Mathematik, Arbeitsrichtung Modellierung, Simulation und Optimierung realer Prozesse

Strukturerhaltende Modellreduktion für die effiziente Berechnung von defekten Eigenwerten in thermoakustischen Spektren

Laufzeit

01.10.2021 - 30.09.2024

Finanzierung

DFG - Projekt-Nummer 384950143 (als Teil des GRK2433 DAEDALUS Projekt Q12)

Grundlegende Idee und Anwendungsbereiche

Seit Jahrzehnten gehören mathematische Modelle zu den grundlegenden Werkzeugen in den angewandten Wissenschaften und dem Ingenieurswesen. Mit Hilfe dieser sind Forschende in der Lage dynamische Systeme zu beschreiben, deren Beispiele von Atombewegungen bis hin zu der Dynamik von Planeten reichen. In zahlreichen Wissenschaftsbereichen ist es entscheidend die Schwingungen von Systemen zu untersuchen. Beispielsweise führen Ingenieure Tests mit Hilfe von frequenzspezifischen Schwingungen durch, um die Stabilität von Brücken oder Gebäuden unter Einwirken von Kräften zu prüfen. Grundlegend für die Charakterisierung solcher Dynamiken ist das Konzept von Eigenwerten.
Der Begriff wurde durch David Hilbert [1] geprägt und ist einer der Parameter, die das Verhalten eines Systems charakterisieren. Mit Hilfe dieses Konzepts ist es gelungen die Flugbahnen von Raketen zu stabilisieren, robuste Brücken zu bauen und die Energie von Quantensystemen zu bestimmen.
Heutzutage sind Eigenwerte ein Werkzeug das an Universitäten in Grundlagenkursen wie zum Beispiel "Lineare Algebra" gelehrt wird. Trotzdem ist die Berechnung von Eigenwerten in der Wissenschaft noch immer ein verbreitetes Thema, insbesondere im Gebiet der numerischen linearen Algebra. Es gibt zahlreiche Ergebnisse zur effizienten Berechnung für eine spezielle Klasse von Eigenwerten, den so genannten linearen Eigenwertproblemen. Die aktuelle Wissenschaft beschäftigt sich nun zunehmend mit allgemeineren und komplizierteren Problemen, den so genannten nicht-linearen Eigenwertproblemen.

Mathematische Formulierung

Das Lösen eines nicht-linearen Eigenwertproblems (NLEP) besteht darin, einen Eigenwert e und einen Eigenvektor v ungleich null zu finden, sodass Gleichung (1) erfüllt ist. Dabei ist T im Allgemeinen eine nicht-lineare, Matrix-wertige Funktion.

Aus der Vielzahl an Algorithmen, die in der Literatur zur Verfügung stehen (siehe [2] für eine Zusammenfassung), haben wir uns dazu entschieden mit der hochmoderen Methode des Kontur-Integral-Eigensolvers zu arbeiten. Die Idee basiert auf dem Satz von Keldysh, der die Dekomposition von T in eine rationale Funktion H und eine analytische Funktion N wie in (2) ermöglicht.

Das Hauptresultat dieses Satzes ist, dass die Pole der Funktion H genau die Eigenwerte e des NLEP in einem bestimmten Gebiet O der komplexen Ebene sind. Diese sind eingeschlossen von einer Kontur. Dies erlaubt die Bestimmung bestimmter Eigenwerte von T durch die Berechnung von H.
Man sollte dabei anmerken, dass H die Struktur einer Transfer-Funktion hat, welche ein entscheidende Rolle bei der Regelung von Systemen spielen. Denn eine Transfer-Funktion ist gerade die Laplace-Transformierte eines linearen, Zeit-invarianten Systems von gewöhnlichen Differentialgleichungen, siehe (3) für eine Formeldarstellung dieses Konzepts. Dabei sind u, y und x jeweils der Input, Output und Zustand des Systems. Die Tatsache dass H eine Transfer-Funktion ist, kann nun ausgenutzt werden, um Pole zu identifizieren.

