Lange Nacht der Wissenschaften

"Selbst erleben und nicht nur schauen"

Im Hurrikan, bei der Schatzbestimmung und zum sinnentleerten Laufen – Eindrücke von der Langen Nacht der Wissenschaften 2023 an der TU Berlin

18:30 Uhr, Haus der Maschinen

Es rumpelt, klappert, scheppert – spitze Schreie vermischen sich mit begeistertem Kinderlachen. Im Haus der Maschinen stehen die Besucher*innen Schlange, um auf einem riesigen Traktor auszuprobieren, wie Landwirt*innen mit und ohne adaptive Federung über einen simulierten Feldweg fahren. "Beeindruckend, was da für Kräfte wirken", sagt Peter. "War toll", ergänzt seine Partnerin Steff, "selbst erleben und nicht nur schauen macht einfach Spaß!" Die eigens für die Lange Nacht erstellte Liste auf Peters Handy ist lang. Nächste Station: Die Nano-Werkbank im Haus der Mikroskopie, wo Schrift in ein einzelnes Haar graviert werden kann. Während zwei kleine Mädchen auf dem Traktorsitz durchgeschüttelt werden, warten Ben und seine Freunde von der Berlin International School noch auf den Traktortest. Die englischsprachige Gruppe hat gerade den Mittleren Schulabschluss (MSA) gemacht und feiert auf der Langen Nacht den Geburtstag eines Freundes. Sie interessieren sich für "Mechanical Engineering" und wollen vielleicht später an der TU Berlin studieren.

Vor der Halle ertönt ein lang gezogenes Tuten. Die historische Dampfmaschine fährt gerade los, hinten im Wagen eine Kinderschar mit wehenden blauen Luftballons in den Händen, und verschwindet hinter dem Gewächshaus "KlimaHülle". Drinnen wachsen Salate, Kräuter und Gemüse in einer Vertikalfarm ohne Erde in einem eigenen Wasserkreislauf, der sich aus Regenwasser und aufbereitetem Grauwasser speist, ein Projekt der TU-StadtManufaktur.

19:30 Uhr, Haus der Kristalle

Mit einer Lupe begutachtet Dr. Susanne Herting-Agthe einen schwarzen Stein mit rot schimmernden Einschlüssen. Ein schwieriger Fall. Mit einer Stecknadel kratzt sie ein wenig am Stein, dann ein erneuter Blick durch die Lupe. Der achtjährige Émile hat den Stein am Ostseestrand gefunden und möchte seinen Fund bestimmen lassen. "Das Rote ist wahrscheinlich Granat", vermutet Herting-Agthe, die seit 34 Jahren Schätze von Bürger*innen in der Mineralogischen Sammlung bestimmt. Häufig werden ihr gefundene oder auf dem Flohmarkt gekaufte Brocken vorgelegt, von denen die Besitzer glauben, es handele sich um einen Meteoriten. Ein echter Meteorit ist dabei aber nur vier Mal auf ihrem Tisch gelandet. Ihr Partner gegenüber ist über einen Ohrring mit roten Steinen gebeugt. Besucherin Kessy hat ihn zwischen den alten Dielen des Herrenhauses gefunden, in das sie vor Jahren gezogen ist. Es hätten Rubine sein können, der Fachmann sieht das aber anders: schon die Schliffart erscheint zu einfach.

Schnell ist er sich sicher: Was so rot funkelt, ist einfach nur Glas. Kessys Sohn Rayyan interessiert sich sehr für Steine und hat zwei bunt schillernde aus dem Garten seines Opas mitgebracht. Sogenannte Hütten, Abfallreste aus einer Metallschmelze, wie er jetzt weiß. "Einmal kam jemand mit einer aus silbrigem Material gefertigten Brosche, dargestellt war das Sternbild Schütze, besetzt mit funkelnden Steinen", erinnert sich Herting-Agthe an ihren kuriosesten Fall. Diesen "Modeschmuck" hatte er von einem Freund für einen persönlichen Dienst erhalten. Die Kustodin und ihr Mitarbeiter fanden heraus: echte Brillanten in Weißgold gefasst. In die 200 Jahre alte Sammlung kommen aber auch viel Fachleute wie vor kurzem Ägyptologen, die herausfinden wollten, aus welchen Steinbrüchen die Pharaonen die Mineralien bezogen, aus denen sie die Pigmente für blaue Wandmalereien herstellten.

