Zentrum für Antisemitismusforschung

Die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands (KVD) im Nationalsozialismus

Die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands war ein Zusammenschluss der 1932 vom Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) gebildeten regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen, welche die Sicherstellung der ambulanten Versorgung der Bevölkerung im Deutschen Reich gewährten und die medizinischen Leistungen zwischen Kassenärzten und Krankenkassen abrechneten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 stand die KVD unter der Aufsicht des Reichsarbeitsministers. Sie führte das Reichsarztregister und regelte die Kassenzulassungen, wodurch es möglich war, sowohl politisch oppositionellen als auch jüdischen Kassenärzten die Zulassung zu entziehen.

 

Das durch Drittmittel der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Deutschlands (KBV) geförderte Aktenerschließungs- und Forschungsprojekt über die NS-Geschichte der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD) nahm im Sommer 2018 unter der Leitung von Prof. Dr. Samuel Salzborn seine Arbeit auf, als dieser als Gastprofessor am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin tätig war. Wissenschaftlich bearbeitet wird das Projekt von den Historikern Dr. Ulrich Prehn und Sjoma Liederwald, M.A.

 

In den ersten zweieinhalb Jahren der Projektlaufzeit konnten die Aktenbestände der KVD sowie der Reichsärztekammer (RÄK), die bis dahin im Kölner Alt-Archiv der KBV lagerten, nahezu vollständig gesichtet und archivisch erschlossen werden. Bislang wurden weit über 800 Archivalieneinheiten durchgesehen, in einer Datenbank ausführlich verzeichnet und verschlagwortet, Schlüsseldokumente wurden digitalisiert. Auf der Grundlage der verzeichneten Bestände erscheint die Bandbreite der für die Zeitgeschichtsforschung (inklusive verwaltungs-, sozial-, mentalitätshistorischer sowie „standesgeschichtlicher“ und organisationssoziologischer Fragestellungen) relevanten Themen vielversprechend. Der Forschungsstand zu vielen Einzelaspekten und -fragestellungen wird durch eine systematische inhaltliche Auswertung der Archivalien der KVD (bzw. des Hartmannbundes) und der RÄK sowie deren Nachfolgeorganisationen in der Bundesrepublik deutlich erweitert und bereichert werden können. Zu nennen sind hier vor allem sieben Themenfelder:

- „Gleichschaltung“ und „Selbstgleichschaltung“ beim Ärztevereins- und Hartmannbund bzw. bei der KVD, Zentralisierung der Organisationen und „Ausrichten nach dem Führerprinzip“

- Verdrängung politisch „missliebiger“ und jüdischer Ärztinnen und Ärzte

- politisch-ideologische Ausrichtung der deutschen Ärztinnen und Ärzte

- Ausweitung der ärztlichen Kompetenzen und Aufgabenfelder im Krieg (Inklusion und Exklusion/rassistische Politik; medizinische Versorgung von Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen)

- zeitgenössische Erhebungen zur Statistik der (Kassen-)Ärzt*innen im Deutschen Reich

- Karriereverläufe und Denkmuster in den Spitzenorganisationen der deutschen Ärzteschaft/Übergänge in die Bundesrepublik

- umfangreiche Immobiliengeschäfte der ärztlichen Standesorganisationen bzw. ihrer Spitzenfunktionäre, insbesondere der KVD, und deren „Nachgeschichte“ in der frühen Bundesrepublik (mit einem hohen Anteil von Restitutionsfällen)

 

Die in den verschiedenen Beständen vorgefundenen Materialien bieten – über den engeren akademischen Bereich hinaus – auch beste Grundlagen für Nutzungen und „Verwertungen“, die auf eine breitere Öffentlichkeit abzielen. Als Arbeitsergebnis ist eine Wanderausstellung zur Geschichte der deutschen Ärzteschaft in der NS-Zeit geplant, die neben der Organisationsgeschichte und der Geschichte der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik besonders das Arzt-Patient-Verhältnis zwischen 1933 und 1945 beleuchtet.

Weitere Informationen über das Forschungsprojekt finden sich unter:

https://www.tu.berlin/forschen/als-aerztinnen-das-praktizieren-verboten-wurde/

https://www.tu.berlin/en/research/when-jewish-doctors-were-forbidden-to-practice/

Kontakt

Projektleitung: Stefanie, Prof.Dr. Schüler-Springorum

Projektmitarbeiter: Prehn, Dr. Ulrich

Das Projekt wird gefördert von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung