Unser auditorisches System mit seiner Fähigkeit, sich in natürlichen akustischen Umgebungen zu orientieren, kann heute in vielerlei Hinsicht als gut erforscht gelten. Mit dem Einzug virtueller und erweiterter Realitäten in unsere Alltagserfahrung wird jedoch die Frage wichtig, inwieweit unser Wahrnehmungssystem in der Lage ist, sich in einer Realität zu orientieren, die keinen physikalischen Gesetzen unterliegt. Virtuelle Umgebungen können von den Regeln der physischen Welt abweichen, sei es aufgrund der begrenzten Leistungsfähigkeit der zugrunde liegenden numerischen Simulationen, aufgrund der begrenzten Interaktionsmöglichkeiten eines Nutzers mit der virtuellen Umgebung oder weil die Qualität der Erfahrung der virtuellen Umgebung gerade in der Überschreitung der physischen Grenzen der realen Welt bestehen kann.
Das erfolgreiche Erlernen nicht-physischer Hinweise kann als eine Form der Neuroplastizität betrachtet werden, d.h. als eine Anpassung der kortikalen Organisation des Wahrnehmungsapparates an neue Erfahrungen und Anforderungen. Die Plastizität des menschlichen Gehörs wurde für die Quellenlokalisierung in Bezug auf den Azimut und die Elevation der Quelle nachgewiesen. In diesem Fall sind Versuchspersonen in der Lage, sich innerhalb von etwa einer Woche an veränderte Lokalisationshinweise anzupassen, wenn ein Training mit sensomotorischem Feedback durchgeführt wird.
Weitaus weniger gut erforscht ist die Frage, inwieweit die Wahrnehmung von Entfernungen in physischen Umgebungen erlernt werden kann und in nicht-physischen Welten erlernt oder neu zugeordnet werden kann. Darüber hinaus stellt sich im Bereich der audiovisuellen Raumwahrnehmung die Frage nach der relativen Gewichtung und Interaktion von auditiver und visueller Information. Wir werden daher die Erzeugung akustischer Stimuli mit fortschrittlichen Methoden der raumakustischen Simulation, der binauralen Synthese und der visuellen 3-D-Darstellung kombinieren, um psychoakustische Untersuchungen zum Erlernen physischer und neu zugeordneter, nicht-physischer Hinweise auf die Entfernungswahrnehmung mit einer Untersuchung der neuronalen Mechanismen der Entfernungswahrnehmung und Plastizität zu verbinden.
DFG WE 4057/21-1
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