können ausgelesen und analysiert werden. In Zukunft soll die Bodenstation um weitere Funktionen erweitert werden. Neben der reinen Anzeige von Messdaten wird es möglich sein, die Mission zu modifizieren, z.B. den Steuerkurs zu kontrollieren, neue Wegpunkte zu setzen, eine neue Fluggeschwindigkeit oder Flughöhe für das Flugzeug festzulegen oder den Flug abzubrechen und das Flugzeug auf die Landebahn zurückzubringen. Darüber hinaus müssen die von einer Nutzlast gesendeten Daten, z. B. die Bilder einer Kamera, von der Bodenstation empfangen und verarbeitet werden.

Flugtests

Derzeit steht ein voll ausgestattetes Experimentalflugzeug für ferngesteuerte Flüge mit Sensordatenaufzeichnung zur Verfügung. Im Frühjahr 2011 wurden erfolgreiche Flugtests durchgeführt. Die Drohne wurde von einem Modellflugplatz mit einer 110 Meter langen Graspiste aus betrieben. Um das Risiko für die Hardware zu minimieren, wurde der erste Flug ohne das elektronische Flugsteuerungssystem und damit mit 2200g weniger Startgewicht durchgeführt. Ziel dieser Flüge war es, die Handlingseigenschaften und die Ruderanlage zu validieren und sich mit den Flugeigenschaften vertraut zu machen. Nach der erfolgreichen Landung wurden der Flugsteuerungscomputer und die Sensoren montiert, und das Flugzeug wurde erneut geflogen.
Bei diesem zweiten Flug wurden zum ersten Mal Sensordaten auf dem FCC aufgezeichnet, und das System bewies seine Funktionalität unter realen Flugbedingungen. Es sollen weitere Flüge in dieser Konfiguration stattfinden, um das System unter realen Bedingungen zu testen. Es wird ein Flugtestprogramm durchgeführt, bei dem Flugleistungsparameter wie die Mindestgeschwindigkeit mit und ohne ausgefahrene Klappen, die maximale Steigrate oder die Höchstgeschwindigkeit im Horizontalflug gemessen werden.
Die Testflüge haben gezeigt, dass das Flugzeug sehr gutmütige Flugeigenschaften hat. Mit ausgefahrenen Klappen kann es sehr langsam geflogen werden, was besonders bei Start und Landung wichtig ist. Bedenken, eine Nutzlast von bis zu einem Kilogramm Masse mitzuführen, bestehen daher nicht.

Software- und Hardware-tests

Bevor automatische Flüge durchgeführt werden, werden die in MATLAB/Simulink entwickelten Flugsteuerungsfunktionen umfangreichen Tests unterzogen. Zunächst wird ein Software-in-the-Loop-Test (SiL) durchgeführt. Bei diesen Tests wird die Flugsteuerungssoftware in eine Flugsimulation integriert. Die Flugsteuerungssoftware empfängt simulierte Sensorwerte aus einer 6-Grad-Freiheits-Flugsimulation. Mit diesen Sensordaten als Eingabe berechnet sie Steuerbefehle, die in die Aktuatormodelle eingespeist werden, welche die Ausschläge der Steuerflächen erzeugen, die schließlich die Bewegung des Flugzeugs steuern. Dieses Verfahren ermöglicht einen erweiterten Test der Flugsteuerungssoftware mit vergleichsweise geringem Aufwand.
Um näher an das reale System heranzukommen, wird im nächsten Schritt Hardware in die Testumgebung eingebunden. Dies wird als Hardware-in-the-Loop-Test (HiL) bezeichnet. Bei HiL-Tests laufen die Flugregelungsalgorithmen auf dem realen ADVANTECH FCC. Die Sensordaten werden durch eine Simulationsumgebung ergänzt, so dass die Sensoreingabe so erfolgt, als ob sich das FCC im Flugzeug befinden würde. So kann das System unter realitätsnahen Bedingungen sicher getestet werden.

 

ALEXISevo

Derzeit befinden sich zwei weitere Flugzeuge im Bau. Tragflächen, Leitwerk und Rumpf sind als Rohbau fertiggestellt. Während die äußere Form des Flugzeugs beibehalten wird, wird es im Vergleich zum ersten Prototyp Änderungen bei der Hardware und der Integration geben. Der Zusatz "evo" steht für Evolution und bezieht sich auf diese Änderungen.
Beim Prototyp waren der Flugcomputer, die einzelnen Sensoren und Spannungswandler für jeden Sensor einzeln im Rumpf untergebracht und verkabelt. Diese Konstruktion erwies sich als relativ anfällig für elektromagnetische Störungen. Es wurden große Anstrengungen unternommen, die eingebaute Hardware voneinander abzuschirmen, so dass die Reichweite des Fernsteuerungssystems schließlich für Testflüge ausreichte. Hauptursache für die Störungen war die selbstgebaute Stromversorgung des Flugsteuerungssystems. Deshalb wird für die Nachfolger ein Stromversorgungsmodul vom Typ ADVANTECH PCM-3910 verwendet, das direkt auf die Rechnerplatine gesteckt wird. Im gleichen Gehäuse ist eine Platine untergebracht, die neben der Funktion des Schalters auch die Spannungsumwandlung übernimmt, weitere relevante Daten wie Ruderausschläge, Batteriespannung und Motordrehzahl erkennt und an den Flugrechner liefert. Diese Bündelung der Komponenten verspricht weniger Kabel und eine wesentlich einfachere und schnellere Aufrüstung des Flugzeugs, sowie eine bessere Abschirmung von der Fernsteueranlage durch die Unterbringung in einem einzigen Gehäuse. Gleichzeitig wird der Raum im Rumpf effizienter genutzt, so dass mehr Platz für Nutzlasten vorhanden ist.

Mehr Praxis an der Universität

Ein Beispiel für eine solche Nutzlast ist eine Kamera, die das Gelände unterhalb des Flugzeugs erfasst. Als Abstraktion eines Seenotrettungseinsatzes, bei dem das UAV Luftbilder liefert und so die Rettungskräfte bei der Suche nach in Not geratenen Personen unterstützt, könnte man die zu Beginn des Projekts definierte Grundmission um das Ziel ergänzen, eine rote Bierkiste auf einer grünen Wiese zu finden.

IFSys und sein modulares System bieten interessierten Studenten eine breite Palette von Forschungsaktivitäten. So kann das Flugzeug als Plattform für verschiedene Nutzlasten genutzt werden, oder es können innovative Flugregelungskonzepte mit unterschiedlichen Sensortechnologien umgesetzt werden.  Und alles kann nicht nur in der Simulation, sondern auch in der Praxis getestet werden.

Durch die Teilnahme am Projekt lernen die Studierenden den kompetenten Umgang mit eingebetteten Systemen, sie trainieren ihre Teamfähigkeit durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit in einer Gruppe und erhalten einen grundlegenden Einblick in das Projektmanagement.