20:15 Uhr, Nachhaltigkeitsmarkt

Vorbei am Pub-Quiz im TU-Zelt mit Fragen aus den Forschungsprojekten der Berliner Exzellenzcluster. Die Regeln sind hart: "Wer ein Handy auf dem Tisch hat, wird mit Stöcken geschlagen!", droht der Moderator und erntet Gelächter. Auf dem Nachhaltigkeitsmarkt in der verlängerten Hertzallee gibt es nicht nur Eis, belegte Brötchen und Pommes vom Studierendenwerk, sondern auch den Stand der studentisch geleiteten Projektwerkstatt "Making Green", die sich mit der Nachhaltigkeit von Konsumprodukten befasst und wie man sie erkennt. In einem Quiz können Besucher*innen alles über Rohstoffe in E-Bike-Akkus und Handys erfahren. Auf einem Tisch liegen auseinandergeschraubte Handys, ein junger Mann sortiert auf Pappe nachgebildete Teile eines E-Bikes in vier verschiedene Müllstationen. "Wir vergleichen im Seminar die Nachhaltigkeit von drei verschiedenen Produktmodellen, in diesem Semester sind es E-Bikes, letztes Semester waren es Jeans", erklärt Belin, studentische Leiterin der Werkstatt. "Neben den typischen Umweltfaktoren lassen wir dabei auch soziale Faktoren wie Arbeitsbedingungen mit einfließen und entwickeln eine Skala für Nachhaltigkeit." Die Studierenden recherchieren auch, ob die Produkte danach entsorgt werden können, ob man sie reparieren oder recyceln kann oder ob ein Update die Lebensdauer erhöht.

21:55 Uhr, Haus des Windes

Im Windkanal des Instituts für Strömungsmechanik klammern sich zwei Frauen an ein dickes Tau. Die langen Haare flattern schräg vom Kopf ab, ihre Lippen sind fest aneinandergepresst. In der Halle rauscht und vibriert es. Langsam wird der Windkanal, der einen Hurrikan mit Windgeschwindigkeit von 120 km/h simulierte, wieder runtergefahren. Das Publikum klatscht und johlt. Josie legt Schutzbrille und Ohropax ab: "Das ist ein bisschen wie Achterbahnfahren", sagt sie lachend, "die Gesichtszüge sind mir richtig entglitten." Im Eingangsbereich des Instituts lassen Kinder mit Haartrocknern Styroporkugeln verschiedener Größe in der Luft schweben und sich von Studierenden den sogenannten Bernoulli-Effekt erklären. An verschiedenen Stationen können sie Tests für das Kinder-Diplom für Strömungsmechanik machen.

Im Nebenraum erklärt Paul Geus, wissenschaftlicher Mitarbeiter vom Labor für Biofluidmechanik an der Charité, eine neuartige Blutdruckmessmethode in der Mundhöhle. Eine Spange, die zwischen Backe und Mundinnenseite geklemmt wird, misst mit Hilfe eines Druckkissens sowie einer Leucht- und einer Fotodiode den arteriellen Blutverlauf. Das Projekt ist angesiedelt am Institut für kardiovaskuläre Computer-assistierte Medizin, in dem Forscher*innen von der TU Berlin und der Charité eng zusammenarbeiten.

Im Hof nebenan ertönen E-Pianoklänge. Dahinter flackern aus einem langen Rohr in einem blauen Kasten eine Reihe kleiner Flammen. Das Rubenssche Flammenrohr lässt akustische Wellen und ihre Resonanz sichtbar werden. Ein Lautsprecher überträgt die Wellen des E-Pianos und beschallt damit das Flammenrohr, wodurch die einzelnen Flammen je nach Klangstärke auf und nieder flackern. Eine Besucherin setzt sich ans E-Piano und beginnt mit "Knockin' on heaven´s door".

23:00 Uhr, Audimax

Florian Breitinger, spezialisiert auf Humangeologie, startet den letzten Science Slam an diesem Abend im voll besetzten Audimax. Thema seines Vortrags: Zufußgehen im Alter und der Einfluss der subjektiven Wahrnehmung darauf. Eine Interviewpartnerin von Breitinger fasste das so zusammen: Ein sinnentleertes Laufen, das keinen Zweck hat. Kein Trendthema also, aber der Humangeologe schafft es trotzdem, das Publikum zu begeistern. Und schließlich betrifft das Thema, wenn alles gut läuft, jede*n im Alter.

23:30 Uhr, Lichthof

Bunt angeleuchtete Torbögen, Stimmengemurmel, quietschende Turnschuhgeräusche. Der Lichthof ist kurz vor Mitternacht voll wippender Knie, sich drehender Hüften und Händen in der Luft. Ausgelassen tanzen die Menschen bei der Silent Disco zur Musik aus Kopfhörern. Ein DJ legt auf, auch an der Bar ist es voll. Während in den anderen Häusern langsam Ruhe einkehrt, ist im Hauptgebäude noch immer viel los. Hier wird zur Wissenschaft getanzt.

Text: Barbara Halstenberg

Highlight-Video

© Benjamin Eckert

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Rund 260 Projekte haben am 17. Juni 2023 bei uns ihre Türen geöffnet und Besucher*innen empfangen. Ob Bienen, Satelliten, Turbinen oder Science Slams - für jede Altersgruppe war etwas dabei. Das Video gibt einen Einblick in die Highlights der TU Berlin. Danke an alle, die zu uns gekommen sind! Wir freuen uns auf die LNDW 2024.