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Mobilität und Urbanisierung in China

Wie steht China im internationalen Vergleich da, was seine Größe, Bevölkerung und die damit verbundenen Umwelt- und Mobilitätsherausforderungen betrifft? Ist China schon eine echte Industrienation? Welche Probleme bestimmen gegenwärtig Gesellschaft und Politik Chinas? Welche Lösungsansätze werden diskutiert? Diese und weitere auch für die übrige Welt relevanten Fragen erörterte Frau Sandra Retzer, Leiterin des Entwicklungspolitischen Forums, BereichGloBe (Sektor- und Globalvorhaben), der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), in einem fesselnden Vortrag im Rahmen des China Center-Seminars The Innovators.

Als bevölkerungsreichstes Land der Welt und auf dem Weg zur führenden Hightech-Nation steht die VR China heute vor großen Problemen, die sich in naher Zukunft noch zu steigern drohen. Die Flucht vom Land in die Stadt, die urbane Entwicklung der Megacities, die Mobilitätsanforderungen der Bevölkerung und der politische Drang nach noch schnellerer Modernisierung stellen die öffentliche Planung und die Orientierungsfähigkeit der Menschen vor enorme Herausforderungen, wobei die Urbanisierung zu einem Schlüsselelement wird. Während heute noch 42% der chinesischen Bevölkerung auf dem Land leben (ca. 580 Mio. Menschen) und 27% der Bevölkerung in der Landwirtschaft Beschäftigung findet, werden in zehn Jahren eine Milliarde Menschen in Chinas Städten wohnen; der Urbanisierungsgrad von gegenwärtig 58% stiege somit bis zum Jahre 2030 auf über 70%! (Deutschland 77,5%) – man spricht bei dieser Welle der Verstädterung auch von der gewaltigsten Urbanisierung der Weltgeschichte!

In ihrem Vortrag führte Frau Retzer aus, dass schon heute in China über 100 Städte mit mehr als 1 Mio. Einwohner existieren. Zum Vergleich: In ganz Europa gibt es 35 Städte in dieser Größenordnung. Sechs von weltweit zehn „Megastädten” liegen in China — definiert als Metropolen mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Hinzu kommt, dass immer mehr Dörfer verschwinden: von 2,7 Mio. in 2010 auf gegenwärtig ca. 690 Tausend.

Diese Tatsachen bergen in sich drohende Gefahren: Überlastung der Infrastruktur, Gesundheitsrisiken, wie Umweltverschmutzung, Lärm- und Stressbelastung, Einschränkung der Raumqualität, kollabierender Straßenverkehr, Zersiedelung der Peripherie, Monotonie des architektonischen Erscheinungsbildes und soziale Stratifizierung (Ghettos und Gated Communities). Allein was die Entwicklung der Mobilität betrifft, werden in China 35 000 Autos täglich zugelassen. Wäre die Relation ähnlich wie heute in Deutschland (500 Autos pro 1000 Einwohner), würden sich in China ca. 600 Millionen Fahrzeuge gleichzeitig auf den Straßen blockieren. Die ansteigende Fahrzeugdichte stellt neue Anforderungen an die Verkehrsplanung.

Lösungsansätze?

Die von Frau Retzer vorgestellten Lösungsversuche Chinas setzen bei der Bekämpfung der zu erwartenden Probleme auf ähnliche Instrumente wie diejenigen, die auch im Westen fokussiert werden: einen Ausbau des öffentlichen ÖPNVs, der in den großen Städten noch dichter werden muss, um der drohenden Autoflut Herr zu werden. Ferner wird das schon heute weltweit vorbildliche Netz von Hochgeschwindigkeitszügen noch stärker ausgebaut werden und so den innerchinesischen Flugverkehr weiter entlasten. Eine Besonderheit in der chinesischen Planung besteht in ihrer obrigkeitsstaatlichen Durchsetzungsfähigkeit, so wird z. B. für dieses Jahr für Peking eine maximale Bevölkerungszahl von 23 Millionen festgesetzt. Mit Hilfe all dieser Maßnahmen soll die innerstädtische Feinstaubkonzentration (PM2.5) von gegenwärtig 59 μg/m³ auf 35 μg/m³ bis 2030 reduziert werden. Dazu beitragen wird auch ein die Stadträume überschreitendes Aufforstungsprogramm, mit dem China seinen Waldbestand erhöhen möchte.

Als Expertin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) berät Frau Retzer auch chinesische Kommunen und Organisationen zum Thema Verkehrsorganisation, wobei der Warenverkehr eine zentrale Rolle spielt. Zukunftsweisend sind hier ökologisch sensible Strategien, die unter den Stichworten „Green Shipping“ und „Green Harbours“ zusammengefasst werden.

Das China Center und das Seminar The Innovators bedanken sich herzlich bei Frau Sandra Retzer für ihren anregenden Vortrag und die lebhafte Diskussion im Anschluss dieser äußerst informativen Seminarstunde.

Text: Tania Becker