Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V.

Walter Höllerer-Vorlesung 2022 mit Hannes Bajohr (Collegium Helveticum, Zürich)

Artifizielle und Post-Artifizielle Texte: Literatur und Künstliche Intelligenz

Wann: 8. Dezember 2022, 18 Uhr
Wo: TU Berlin, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin, Hauptgebäude, Hörsaal H 104

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind heute zu einem großen Teil Sprachtechnologien. Wie alle neuen Sprachtechnologien provozieren sie damit literarische Experimente, die ihre Grenzen ausloten – die der Technologie, aber auch die der Sprache. Vor allem, was man digitale Literatur nennt, produziert solche „artifiziellen“ Texte, und die Vorlesung nutzt sie als Ausgangspunkt für ein Update der Frage nach dem Status von Sprache im technischen Zeitalter. 

Die Geschichte digitaler Literatur reicht wahlweise bis zum Anfang der Computertechnik oder gar, als poetische Sprachkalküle, bis in die Antike zurück. Aber erst mit Künstlicher Intelligenz in Form maschinellen Lernens haben künstliche Texte eine Komplexität erreicht, die einer ganz neuen Qualität gleichkommt – artifizielle Texte scheinen immer weniger artifiziell.

Was heißt es aber, dass Texte „künstlich“ sind? Verglichen womit? Und ist diese Künstlichkeit notwendig ein literarisches Defizit? Traditionellerweise werden ihnen, da nur per Regelsystem oder statistischen Berechnungen zusammengesetzt, all die klassischen Merkmale natürlicher Sprache – Bedeutung, Referenz, Kommunikation – abgesprochen. Aus technischer Sicht zeigen sich heute aber Tendenzen, KI-Modelle immer näher an diese Qualitäten anzunähern. 

Folgt man spekulativ dieser Entwicklung, stellt sich die Frage, wie eine Zeit post-artifizieller Text aussähe – eine Zeit, in der die Unterscheidung zwischen künstlicher und natürlicher Sprache, ihrer menschlichen oder technischen Urheberschaft immer nebensächlicher wäre. Mit automatisierten Nachrichtentexten stehen wir bereits am Beginn dieser Entwicklung, der artifizielle Roman ist nur ein logischer nächster Schritt. 

Der digitalen wie der konventionellen Literatur eröffnen sich damit zwei parallele, aber spiegelbildliche Möglichkeiten: mitzugehen und die Differenz zwischen humaner und technischer Autorschaft aufzugeben oder aber gegenzusteuern – und so Künstlichkeit wie Menschlichkeit eigens zu betonen. Die Standarderwartungen an Sprache im Zeitalter Künstlicher Intelligenz hätte sich in jedem Fall radikal verschoben, weil die Herkunft eines Textes nicht mehr entschieden werden müsste. 

An den Vortrag von Hannes Bajohr schließt sich ein Gespräch mit der Schriftstellerin Ulrike Draesner an.