Tatsächlich wurde diese Idee in [3] mit dem Loewner framework verwendet, einer im Feld der Modellreduktion bekannten Methode der rationalen Interpolation. Diese Herangehensweise bestimmt Auswertungen der Transfer-Funktion durch die Berechnung von Kontur-Integralen, siehe (4). Ausgehend von diesen Daten wird eine rationale Funktion konstruiert, die näherungsweise die selben Pole hat wie H.

Aktuelle Ergebnisse und Ziele

Eine wesentliche Annahme bei der H2-Modellreduktion ist, dass die Transfer-Funktion des ursprünglichen Systems in einer speziell gewählten Teilmenge der komplexen Ebene analytisch ist. Im Allgemeinen ist diese Teilmenge für zeitstetige Systeme als die rechte Hälfte der Ebene und für zeitdiskrete Systeme als das Komplement der Einheitsscheibe gegeben. Dieser Ansatz scheitert, sobald die Transfer-Funktion einen Pol mit nicht-negativem Realteil hat. Dies ist beispielsweise in der Wellengleichung oder in der Schrödinger-Gleichung für freie Teilchen der Fall. Die Suche nach optimalen Interpolationspunkten für Kontur-Integral-Eigensolvers hat uns dazu geführt, diese Annahmen abzuschwächen und das Problem der Modellreduktion zu verallgemeinern. Dabei ist das Konzept der konformen Abbildungen entscheidend. Durch bestimmte Annahmen war es uns möglich optimale Interpolationspunkte für Transfer-Funktionen zu finden, deren Pole in einem allgmeineren Teilgebiet der komplexen Ebene liegen. Eine detailliertere Darstellung dieser Ergebnisse ist in [5] zu finden.

Um unser zweites Ziel zu erreichen, haben wir das parametrische Loewner aus [6] als Identifikations-Methode verwendet um die parameterabhängige Transfer-Funktion H zu bestimmen. Ausgehend davon ist es uns gelungen die Eigenwerte für verschiedene Werte des Parameters zu berechnen ohne jeweils den gesamten Algorithmus neu starten zu müssen. Um dieses Vorgehen an einem realitätsnäheren Beispiel mit einem "exceptional point" zu testen, haben wir das Beispiel aus [7] betrachtet und Ergebnisse aus [8] verwendet. Unsere Ergebnisse sind in der Abbildung zu sehen. Die Eigenwerte (dargestellt durch Punkte) wurden in der gewählten Menge O durch unseren Algorithmus für verschiedene Werte des Parameters p (verschiedene Farben)berechnet. Für einen bestimmten Wert von p ist der Algorithmus in der Lage den defekten Eigenwert des "exceptional point" (dargestellt durch ein Kreuz) zu approximieren.

Bibliography

[1] David Hilbert, Grundzüge einer allgemeinen Theorie der linearen Integralgleichungen, (1904)

[2] Güttel, S., & Tisseur, F., The nonlinear eigenvalue problem. Acta Numerica, 26, pp. 1-94 (2017)

[3] M.C. Brennan, M. Embree and S. Gugercin, Contour Integral Methods for Nonlinear Eigenvalue Problems: A Systems Theoretic Approach. SIAM Review, (2023)

[4] S. Gugercin, A.C. Antoulas, C. Beattie, H2 Model Reduction for Large-Scale Linear Dynamical Systems. SIAM Journal on Matrix Analysis & Applications, 30, 609–638, (2008)

[5] A. Borghi and T. Breiten, H2 optimal model reduction on general domains, arXiv preprint, (2023) arxiv.org/abs/2305.01511

[6] A. C. Ionita and A. C. Antoulas, Data-Driven Parametrized Model Reduction in the Loewner Framework, SIAM Journal Scientific Computing, (2014)

[7] G. A. Mensah, L. Magri, C. F. Silva, P. E. Buschmann, and J. P. Moeck, Exceptional points in the thermoacoustic spectrum, Journal of Sound and Vibration, 433, pp. 124–128, (2018).

[8] A. Ghani and W. Polifke, An exceptional point switches stability of a thermoacoustic experiment. Journal of Fluid Mechanics, 920, R3, (2021).