Center for Cultural Studies on Science and Technology in China

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Die politische Seite des chinesischen Städtebaus

China ist der einzige Staat der Welt, in dem von offizieller Seite die Urbanisierung als strategisches Ziel ausgegeben wurde. Dies ist eine der zentralen Thesen in Johannes Küchlers Vortrag „The Meaning of (Chinese) Urbanisation, Some Remarks on China‘s Urban Development since the 1990ies“ im Rahmen des letzten Science and Technology China Lunch in diesem Semester. Seit den späten 90er-Jahren hat “Urbanisierung“ ihren festen Platz in den Partei- und Regierungs-amtlichen Proklamationen.

Prof. Küchler erklärte die Entstehung eines Wohnungsmarktes im Kontext der Reform- und Öffnungspolitik. Investoren bestimmen die Dynamik der Stadtentwicklung. Es fehlt ein nennenswerter sozialer Wohnungsbau. Den ökonomische Nutzen des Bauwesens für die Wirtschaft Chinas unterstrich für die fast dreißig interessierten Zuhörer die Tatsache, dass beinahe 70% des BIP Chinas in der Bauwirtschaft investiert werden (zum Vergleich, Japan steckte in den 80ern 35% ihres BIPs in den Bereich der Urbanisierung, während sogar die USA nur ca. 20% investieren). Dieser Sektor absorbiert den größten Teil der Energie-intensiven Stahl und Zementproduktion, womit er zugleich eine klimapolitisch globale Dimension erhält.

Dabei hob Prof. Küchler immer wieder die Rolle der Profitmaximierung für die Stadtentwicklung hervor und nannte vor allem die Immobilienfirmen als große Gewinner. Sie sind die Partner der Stadtverwaltungen, für die das Verpachten von Bauland die wichtigste Einnahmequelle bildet. Die für Europäer atemberaubende Geschwindigkeit des Planens und Bauens ergibt sich aus dem Zeitdruck für die Karriere-orientierten Kader und die an schneller Rendite interessierten Immobilien-Entwickler. Zwar gibt es faszinierende städtebauliche Lösungen, aber in der Summe überwiegt die Monotonie, über alle Klimadifferenzen hinweg. Ergebnis dieser exzessiven Baupolitik sind teilweise bizarre Geisterstädte. Ganze Häuserblöcke und Straßenzüge stehen dort leer. Bereits jetzt existiert in China Wohnraum für weitere 200 Millionen potentieller neuer Stadtbewohner.

Großer Verlierer dieser Entwicklung sind – nach Ansicht von Prof. Küchler – vor allem die Menschen vom Land, die durch die Einbindung in eine „kapitalistischere“ Ordnung Rechte verlören.

Allerdings fehlt es in China nicht an kritischen Stimmen und erste Konzepte für nachhaltigere Urbanisierungstendenzen mit einem vorsichtigeren Umgang mit Stadtgrün und Wasser werden angedacht, auch als sog. „Sponge City“ schon umgesetzt. Die große Unbekannte für die mittlere Zukunft bildet die Frage, wie sich die rapide alternde Bevölkerung mit dieser starren gebauten Umwelt arrangieren kann, und welche Freiräume die autoritären Strukturen ihr dabei einräumen.

Obwohl mit diesem Vortrag die Sci&Tech China Lunch Reihe zu seinem Ende gekommen ist, geht es im nächsten Semester natürlich weiter: „Sustainable China Lunch“ ist dann das Motto. Der erste Termin findet am 18.05.2020 von 12-14 Uhr statt. Dr. Jörg Henning Hüsemann von der Universität Leipzig wird zum Thema Hanfkuchen und goldener Saft: Düngen in China referieren. Wir freuen uns sehr darauf, Sie wieder bei unserem einzigartigen Mix aus interessanten Vorträgen, Diskussionen und leckerem Essen begrüßen zu dürfen!

© Kim Beese | CCST